Ein Weg im Dunkel

Eberhard Haufes „Schriften zur deutschen Literatur“ geben Einblick in die Arbeit eines bedeutenden Germanisten

Von André SchinkelRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schinkel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es sind die außergewöhnlichen Biografien, die uns in Erstaunen versetzen. Im Fall von Eberhard Haufe, der in diesem Jahr 80 Jahre alt wurde, mag man vor allem erstaunt sein, mit welcher unaufgeregten Beharrlichkeit ein bedeutender Beitrag zum Ansehen der Germanistik des 20. Jahrhunderts trotz widriger Gegebenheiten entstand.

Mit Haufes „Schriften zur deutschen Literatur“ legt der Wallstein Verlag ein edles, gleichermaßen ausgewähltes wie gesammeltes Kompendium der wissenschaftlichen und publizistischen Schriften des Weimaraners vor. Die Erscheinungstermine der enthaltenen Aufsätze überspannen dabei ein halbes Jahrhundert, während der zeitliche Rahmen der besprochenen Texte, von der Marien- bis zur lyrischen Dichtung der Gegenwart, über ein Jahrtausend beträgt. Außerordentlich vielseitig in der Wahl seiner literaturgeschichtlichen Erwägungen, gibt Haufe so geradezu ein Ideal dafür ab, wie man sich einen Geisteswissenschaftler wünschen mag: nicht einem eingegrenzten Thema oder Autor streng verhaftet, sondern in die Breite forschend und über die Jahrhunderte nach Anknüpfungen zwischen den Äußerungen der jeweiligen Epochen suchend. An die Bedrängungen denkend, unter denen dies möglich wurde, mag man verwundert sein und gleichzeitig erleichtert, dass es einen solchen Weg zur Klarheit auf sich nahm.

Äußere Umstände verhinderten eine größere akademische Karriere Haufes – als junger Gelehrter geriet er in die ideologischen Mühlen der DDR und musste sich fortan mit einem Nischen-Dasein als Beobachter der Literaturgeschichte begnügen. Bereits 1958 musste der hoffnungsvolle Nachwuchswissenschaftler aufgrund einer Arbeit zur Aufhebung der Zeit in Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen“ die Leipziger Universität verlassen. Mit Ausnahme der Promotion in Jena 1964 blieben Haufe bis 1989 weitere intellektuelle Ehren versagt.

1959 kam der gestürzte Hochbegabte in der Redaktion der Weimaraner Schiller-Ausgabe unter; nebenher entstand eine umfängliche Reihe von Essays, die sich in mehreren Schwerpunkten der deutschsprachigen Literatur anverwandelt: von der Grundsteinlegung für eine Erforschung der Mariendichtung über richtungsweisende Aufsätze zum Barock, den gewaltigen Kulminationspunkt am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert bis zu den beachtenswerten Vertretern der Lyrik der Gegenwart. In letzteres Metier gehören vor allem die Arbeiten zu Johannes Bobrowski, die dessen Stellung innerhalb der deutschen Landschaftsdichtung erörtern. In seinem umfangreichen publizistischen Wirken dürfte die Betreuung der Johannes-Bobrowski-Ausgabe neben der legendär gewordenen Herausgabe der Barockanthologie „Wir vergehn wie Rauch von starken Winden“ einer der Höhepunkte der Haufe’schen Arbeit gewesen sein. Gerade im Fall des viel zu früh verstorbenen ‚sarmatischen Dichters‘ nimmt Haufe die dem Rang gemäße Einordnung zwischen Paul Celan und Peter Huchel vor, verweist auf Ähnlichkeiten, Differenzen und die zuweilen eigentümlichen Konflikte zwischen den Dichtern. Vieles seiner Schriften zur neueren Literatur ist für Zeitungen entstanden, lediglich Wilhelm Lehmann, Nelly Sachs und Wulf Kirsten werden ausführlicher gewürdigt.

Erstaunlich auch Haufes stiller und beflissener Entdeckereifer in der wohl bedeutendsten Epoche der deutschen Literatur – dem Auftreten von Klassik und Romantik als Ableitungen der Aufklärung ab 1795. Neben der Sichtung der Großen, beginnend bei Klopstock, lenkt der Autor immer wieder den Blick auf vergessene Geister der Ära, verweist auf Johann Gottlieb Schummel, Johann Joachim Bode und Carl Gustav Jochmann, deren Kenntnis wiederum der Kenntnis ihrer Zeit dienlich ist, zum Teil bis in die Jetztzeit wirkt. Diesen Gegenständen widmet sich Haufe mit derselben Akribie wie dem „Messias“, einem Jubiläums Jean Pauls, einem Epigramm Goethes.

Den Textteil beschließt eine schmale Auswahl Reden und Weimariana, die auch auf den politischen Denker Haufe wie das Eintreffen später Ehren nach der Wiedervereinigung verweisen. Dem sind eine vollständige Bibliografie, ein Nachsatz und ein umfängliches Register angefügt, wodurch das Buch zu einer Art einbändiger Handbibliothek wird. Trotz oder gerade wegen der teils schwierigen Bedingungen erzählt der Band viel von dem ernsten Unterfangen, einer in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wiederholt ins Hintertreffen geratenden Gelehrsamkeit wie der Germanistik die Treue zu halten und ihr Vermögen auszuloten.

Haufes Exegesen, auch optisch eine Zierde jedes aufgeklärten Bücherschranks, zeigen, auf welcher Höhe sich Literaturwissenschaft halten und bewegen kann. Sie berichten von der Würde, mit der ein Gelehrter, Getriebener seines Fachs eine Literaturgeschichte in Einzelaufsätzen schreibt, in der kein Satz nicht hinterfragt oder gar unbedacht ist. Sie gehören damit zum Prononciertesten und Kenntnisreichsten, was es, trotz der ‚Revolution des Mittelmaßes‘ im Feuilleton und in den Geisteswissenschaften der letzten Jahrzehnte, über Literatur zu lesen gibt. Den Herausgebern der Auswahl kommt das Verdienst zu, einen Teil dieses weit gestreuten Werks in seiner eigentlichen Bedeutung zum ersten Mal sichtbar zu machen.

Titelbild

Eberhard Haufe: Schriften zur deutschen Literatur.
Herausgegeben von Gerhard R. Kaiser und Heinz Härtl.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
542 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783835308275

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