Umgelegte Artefakte
In ihrem „Studienbuch Gender & Diversity“ führen Corinna Onnen-Isemann und Vera Bollmann StudienanfängerInnen in die Irre
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Gender und Diversity“, bereits der Titel der vorliegenden Einführung von Corinna Onnen-Isemann und Vera Bollmann ist irreführend. Denn tatsächlich stehen alleine die „Fragestellungen, Theorien und Methoden“ der Gender-Thematik in seinem Zentrum, nicht jedoch, wie der Titel vermuten lässt, gleichermaßen diejenigen von Diversity und beider Verhältnis zueinander. Diversity ist in dem Buch letztlich ein eher randständiges Thema. Damit wird das Ziel, „das Spektrum Gender & Diversity zu erschließen“, verfehlt. Dies ist der zentrale Kritikpunkt, dem einige weitere anzufügen sind.
Die „dreizehn Lehr- und Studieneinheiten“ des Buches nehmen eine „sozialwissenschaftliche Perspektive“ ein und richten sich an „ein Lesepublikum mit keinen oder geringen Vorkenntnissen“. Diese sollen mit Hilfe von „vier Hauptabschnitten“ verbessert werden, die unter den Stichworten „Basis“, „Entwicklung“, „Forschung“ und „Aktuelle Themen“ stehen. Sie sind jeweils in mehrere „Lerneinheiten“ unterteilt. Außerdem sind ihnen „Fragen und Übungsaufgaben“ beigegeben.
Der erste dieser Abschnitte befasst sich mit „der historischen Entwicklung von den Anfängen der Ersten Frauenbewegung bis zu den Gender Studies“. Bereits zu Beginn zeigt sich ein erster Mangel. Für die Zeit um 1900 wird nur zwischen der „proletarischen Frauenbewegung“ und der „bürgerlichen Frauenbewegung“ unterschieden, ohne auf die gravierenden Differenzen zwischen dem radikalen und dem gemäßigten Flügel letzterer einzugehen. Stattdessen wird die Haltung der Gemäßigten als diejenige der gesamten bürgerlichen Frauenbewegung präsentiert.
Die zunächst schlichte Diktion mag sich durch die anvisierte Zielgruppe erklären lassen, was manche Unschärfe der Sprache verzeihlich erscheinen ließe. Doch verliert sich deren leichte Verständlichkeit mit zunehmender Lektüre zugunsten einer angestrengten Ausdrucksweise. Hinzu treten inhaltliche Ungenauigkeiten, Fehler und auch schon mal eine sinnlose Aussage. So wird etwa behauptet, Simone de Beauvoir lehne „eine spezifische Natur der Frau ab“. Zutreffend und vermutlich auch gemeint ist, dass die französische Philosophin die Annahme einer spezifischen Natur der Frau zurückwies. Und „Wissenschaft an sich“ ist schon alleine deshalb nicht – wie von den Autorinnen behauptet – „männlich dominiert“, weil es „Wissenschaft an sich“ nicht gibt und nicht geben kann. Die „dekonstruktivistische Theorie“ wurde mitnichten „vor allem durch Judith Butler seit Anfang der 1990er Jahre entwickelt“, sondern hat schon einige Jahrzehnte mehr auf dem Buckel und geht im Wesentlichen auf Jacques Derrida zurück. Zudem versteht sich das dekonstruktive Verfahren nicht als Theorie. Und die Behauptung, Butlers „diskursanalytische Perspektive“ bedeute, „dass Worte die Macht haben, Dinge wie den Körper aus einer begrifflichen Substanz heraus zu erschaffen“, verzerrt die Überlegung der Gender-Theoretikerin bis zur Absurdität. Wenig nachvollziehbaren Sinn enthält auch die zur Erläuterung des Begriffs „Gender“ erdachte Formulierung, „der Körper ist das Medium, dem verschiedene kulturelle Artefakte umgelegt werden“.
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