Sorgen mit der Macht

Die von André Thiele herausgegebene sechste Nummer von „ARGOS“ führt die Beschäftigung mit Peter Hacks fort

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Zeitschrift „ARGOS“ ist mittlerweile als Forum für Diskussionen und Forschungen zu Peter Hacks und seinem Umfeld fest etabliert. Die im Juni 2010 erschienene sechste Nummer legt einen Schwerpunkt auf das Drama „Die Sorgen und die Macht“, das in mehreren Fassungen ab 1958 entstand. Die letzte Version hatte 1962 am Deutschen Theater im damaligen Ostteil Berlins Premiere und führte zu heftigen Auseinandersetzungen, an deren Ende das Stück vom Spielplan abgesetzt wurde und der Intendant Wolfgang Langhoff seinen Posten räumen musste. Für längere Zeit erweckte der Konflikt den unzutreffenden Eindruck, Hacks sei ein regimefeindlicher Autor, und ebnete so seinen Erfolgen auch im Westen um 1970 den Weg.

Aus heutiger Sicht erscheint das Werk als das einzige Drama, in dem Hacks Konflikte in der Industrieproduktion der DDR thematisierte, denkbar fern. Wenn das Deutsche Theater im Herbst 2010 eine vielbeachtete Neuinszenierung gerade dieses Stücks herausbrachte, so schien das vor allem der Geschichte der Institution geschuldet. Doch integrierten die Regisseure Jürgen Kuttner und Tom Kühnel zum einen Beiträge aus der Diskussion von 1962/63 in die Aufführung und zeigten, wie der Streit sowohl durch die Parteimacht geprägt als auch auf einem beachtlichen Niveau geführt wurde. Zum anderen demonstrierten einmontierte Szenen und Gedichte Hacks’ aus der Nachwendezeit, wie sehr der Sozialismus stets aus einer Haltung der Defensive handelte. So gelang es, das scheinbar Unzeitige auf gegenwärtige Deutungskämpfe über die DDR zu beziehen.

Was in der Inszenierung nur angespielt werden konnte, ist im „ARGOS“-Schwerpunkt durch die Wiederveröffentlichung eines Beitrags von Alexander Weigel ausführlich nachzulesen. Weigel hat die wichtigsten Dokumente des Konflikts gesammelt und instruktiv kommentiert. Christian Krause weist nach, in welchem Maße Hacks zwar einerseits thematisch auf kulturpolitisch nahegelegte Anforderungen einging, andererseits im Stück die Rolle der Partei gemessen an der Selbstorganisation der Arbeiter nur gering erscheint. Stefan Wolle bettet das in einem von polemischen Zuspitzungen nicht freien Beitrag in die historische Konfliktlage ein: Walter Ulbricht und die SED insgesamt standen vor der Aufgabe, die von Nikita Chruschtschow betriebene Entstalinisierung in der Sowjetunion mitzuvollziehen, doch in der prekären Frontlage an der Systemgrenze keinen Zweifel an der Führungsrolle der kommunistischen Partei aufkommen zu lassen.

Diese Erklärungen sind stimmig, insofern sie Differenzen zeigen zwischen einerseits einem Autor, der subjektiv besten Willens Widersprüche in der DDR zeigt, um sie überwindbar zu machen, und andererseits einer Regierungsmacht, die vor einer Diskussion dieser Widersprüche begründete Furcht hat. Aus dem Rahmen fällt der Beitrag von Lutz Getzschmann, der eine Kritik an Hacks von links formuliert. Getzschmann stellt ein wenig ahistorisch die Marx’sche Utopie von einer Selbstorganisation der Arbeiter dar, die Befreiung von der Arbeit als Last gegen ihre moralische Aufwertung, wie sie in der Arbeiterbewegung dominant wurde. Hacks erscheint in dieser Perspektive als zu staatsnah, und es wird rätselhaft, was Staat oder Partei gegen ihn hatten. Diese Frage ist allerdings nur zu klären, wenn man sie als eine nach dem unter den Bedingungen der DDR um 1960 Möglichen stellt.

Ein zweiter Schwerpunkt von „ARGOS 6“ liegt auf der Erstveröffentlichung von 41 Gedichten, die Gunther Nickel im Deutschen Literaturarchiv Marbach gefunden hat. Es handelt sich um sehr frühe Werke: 1951 schickte sie der damals 23-Jährige Hacks an den Berliner Steegemann Verlag, ohne dass es zu einer Publikation kam.

Hacks betrachtete die Gedichte später als unzureichend: Nur drei von ihnen fanden, umgearbeitet, Eingang in die Werkausgabe. Dennoch ist der Ton der reiferen Gedichte in vielen Versen schon zu spüren. Manche der frühen Gedichte wirken heute matter als wohl damals, da sie Zeitgenössisches parodieren. Nickel nennt in seiner Einleitung Erich Kästner und Kurt Tucholsky als Vorbilder, und als nicht nur weltanschaulichen Stichwortgeber Heinrich Heine, dessen Einfluss auf Hacks’ Lyrik überhaupt einmal nachzugehen wäre.

Heidi Urbahn de Jauregui geht in einem instruktiven Aufsatz dem Frauenbild Hacks’ nach, das quer zu heutigen Gender-Theorien steht. Hacks versuche vielmehr, Emanzipatorisches und ein utopisches Moment wie die Liebe gerade aus der unhintergehbaren Verschiedenheit der Geschlechter zu gewinnen. Das ist hier mit vielen Beispielen am Werk überzeugend nachgewiesen, ohne dass Jauregui Zweifel ausräumen kann, ob die Frau als das Andere gegenüber der männlichen Rationalität nicht doch als defizitär erscheint. Das stärkste Argument dagegen wäre wohl das noch kaum beachtete Königinnen-Drama „Fredegunde“, in dem die Frauen die besseren Männer sind.

Ein anderes ideologisches Minenfeld betritt Ingo Way in seiner Replik auf Daniel Rapoports Zurückweisung von Antisemitismus-Vorwürfen an Hacks. Way argumentiert auf zwei Ebenen: Im Drama „Die Binsen“ gibt es zum einen tatsächlich einen vaterlandslosen Unternehmer, der durch den Namen Aron Kisch als jüdisch gekennzeichnet ist. Textnah und differenziert führt hier Way aus, wie tatsächlich antijüdische Stereotypen im Werk präsent sind, indessen ohne dass die Sympathielenkung eindeutig wäre oder Hacks gar Rache- und Vernichtungsfantasien freien Lauf ließe. Wenn Way zum anderen die Politik der sozialistischen Länder mit Antisemitismus in Verbindung bringt, benennt er zwar gefährliche Tendenzen, die insbesondere um 1950 virulent waren. Insgesamt aber trennt er nicht deutlich genug eine antiisraelische Politik von einem Rassenantisemitismus.

Ein Interview mit Felix Bartels stellt die künftigen Pläne dieses Hacks-Forschers vor; der Dramatiker Jan Decker versucht in einer vielleicht allzu kühnen Kombination, eine Nähe des Postmodernisten Roland Barthes und des Marxisten Hacks zu entdecken. Ein Bericht über die Wuppertaler „Jona“-Uraufführung beschließt die für die Hacks-Forschung nützliche Veröffentlichung.

Titelbild

André Thiele (Hg.): Argos. Mitteilungen zu Leben, Werk und Nachwelt des Dichters Peter Hacks (1928-2003). Sechstes Heft. Juni 2010.
Juni 2010.
Verlag André Thiele, Mainz am Rhein 2010.
218 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783940884329

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