Bis das Haus vor Zorn zusamm’ fallt

„Unsere Architekten“, bekrittelt und missverstanden: Ursula Muscheler hat einen Band über literarische Architekturkritik von der Antike bis heute herausgegeben

Von Laura WilfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laura Wilfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Jeder Architekt ist eben kein Licht“, behauptet Kurt Schwitters, wahrscheinlich nicht unzutreffend und noch recht respektvoll im Vergleich zu den übrigen Urteilen über den genannten Typus, der hier ausgiebig „verschimpfiert“ wird, wie es in einer zitierten Balzac-Übersetzung heißt. Offensichtlich bewegt sich die Architekturkritik, von der einleitend die Rede ist, weniger noch als jede andere Kritik im Bereich des Konstruktiven, das hier, ganz wörtlich, den Spezialisten des Bauens überantwortet wird: Der Kritik im Medium des Wortes bleibt damit das symbolische Einreißen übrig, der Verriss, der jedes neu errichtete Bauwerk grundsätzlich bemäkelt und schlimmstenfalls, aber nicht selten seinen Abriss empfiehlt. Die übliche Architektenschelte, wie die Herausgeberin Ursula Muscheler, selbst Architektin, fachkundig bekennt – und damit diese „ Alpträume der Architekten“ dennoch einen ästhetischen Mehrwert behalten, hat sie für diesen Band die Literaten unter den Architekturkritikern herausgesucht.

Der Bogen ist weit gespannt, er reicht von der Antike bis zur unmittelbaren Gegenwart, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert: „Unsere Architekten“ in der Perspektive unserer, das sind hier vornehmlich europäische und in der Mehrheit deutsche und französische Dichter und Denker, ergeben in der Tat ein klägliches Bild. In den lose chronologisch geordneten Auszügen und knappen Passagen aus literarischen und essayistischen Betrachtungen zeigt sich ein oft geschmähter verhinderter Künstler (nicht selten mit Schnurrbart) mit unzeitgemäßen ästhetischen Vorstellungen, absurden finanziellen Ansprüchen und ausnahmslos schlechtem Geschmack. Weitere Erscheinungsformen sind der detailversessene Tyrann (Paul Scheerbart), der sein Kunstwerk ungern dem Nutzer überlassen mag, der bestechliche Bürokrat (Ferdinand Raimund, Iwan Turgenjew), dem der Aufbau seines Privatvermögens über alles geht, der „Nutzraumfanatiker“ (Julien Green), der lediglich baut, damit irgendwann alles zugebaut ist, und, was quasi für alle gilt, der „Räuber des Kronschatzes“ (Louis-Sébastien Mercier), der öffentliche Gelder für die Umsetzung seiner wahnhaften Gebilde verprasst.

Und als ob eine Baumaßnahme, die, rein äußerlich betrachtet, als „grässliches Zeug“ (Jacob Burckhardt über London), als „Verschlimmerungswerk“ (Victor Hugo über Paris) und ‚ästhetische Verwüstung‘ (Otto Julius Bierbaum über Florenz) verstanden wird, nicht schlimm genug wäre, trifft den Baumeister und sein Werk ein weiterer Vorwurf: „hier wohnen unmöglich“, befindet Marina Zwetajewa in einer Neubausiedlung, auch Ernst Bloch fehlt, was allerdings kaum verwundern mag, am Bauhausbauen das „Schlupfwinklige“, und Alfred Lichtwark, immerhin zu Besuch im Arbeitszimmer des Ästheten Henry van de Velde, stößt in dasselbe Horn: „Unbehaglicheres kann ich mir nicht denken.“ So erscheint es ebenso ungewöhnlich wie konsequent, was Ludwig Börne lange zuvor bereits feststellt: „Selten bewohnt der Architekt ein Haus, das er selbst gebaut.“

Wozu also das Ganze? Warum eigentlich kann es der in der Regel ja sorgfältig ausgesuchte Architekt, und dies offenbar seit jeher, keinem Recht machen? Was macht den Architekten zum alleinigen Sündenbock für vermeintliche Bausünden, die letztlich auch der Finanzier und Bauherr mit zu verantworten hat? Ein Grund mag, und das wird durch die ausgewählten Textpassagen gleich welcher Gattung hinreichend belegt, der nicht gerade geringe Anspruch der Ingenieurswissenschaft Architektur sein, die sich, so wollen es zumindest Geschichte und Theorie, der Ästhetik wie der Pragmatik, dem Schönen und dem Nützlichen gleichermaßen verpflichtet weiß. Dass es nur selten gelingen will, beidem gerecht zu werden, ohne dass eines allzu deutlich in Diensten des anderen steht oder auf Kosten des anderen ästhetische oder funktionale Mängel aufweist, zeigen gerade die namhaften Bewegungen der Moderne, wie jene bauhausverwandte, die kurzerhand „das Nützliche für schön“ erklärte (Bertolt Brecht) und mit dieser Gleichung, zumindest in Brechts Geschichte, auf ganzer Linie scheitert.

So gerät der Architekt, und zwar jener oft namenlos bleibende Durchschnittskollege, dem die Herausgeberin nicht von ungefähr ihre Sympathien schenkt – weit weniger als der über die gemeinen Kritteleien erhabene Star-Architekt – also wiederholt an den „Pranger“, wie es im dritten Abschnitt von Ursula Muschelers Anthologie heißt. In der Tat liest sich das Ganze ein wenig wie eine Ehrenrettung dieses verkannten Berufszweiges. Dazu setzt Muscheler den drei etwas ungleichen Abschnitten ihrer Sammlung jeweils einen knappen Einleitungsessay voran, der die Misere erneut auf den Punkt zu bringen versucht. Weitere Episoden aus Film, Theater und dem wirklichen Leben (Prinz Charles gegen Richard Rogers) illustrieren die zuweilen dramatischen Daseinsbedingungen dieser „Symbolfigur des Scheiterns“, wobei sich die einzelnen Kapitel kaum wesentlich voneinander unterscheiden lassen. So scheint die Dreiteilung hauptsächlich der suggestiven Wirkung der offenbar im Zusammenhang zu lesenden Zwischentitel geschuldet: „Unsere Architekten“ – „Und ihre Bauten“ – „Am Pranger“.

Wer sich die Sammlung weniger aus Interesse an der Figur des Baumeisters denn wegen der zitierten Autoren vornimmt, mag vielleicht an der Mischung aus essayistischem Sachtext und Romanpassage Anstoß nehmen. Genannt sind lediglich der Autor und das Erscheinungsjahr, ob es sich um den literarischen Reisebericht des Verfassers oder einen Ausschnitt aus einem Roman, einer Satire, einer Parabel handelt, erschließt sich mit etwas Kenntnis erst aus dem Verzeichnis der Textnachweise im Anhang. Anstelle des Werktitels, dem der zitierte Abschnitt entstammt, haben die längeren Passagen sloganartige Überschriften erhalten, die etwas willkürlich die Pointe vorwegnehmen wollen. Die kürzeren Texte dagegen sind, was gleichfalls mehr irritiert als optisch anspricht, in anderer Type gesetzt und ausgezeichnet.

Originell ist die Sammlung trotz dieser formalen Beanstandungen, denn dieser Gang durch die Jahrhunderte zeigt mit einem Panorama der vermeintlichen baulichen Scheußlichkeiten auch den Wandel der Stile und Geschmäcker: im Barock stört man sich am „Stuckfirlefanz“ (Giovanni Pietro Bellore), zur Zeit des Klassizismus am Säulenwahn (Louis-Sébastien Mercier), in den 1920er-Jahren an der soldatischen Gleichförmigkeit des modernen Städtebaus („Häuser angetreten“, Marina Zwetajewa), in der DDR am praktischen „Arbeiterschließfach“ (Heiner Müller) und heute stößt man sich an futuristischen Bauwerken, wo „die Eingeweide außen und die Arschlöcher innen säßen“. Dem gescholtenen Architekten sei also Geduld empfohlen, zumindest, wie George Sand rät, bis genug Efeu über sein Bauwerk gewachsen ist.

Titelbild

Ursula Muscheler (Hg.): Unsere Architekten. Feinste Verrisse von Cicero bis Thomas Bernhard.
Transit Buchverlag, Berlin 2011.
125 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783887472542

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