Ästhetik und Politik im Spannungsverhältnis

Ein Sammelband beleuchtet die "Ästhetik des Politischen"

Von Oliver van EssenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver van Essenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Verhältnis zwischen Literatur und Politik ist ein Reizthema. Seitdem die totalitären Bewegungen dieses Jahrhunderts Literatur als Mittel ihrer Propaganda nutzten, erscheint das Thema vor allem in der öffentlichen, aber auch in der literaturkritischen Debatte überaus problematisch. Zahlreiche Kommentare stehen, angeregt von der Kritischen Theorie oder den Diskursanalysen Foucaults, in der Tradition einer mehr oder weniger expliziten Totalitarismuskritik, die Macht und Gewalt als Grundphänomene der Gesellschaft begreifen. Aus dieser Perspektive scheint die Kunst, insbesondere die Literatur, vor der Alternative zu stehen, Machtmotive zu unterstützen oder ihnen kritisch Widerstand zu leisten. Wie dem auch sei: Die Kunst befindet sich, folgt man dieser Tradition, stets im Nachteil gegenüber den vielfältigen Motiven der Macht, die ihren Herrschaftsanspruch nur immer weiter ausdehnt, je widerständiger sich die Kunst präsentiert.

Ein später Nachklang dieser Tradition ist noch in dem Sammelband "Ästhetik des Politischen - Politik des Ästhetischen" zu bemerken. Unter dem vielversprechenden Titel veröffentlichen die Herausgeber Karlheinz Barck und Richard Faber die Beiträge einer Ringvorlesung am Soziologischen Institut der Freien Universität Berlin.

Peter Pörtner beschreibt Formen der "Biopolitik" in Japan am Beispiel der starken Heimatbindung, die sich später im Rollenengagement für den Betrieb fortsetzt und bis in die körperliche und geistige Disziplinierung durch traditionelle Kampfsportarten reicht. Der Zusammenhang der durchaus treffenden Beobachtungen mit dem übergeordneten Konzept der "Postmoderne" erscheint jedoch recht vage. Die sogenannte "Biopolitik" ließe sich auch, ohne ästhetische und politische Termini zu bemühen, einfach als Anpassungsphänomen betrachten.

In die entgegengesetzte Richtung gehen die Distinktionsversuche des Dandy. Seine Macht liegt für Erhard Stölting in der Art und Weise, wie der Dandy versucht, Geschmacksurteile durchzusetzen. Der Anspruch, die Masse der Einzigartigkeit der eigenen Person unterzuordnen, macht ihn zu einer Projektionsfläche der politischen Autorität. Die Selbststilisierung des Dandys bildet einerseits ein Äquivalent zum politischen Stimmenfang und ist andererseits mit der Ästhetisierung erlesener Persönlichkeiten verbunden, z. B. bei Gabriele D' Annunzio, Ernst Jünger oder bei Botho Strauß.

Die visuellen und verbalen Techniken der Persuasion zu rekonstruieren, die die Literatur mit der Politik teilt, bleibt nach wie vor ein Desiderat, das der Sammelband von Faber und Barck nur ansatzweise einlöst. In Aufsätzen über die Monumentalkunst in Nationalsozialismus und Faschismus arbeiten die Autoren die Ästhetisierung des völkischen "Lebensraums" heraus. Inge Baxmann verfolgt die auf Benjamins Kunstwerk-Aufsatz zurückreichende These, dass Kunst, Politik und Mobilisierung der Massen im Film bzw. in den Massenmedien auf eine bis dahin ungeahnte Weise aneinander gekoppelt werden können. "Am Beispiel der Inszenierung der Nation zeigt sich, welche komplexe Rolle moderne Medientechnologien für die ästhetische Formung des Politischen und die Erstellung des Imaginären der Nation spielen." Riefenstahls nachträgliche Montage von Julius Streichers Rede auf dem Nürnberger Parteitag im Film "Triumph des Willens" kann dafür als Beleg gelten. "Seine Struktur zeugt von einer durchgehenden Ästhetisierung, die nicht nur die Abfolge der Sequenzen, also Schnitt und Montage, sondern ebenso die Kameraführung und den 'durchchoreographierten' 'Sound-mix' betrifft." Aufschlussreich wäre hier eine detailierte Analyse der (pseudo-)religiösen Machtpräsentation und der Politik der Einschüchterung gewesen, deren sich die Nationalsozialisten auf geschickte Weise bedienten.

Teilweise sind die Regeln, denen die Ästhetisierung der Politik folgt, bei Nationalsozialisten wie Kommunisten identisch. Statt nach einer faschistischen Ästhetik zu suchen, wäre nach den Anschlussmöglichkeiten der Politik an ästhetische Formen zu fragen und folglich auch nach den dadurch ausgeschlossenen Möglichkeiten. Ein Merkmal der Kunst im Nationalsozialismus ist ja gerade, dass sie die politische Gewalt nicht offen zeigt, sondern sie vielmehr hinter einer monumentalen Fassade versteckt. Die Theorie müsste generell auf substantialistische Deutungen verzichten, die Politik und Literatur in eine 1:1-Entsprechung bringen.

Solche Versuche werden durch die kanonisierten Literaturkonzepte erschwert. Gleichwohl kann eine Aufarbeitung nicht schaden. Schlaglichtartig beleuchtet werden die Herrschaftsästhetik im Alten Orient und die poltische Implikation der Naturdarstellungen in Antike und Neuzeit. Mit der ästhetischen Religiosität als politisches Konzept, mit der die führenden Geister der Weimarer Klassik die gesellschaftliche Ordnung noch einmal im Absoluten verankern wolten, befasst sich Ernst Müllers Beitrag zu Kants, Schillers und Humboldts Ästhetik. Den Trostzuspruch, die Erbauung und "Mangelkompensation für die reale Lustversagung" lastete Herbert Marcuse der klassischen Ästhetik als Flucht in eine Scheinwelt an. Einen Überblick über Marcuses Ästhetik, die den 68ern das Material für ihre Attacken gegen die "bürgerliche Kultur" lieferte, gibt Waltraud Naumann Beyer. Die beiden Aufsätze über Foucaults Konzept der Lebenskunst und Richard Rortys Schriften zur Ironie berühren das Thema des Sammelbandes allenfalls am Rande.

Überzeugend und textnah führt Sabine Mainberger aus, wie poetische Texte auf politischen Verhältnissen aufbauen können. Am Beispiel dreier Texte - George Steiners "Proofs", Wolfgang Hilbigs "Ich" und José Saramagos "Historia do Cerco de Lisboa" - vergleicht sie die Arbeit literarischer Korrektoren mit der eines Spitzels. "Wo es sanktionierte Texte gibt, da gibt es auch Argusaugen der Überwachung: vor dem Blick des Zensors kommt der des Spitzels, vor der 'Korrektur' die Denunziation."

Titelbild

Karlheinz Barck / Richard Faber (Hg.): Ästhetik des Politischen - Politik des Ästhetischen.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1999.
290 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3826017455

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