Seine Mitte finden

Adrian Hyland lässt Emily Tempest in „Kaltes Feuer“ unter extremen australischen Witterungsbedingungen ermitteln – allein schon deshalb schwitzt man schon beim Lesen mit

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer mit meiner Biografie kein treuer Kunde und Freund des Suhrkamp Verlags ist, steht nicht zu seiner Vergangenheit. Und wir haben gelernt, dass man sowas tun muss, von wegen Identität und dergleichen. Solchen alten Wegbegleitern sieht man eine Menge nach: Umzüge, Diadochenstreitigkeiten, verjagte Söhne, Hermann Hesse, egal. Immerhin stehen die Regale voller Suhrkamp-Bücher, die ehrenwert und hilfreich waren.

Aber es gibt Grenzen, und eine der Grenzen ist die Titelwahl bei übersetzen Kriminalromanen. Nachdem sich Suhrkamp auch offiziell ins Krimigetümmel gestürzt hat, ist eine Reihe von ziemlich guten und ein paar misslungenen Krimis erschienen. Adrian Hylands „Kaltes Feuer“ ist dabei sicherlich eher einer der gelungeneren. Genauer gesagt, es sind politisch-moralisch einwandfreie, mit Action ganz gut ausgestattete Krimis, die einem die Langeweile vertreiben. Hier geht es etwa um die Aufklärung des Todes eines abgehalfterten Geologen, der sich – mehr und mehr von einem Hirntumor bedrängt – durch übermäßigen Alkoholgenuss und einigermaßen verrückte Aktivitäten auszeichnet.

So streift er seit Jahren durch die australische Wüste, um eine Theorie über die Entstehung geologischer Formationen zu belegen. Dann ist er auf der Suche nach immer neuen Rohstoffen. Und er müht sich auch noch mit dem Bau eines Modells der Wüstengegend ab, in der er sich bevorzugt herumgetrieben hat. Niemand versteht ihn (außer den Kindern natürlich), aus den Jobs fliegt er stets schnell wieder raus (auch wenn seine beruflichen Fähigkeiten unbestritten sind), und so schlägt er sich mit Putzarbeiten und anderem durch, versäuft sein Geld und streitet sich mit seinen Saufkumpanen.

Dieser Mann, Doc genannt, wird jedenfalls erschlagen aufgefunden. Einer seiner Saufkumpane wird halb bewusstlos neben ihm aufgefunden. Offensichtlich der Mörder, wie die herbeigerufene Polizei erkennt und damit die Ermittlungen einstellt. Nur Emily Tempest eben nicht, die gerade eben als Vermittlungsbeamtin zwischen der weißen und alteingesessenen schwarzen Bevölkerung fungieren soll. Sie macht denn auch das, was Ermittler eben so tun: Sie fährt herum, schaut sich Gegenden an, spricht mit Leuten, hilft dabei beim einen oder anderen aus, bewegt sich gern in dem sozialen Areal, das man Randbereiche der Gesellschaft nennt: Säufer, Schläger und  andere.

Kinder sollten in einer solchen Umgebung nicht aufwachsen, tun es dann aber doch, wenn auch nur wenige davon nicht nachhaltig geprägt sind. Tempest nun ist durch ihre Mittlerstellung (gemischte Eltern) nun die bestgeeignete Vermittlerin zwischen den Welten. Sie kann mit den einen und den anderen, oder eben auch nicht.

Mit ihren Kollegen und ihrem neuen Chef kann sie jedenfalls nicht, was auch kaum verwundert, denn in der Hand hat sie fast nichts. Niemand glaubt ihr also die Mordgeschichte, die sie sich ausdenkt (Motto: Hier stimmt doch was nicht!). Und sie weiß auch fast bis zum Schluss nicht, um was es eigentlich bei der ganzen Sache – dem Mord zu Beginn und allen anderen, die folgen werden – geht.

Am Ende kommt – fast natürlich – eine große Sauerei heraus, bei der die Ureinwohner und alle, die in der Gegend leben, die Geschädigten sind. Es gibt den uralten Gegensatz zwischen den abstrakten Firmen, die ihrem Profit und den Eigentümern verpflichtet sind und deshalb auch über Leichen gehen (um der höheren Sache willen) und den konkreten Menschen vor Ort.

Das Ganze ist recht hübsch erzählt, schön mit Vorwärtsdrang, ohne den Lesern zu viel zu verraten. Die Hauptfigur macht eine Menge mit und ist hinreichend sympathisch. Dass sie die ganze Zeit ihre Mitte zu finden versucht, ist ihr zwar als starker Klischeehinweis anzulasten, aber das ist wohl auch genrespezifisch. Indianerkrimis machen sowas auch, und man würde es vermissen. Begrabt also auch mein Herz an der Biegung des Flusses.

Gänzlich inakzeptabel ist jedoch der Titel „Kaltes Feuer“. Das Original nennt sich noch „Gunshot Road“, und das mag man für einigermaßen trocken halten. Der Bezug zum Handlungsort des Romans ist, wenn man ihn liest, aber offenkundig. Kann man also machen, muss man jedoch nicht. Aber „Kaltes Feuer“? Was, in Gottes Namen, soll das heißen? Dass die Heldin bei aller Wut und Agilität innerlich sehr beherrscht und stringent ist? Oder ist das ein Hinweis auf die unklare Bedrohung, um deren Klärung es im Text geht? Geht es um den Widerspruch zwischen der Wüstenhitze und der Kälte abstrakter Institutionen? Wer kann das wissen? Man kann nur hoffen, dass das wenigstens die Macher dieses Titels gewusst haben. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt, wie wir alle wissen.

Titelbild

Adrian Hyland: Kaltes Feuer. Ein neuer Fall für Emily Tempest.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
388 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783518462133

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