Armierte Frauenmacht?

Ein von Klaus Latzel, Franka Maubach und Silke Satjukow herausgegebener Tagungsband problematisiert das Phänomen „Soldatinnen“

Von Franz SiepeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Siepe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zur Erinnerung: Vor gut einer Dekade erlangte Tanja Kreil in Deutschland einige Prominenz, weil sie vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Artikel 12a Absatz 4 des Grundgesetzes zu Felde gezogen war, der festgeschrieben hatte, dass Frauen „auf keinen Fall Dienst an der Waffe leisten“ dürfen. Die Luxemburger Richter gaben der Klägerin Recht, sodass Verteidigungsminister Scharping am 1. Juni 2000 verkünden konnte: „Zukünftig sind die Streitkräfte in ihrer ganzen Vielfalt für den freiwilligen Dienst von Frauen geöffnet.“

Von einigen Beobachtern wurde diese Ermöglichung des „freiwilligen Dienstes von Frauen“ als Fanal der Emanzipation wahrgenommen. So auch von einer „Emma“-Ausgabe, die folgendes Tanja-Kreil-Zitat brachte: „Es ist mir doch lieber, ich habe ein Gewehr in der Hand, als im Notfall blöd dazustehen.“ „Emma“ unterließ es damals nicht mitzuteilen, dass Tanjas „Verlobter“ ein „ganz toller Hausmann ist, der wäscht und bügelt“.

Derzeit macht der Anteil weiblicher Soldaten bei der Bundeswehr mit 17500 etwa neun Prozent aus. Auch an Auslandseinsätzen sind Frauen beteiligt; 2011 stehen in Afghanistan 235 im Dienst der Landesverteidigung. Am 30. Mai, just während diese Zeilen getippt wurden, kam im Rundfunk die Nachricht, dass bei einem „Anschlag“ der Taliban zwei deutsche Soldaten gefallen sind und auch eine Soldatin sehr schwer verwundet worden sei.

„Töten und Sterben gehören dazu“, meint Verteidigungsminister de Maizière, der aber offenbar Gleichstellungshemmungen hat, insofern er vorzugsweise bloß von „Soldaten“ spricht. Anders die katholische Kirche in Person des neuen Militärbischofs Franz-Josef Overbeck. Dieser – wie de Maizière in einem „FAZ“-Gespräch – gendert unter dem Titel „Ein radikaler Pazifismus hilft den Menschen nicht“ absolut korrekt: „Der Einsatz in Afghanistan hat sein Gewicht und seine Bedeutung darin, dass die Soldatinnen und Soldaten der internationalen Streitkräfte dafür eintreten, eine zivilisatorische Ordnung überhaupt erst zu ermöglichen.“

Was die Dienstgrade und Anredeformen angeht, hat man sich in der Bundeswehr nach Recherchen des Rezensenten für ein Semi-Gendering entschieden, indem etwa eine Soldatin im Rang eines Gefreiten mit „Frau Gefreiter Müller“ anzusprechen ist; dementsprechend „Frau Hauptmann Meier“ et cetera. Mithin liegt es durchaus im Bereich des real Möglichen, dass sich einmal eine Frau Gefreiter Müller über Zudringlichkeiten des Herrn Gefreiten Schulze beschwert, ohne dass vielleicht homoerotische oder irgendwie queere Neigungen vorlägen. Denn, wie die „taz“ (31. 1. 2011) kürzlich mitteilte, geben immerhin 19 Prozent der Bundeswehrsoldatinnen an, „von Kameraden körperlich berührt worden zu sein“. Demselben Bericht zufolge sollen fast fünf Prozent der weiblichen Soldaten „sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen erlebt haben“. Und, so die „taz“ weiter: „Manche Soldatinnen inszenierten sich aber auch als ‚Püppchen‘ und trügen bewusst enge Kleidung, sagt eine Soldatin, die gerade in Afghanistan im Einsatz ist.“

Also könnte es den Anschein haben, als lägen in sexualibus die Dinge beim Militär gar nicht soviel anders als im zivilen Leben. Aufhorchen lässt da allerdings eine von Maja Apelt, Professorin für Organisations- und Verwaltungssoziologie an der Universität Potsdam, vorgenommene Untersuchung zur Bundeswehr, die bedenklicherweise ergab, „dass die männlichen und weiblichen Soldaten – unabhängig vom eigenen Geschlecht – ganz unterschiedliche Meinungen darüber vertraten, worin sich die Geschlechter unterschieden und ob Frauen dazu in der Lage seien, genauso viel zu tragen […] wie ihre männlichen Kameraden“.

Apelts Aufsatz „Soldatinnen in den westlichen Streitkräften und den ‚Neuen‘ Kriegen“ findet sich abgedruckt im hier zu besprechenden Sammelband, der hauptsächlich auf eine Jenaer Tagung vom November 2008 zurückgeht, auf welcher das Thema „Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute“ in Kooperation des Arbeitskreises Militärgeschichte mit dem Jena Center. Geschichte des 20. Jahrhunderts verhandelt wurde.

Mit Maja Apelts „Fazit“ endet das 19 Einzelbeiträge (14 Autoren mit weiblichem und fünf mit männlichem Vornamen) umfassende Buch: „Die Position von Frauen in den Streitkräften ist […] nicht eindeutig bestimmbar. Soldatinnen prägen das Bild der Armeen heute entscheidend mit, vollkommen gleichberechtigt sind sie aber noch lange nicht.“

Als methodologisch und terminologisch anspruchsvoll präsentiert sich der Einführungstext aus den Federn des Herausgebers Klaus Latzel sowie der Herausgeberinnen Franka Maubach und Silke Satjukow („Soldatinnen in der Geschichte: Weibliche Verletzungsmacht als Herausforderung“), der biperspektivisch, nämlich militärgeschichtlich und geschlechtergeschichtlich vorgeht. Ein mit „Aneignung und Erfahrung von Verletzungsmacht – Soldat werden“ übertitelter Abschnitt dieser Einführung bringt die folgende Erinnerung einer Rotarmistin: „Wenn wir Gefangene machten, brachten wir sie in die Abteilung […] Sie wurden nicht erschossen, das wäre ein zu leichter Tod für sie gewesen, wir stachen sie ab wie Schweine, mit Spießen, hackten sie in Stücke. Ich ging hin, um mir das anzusehen. Und wartete! Ich wartete auf den Moment, in dem ihnen vor Schmerz die Augen platzten.“

Eine andere sowjetische Soldatin erzählt: „Unsere Arbeit war das Töten des faschistischen Feindes. Dieser hat unsere Soldaten, Freunde, Kameraden, Brüder und Schwestern auf dem Gewissen […] In zwei Jahren Krieg habe ich 98 Menschen getötet und sie auch fallen sehen. Dabei hatte ich keine Angst, eher Freude. Ich war ja immer froh, wieder einen Faschisten erledigt zu haben.“

Dem hartgesottenen Leser, den die Lektüre derartiger Grausamkeiten nicht zum sofortigen Zuschlagen des Buches veranlasst, wird die wissenschaftliche Contenance, mit welcher der Autor und die Autorinnen das Ungeheuerliche diskursivieren, unbedingt Hochachtung abnötigen. So etwa kann er zu den oben zitierten Furchtbarkeiten diesen Kommentar lesen: „Das gesteigerte weibliche Selbstbewusstsein, ja die Selbstermächtigung, die hier vernehmbar werden, entstanden aus der Aneignung bis dato exklusiv männlicher Gewaltkompetenzen.“

Wer also durch das Buch hindurch will, hat sich tunlichst gegen einen sprachlichen Habitus zu immunisieren, der im Zeichen der Not steht, mit Entsetzen Forschung treiben zu müssen. Befremdlich dürfte einem Fachexternen auch ein Satz wie dieser vorkommen: „Wie eben dargelegt, zeigt sich in geschlechtergeschichtlicher Sicht, wie Tötungskompetenz im Krieg genderspezifisch zugeschrieben und verteilt wird.“ Es geht aber bloß darum, dass es traditionell Männer sind, die einander im Krieg abschlachten.

Eine im Buch heuristisch favorisierte Leitdifferenz ist die Opposition „Verletzungsoffenheit versus Verletzungsmacht“. Die Begrifflichkeit entstammt einer machttheoretischen Untersuchung Heinrich Popitz‘ und wird hier nun genderspezifisch dergestalt gewendet, dass Verletzungsoffenheit als herkömmlicherweise weiblich konnotierte, Verletzungsmacht hingegen als primär „männliche“ Qualität diskutiert wird.

Die einzelnen Aufsätze ergeben ein recht heterogenes Gesamtbild. Zeitlich erstreckt sich das Untersuchungsfeld von der Antike bis in unsere Gegenwart; geografisch von Amerika bis in die Mongolei; inhaltlich von der Sachkulturforschung (Die Waffe als Männlichkeitssymbol) bis zur historischen Mikrostudie („Frauen im ukrainischen bewaffneten Untergrund“) und personell von Jeanne d’Arc bis zu den bewaffneten Frauen in der israelischen Armee.

Ein Fazit ist nicht leicht gezogen. Wer die unbedingte Äquivalenz der Geschlechter für das höchste Gut hält, mag Genugtuung empfinden, wenn er/sie das diskriminierende Klischee der schutzbedürftigen, friedfertigen Frau destruiert sieht. Wem indes der Friede auf Erden heilig ist, der/die wird im Krieg zuallererst eine Unheilsgewalt fürchten, deren Wesen es ist, die totale, endgültige Unifizierung der Menschen herbeizuführen. Denn, so Wolf Biermann vor Jahrzehnten: „Soldaten sehn sich alle gleich / – lebendig und als Leich.“

Titelbild

Klaus Latzel / Franka Maubach / Silke Satjukow (Hg.): Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute.
Schöningh Verlag, Paderborn 2011.
486 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783506769268

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