Das Ärgste, was sein Werk betraf: die Adorniten
Zu Heinrich Pachers „Die Spontaneität der Literatur. Studien zur Literaturtheorie Adornos“
Von Sebastian Schreull
Besprochene Bücher / LiteraturhinweisePhilosophien, die ihre Form, das Wie ihres Schreibens nicht als Nachrangiges oder durch eine wie auch immer hegemoniale Standardsprache der Wissenschaft festgelegt begreifen, haben es schwer. Nicht allein, dass sie dem Leser einiges abverlangen, den Vollzug der Lektüre sogar als Moment des Werkes selbst behaupten; sie überleben gar in den Zumutungen ihrer Leser. Gleich ob nun der Name Derrida oder Lacan, Benjamin oder Adorno einen Corpus zusammenhält, in dieses schreiben sich Dissertationen ein, die engagierte Kampfansagen gegen die Grablegung des jeweiligen Autors in der Akademie darstellen wollen, sich aber in Wirklichkeit als deren Vollstreckung erweisen: Wie Gespenster ragen die Zitate aus den Texten, wie Heimsuchungen für den aufmerksamen Leser, dass hier etwas im Unangemessenen verbleibt.
Doch statt dem Dünkel der Verachtung muss diesen lesenden Schreibern doch auch einmal Anerkennung widerfahren, könnte man meinen: Sie haben sich immerhin auf Werke eingelassen, mit denen kein guter Anfang zu machen ist. Zum einen wächst die Gefahr, mit solchen Thematiken bestenfalls im Mittelbau der Akademie zu versauern. Zum anderen lässt sich mit diesen Werken schwerlich arbeiten: Es ist verflixt; kaum ist ein Gedanke aus diesen umherschweifenden Konstellationen gelöst, schon springt einem die Unterbestimmtheit des eigenen Schreibens entgegen und die Dichte dieser Darstellungsweise. Kaum ist ein Satz ausgespäht, wo einem etwas Definitionsähnliches begegnet, schon findet sich eine andere Stelle, die Gegenteiliges behauptet. Ein nur scheinbarer Ausweg bleibt da immer: Den logischen Widerspruch mit Etikettierungen wie Dekonstruktion oder Dialektik zu vertuschen, dem vermeintlichen Metaphernsalat und Begriffswirrwahr erst gar nicht zu begegnen, sich mittels Zitatencollage und Assoziativität zumindest selbst stilistisch in eine Nähe zu diesen Verfahrensweisen zu bringen. Denn „was überwissenschaftlich sich dünkt“, bleibt doch meist „eitel vorwissenschaftlich“ (Adorno).
Demzufolge hat Pacher sich nicht wenig vorgenommen. Er will die Behauptung in ein gültiges Urteil überführen, dass Adornos Begrifflichkeiten die blinden Flecken der Literaturwissenschaft ausleuchten könnten. Jedoch benennt er auch frank und frei das Problematische seines Verfahrens: Denn er hat ja bloß vor, mit Adornos Begriffen „weiterzuarbeiten, ohne daß dabei die Begriffe ein weiteres Mal zum Gegenstand einer ausführlichen Exegese von Adorno-Texten, in denen sie auftreten, gemacht würden“. Gut, vielleicht eine Koketterie, will man denken. Und die Überlegungen zu seinem Vorgehen werden noch spannender: Eine dialogische Methode nach Zima soll hier erprobt werden, die mittels aktueller Theorien Licht auf die ältere, hier also Adornos, wirft, um bis dato vernachlässigte Schichten dieser freizulegen. Angesichts von Pachers Abneigung gegen eine Arbeit am Begriff, darf wohl gefragt werden, wie dies nun anzustellen sein soll, wenn die Exegese ausgeblendet wird. Wie soll denn nun verglichen werden, wenn das Vergleichende so unterbelichtet ist?
Pachers eigenes Verfahren ist eben ein solches, wie es Adorno leidenschaftlich kritisierte. Immer mal wieder wird Pacher das Vage, die Abwesenheit der Definiertheit von Begriffen in seinem Gegenstand bewusst. Statt dies aber als Problem zu erkennen, vielleicht sogar als darzulegende Kritik an systematischen Verfahren, wird dies so Unbegriffene als Gesetztes schlecht affirmiert oder, was von größerem Übel ist, Pacher wird selbst theoretisch tätig – er wird schlecht-abstrakt. Anstatt also immanent den Begriffskonstellationen nachzuspüren, den Konfigurationen der Begriffe im Verhältnis zu sich selbst und ihren Gegenständen, pickt Pacher sich also erstmal einen raus: die Stimmigkeit.
Nun könnten die betreffenden Passagen bei Adorno gelesen und irgendwie zu einer halbwegs kohärenten Interpretation verflochten werden. Nur warum solch schwierige Texte lesen? Denn Stimmigkeit sei ja aus dem Verhältnis von Element und dem Ganzen des Kunstwerks ,irgendwie‘ resultierend, und wesentlich für Pachers Stimmigkeitsontologie ist natürlich auch noch der Künstler. Nur kurz darum ein Blick ins Philosophische, in den „Essay als Form“: „Aber wie kaum sich ausmachen läßt, was sich da und dort gedacht, was er gefühlt hat, so wäre aus derlei Einsichten nichts Wesentliches zu gewinnen. Die Regungen der Autoren erlöschen in dem objektiven Gehalt, den sie ergreifen.“
Daraus hätte man ja Schlüsse ziehen können. Wieso aber nicht im vollendeten Widerspruch mit demjenigen schreiben, den man vorgibt, wieder in den literaturwissenschaftlichen Diskurs einspeisen zu wollen? Neben psychologistischen Spekulationen darüber, wann einen Künstler „das allzu stabile Gleichgewicht eines Werks […] ‚ärgert‘“ und er die „Stimmigkeit“ neu justieren müsse, entwirft Pacher eine Produktionsästhetik, die sich die Schaffung eines Kunstwerks nach dem Legobausteinkasten modelliert: „Abhängig sind die Elemente voneinander, insofern im Verlauf des Produktionsprozesses bei der Hinzunahme eines neuen Elements die Beschaffenheit der bereits in das Kunstwerk eingefügten Elemente berücksichtigt werden muß; es können nur Elemente hinzugefügt werden, die zu den vorhandenen Elementen hinzupassen“.
Und um dies irgendwie Adorno unterzuschieben, greift nun Pachers dialogische Theorie: Bei Niklas Luhmann steht auch das Wort Stimmigkeit und auch eine Passage, die stimmig mit seinen Vorstellungen zu machen ist, was denn nun einem Künstler beim Schaffen so widerfährt. Beide Theoretiker eine, dass „sich aus der Setzung des ersten Elements, mit welcher der Produktionsprozeß beginnt, Erfordernisse ergeben, denen in seinem weiteren Fortgang Rechnung getragen werden muß, insofern die hinzutretenden Elemente zum ersten und dann zu allen weiteren bereits gesetzten Elementen passen müssen.“ Dialogische Theorie heißt hier: Finde ich mein Schema beim einen nicht bestätigt, weiche ich auf den anderen Theoretiker aus. Auch da muss nicht viel systematisch rekonstruiert werden, es passt schon irgendwie. Und wenn Pacher dann schon ‚belegend‘ argumentiert, wird recht schnell deutlich, warum er dies sonst unterlässt und lieber bei Behauptungen verbleibt. Er zitiert: „In diesem Sinne spricht Adorno von der ‚Verpflichtung‘, die mit dem ‚ersten Takt einer Musik‘ eingegangen wird, ‚dessen Desiderate man bis zum letzten Ton nicht mehr loswird, der das Gleichgewicht herstellt‘“. Das Zitierte wurde korrekt ausgewiesen. Als ‚korrekt‘ erweist sich hier aber sonst nichts. Denn Adorno äußert in diesem Brief an Thomas Mann, dass er Bedenken gegen eine Ansiedlung einer Erzählung in den 1920er-Jahren hätte, da dies für die Modellierung der Figuren von Bedeutung sein könnte. Er schreibt: „Indessen geht man doch mit solcher Transposition der Jahreszahlen eine Art von Verpflichtung ein, ähnlich wie beim ersten Takt einer Musik, dessen Desiderate man bis zum letzten Takt nicht loswird, der das Gleichgewicht herstellt.“
Man steht ratlos davor. Hatte hier jemand darauf gehofft, dass man nicht nachlesen würde? Oder ist diese Arbeit ein groß angelegter Versuch zu demonstrieren, wie begrifflich auf den Hund gekommen eine akademische Literaturtheorie ist, die diese Arbeit als ihr Moment anerkennt?
Schließlich lässt der hier rezensierte Autor kaum etwas aus, was nicht diesen Verdacht nähren könnte. Der vermeintliche Lapsus bezüglich der ‚Gegenüberstellung‘ Luhmanns und Adornos ist eben keiner, denn dafür gibt es viel zu viele Exemplifizierungen: Wenn er etwa in seinem Vergleich von Derrida und Adorno abschließend großspurig feststellt, dass „einer der fatalsten Fehler Derridas darin besteht, den Unterschied zwischen den Textgattungen zu unterschätzen“, dann wird schnell klar, weswegen Pacher nicht eine ausführliche und in Derridas Werk sich bewegende Interpretation anstellt (er arbeitet nämlich mit zwei Titeln der Sekundärliteratur, die mit den üblichen Gerüchten über die Dekonstruktion aufwarten; der Klappentext verspricht aber „eine präzisere Beschreibung“ dieses Verhältnisses – ein Euphemismus). Sonst hätte er vermutlich „Signatur Ereignis Kontext“ wirklich gelesen, wo eine solche Setzung der Verschiedenheit der Textgattungen gerade einer ausführlichen Kritik unterzogen wird. Und wo Pacher irgendwie ahnt, dass ein strukturalistisches Zeichenmodell vielleicht Grenzen haben könnte, so muss dieses Adorno dann doch substruiert werden, wenn eine Differenz zu Derrida die sei, dass er von „der Annahme eines festen Bedeutungskerns der Zeichen“ ausgehe oder am Ende der Signifkantenkette doch „die außersprachliche Realität und das Leiden in ihr“ stehe. Wieder und wieder Klischees: In der Dekonstruktion sei alles bloßer Text und kritische Theorie nehme an, Welt und Sprache seien wohl geschieden. Nur merkwürdig, dass diese Unterscheidung auch im Medium Sprache erfolgt. Pachers Geraune darüber, dass Sprache „ohne das Ausblenden des Nichtidentischen nicht möglich ist“, markiert die Fremdheit seiner theoretischen Arbeit mit dem Ansatz Adornos: Wäre das Nichtidentische jenseits der Sprache, dann wüssten wir um es lediglich in einer unvermittelten Unmittelbarkeit, einer Offenbarung.
Aber Pacher hat Adornos Trick erkannt, schließlich gehe es darum, die „Sprache gegen die Sprache“ zu wenden – und mit dieser paradoxalen Konstruktion wähnt er sich bei einem Resultat, wo zu beginnen wäre, ähnlich wie er die „Sprachmagie“ ständig erklärend herbeizitiert. Und ja, diese findet bei Adorno und Benjamin Erwähnung, aber sie ist Metapher für ein begriffliches Problem, welches entfaltet werden müsste. Wären Pachers Überlegungen dazu Adornos Gedanken, wäre er tatsächlich etwa der Devianzpoetik verpflichtet, da er ja die „Abweichung“ der Dichtung „von derjenigen der Alltagskommunikation“ betonen wolle, achtete er tatsächlich auf die „Empfindungstöne“ der Worte – Adorno wäre zu Recht vergessen. Daran wird eines deutlich: Die hegemoniale Adornokritik mag unterbestimmt sein, an Adorniten gewinnt sie ihre Legitimität.
Eine Literaturtheorie oder deren Rekonstruktion steht und fällt mit ihrem Begriff der Sprache, soviel linguistic turn muss sein. Was Pacher hier alles an Aporien und Fehlschlüssen auffährt, wären treffliche Exemplifizierungen für eine Einführung in die Sprachphilosophie. Denn Adornos Konstellationen vom signifikativen und nicht-signifikativen Moment der Sprache, sprich dem Verhältnis von Sprache als Mittel und Medium, könnten Anfang einer Rekonstruktion seiner Literaturtheorie sein, die wirklich ein Neues leistet. Etwa die Herausarbeitung, dass die Widerfahrnisse des individuellen Lebens in ihrer Darstellung der Literatur bedürfen, weswegen sie einer begrifflichen Darstellung entgleiten müssen, warum Literatur ein anderes Wissen um die Welt bereitet. Aber wer hatte gesagt, dass es hier um Adorno gehen sollte?
Sehr spärlich sind die von Pacher einer Auslegung unterzogenen Adornostellen, und Auslegung stellt sich hier zumeist als eine verschlimmernde, sprich: verdunkelnde Reprise des an anderer Stelle umfangreicher und begrifflich anspruchsvoller Getätigten – etwa in Christoph Menkes „Souveränität der Kunst“ oder Alexander García Düttmanns „Kunstende“ (ohne dass Pacher sich die Mühe um eine angemessene Sichtung und Analyse der Sekundärliteratur auch nur ansatzweise macht). Auch breiten wir einen Mantel wohlmeinenden Schweigens über seine ‚Kritik‘ Adornos. Einen Strohmann aufbauen und ihn treffen, das kann jeder.
Eine angemessene Rekonstruktion der Literaturtheorie Adornos bleibt also ein Desiderat. Jene Arbeit, die wohl besser den Titel „Die Spontaneität der Literaturwissenschaft. Studien zur Literaturtheorie Heinrich Pachers“ getragen hätte, gebührt eine Einsortierung in die Sparte, die in jeder anständigen Universitätsbibliothek für die überbordende Mehrheit der Qualifikationsarbeiten kritisch-theoretischer, dekonstruktiver oder post-was-auch-immer Provenienz einzurichten wäre: die der Allotria. Das klingt auch gut und die Gefahr der Willkür bei der Einsortierung ist ein Geringes gegenüber der Qual, sich im Ernst durch diesen begrifflichen Unfug zu arbeiten. Dies könnte auch eine Maßnahme wider die Lähmungserscheinungen sein, sich an die Aktualisierungen jener Philosophien zu wagen, deren Komplexität zumindest versprechen, den Gegenstand Literatur auch wirklich zu treffen.