„Die Marquise von O….“ als Fotoroman

Heinrich von Kleists berühmte Novelle ist in einer besonderen Ausgabe mit Aufnahmen aus Eric Rohmers gleichnamigem Film erschienen

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Dem Kleistschen Text Wort für Wort zu folgen, war das leitende Prinzip unserer Verfilmung. Am liebsten würden wir bei dieser Arbeit an einem klassischen Text die vergangene Welt mit der gleichen Detailtreue zeichnen wie wir es in unseren ,Moralischen Erzählungen‘ hinsichtlich der Welt von heute versucht haben. Zweifellos kann eine solche Wiederherstellung niemals absolut getreu sein. Unser Versuch ist kein wissenschaftlicher. Aber vielleicht ist es möglich, durch die filmische Übersetzung Sitten und Empfindungen einer vergangenen Epoche besser zu erfassen. Ein Werk verjüngen heißt nach unserer Meinung nicht, es zu modernisieren, sondern es in seine Zeit zu stellen.“

In seinen „Anmerkungen zur Inszenierung“ von Kleists „Die Marquise von O….“ macht der französische Regisseur Eric Rohmer deutlich, was er mit seiner 1975 entstandenen, gleichnamigen Verfilmung vor allem beabsichtigt hat: Das Verständnis der Novelle zu erleichtern, indem er die Zeit, in welcher ihre Handlung angesiedelt ist, wieder lebendig werden lässt. Das geschieht im Film mit Hilfe des Dekors, der Kostüme, vor allem aber mit der Sprache und Gestik der Protagonisten.

Rohmers filmische Darstellung der Novelle, in der eine in Norditalien lebende, verwitwete Marquise nach dem Einzug russischer Truppen in ihre Heimat unwissend schwanger wird und damit ungewollt einen schweren familiären Konflikt auslöst, wurde 1976 bis 1978 mit vielen deutschen wie ausländischen Preisen beehrt, darunter für die beiden Hauptdarsteller Bruno Ganz (als Graf) und Edith Clever (als Marquise).

Nun hat der Verlag Schirmer Mosel zu Kleists 200. Todestag am 21. November dessen 1808 erschienene Novelle neu herausgebracht. Und zwar als „Fotoroman“. Denn dem Text stehen 64 Farbaufnahmen aus dem im mittelfränkischen Obernzenn gedrehten Film gegenüber. In seinem kurzen, informativen Nachwort greift Andreas von Flotow dabei schon einer möglichen Kritik an dieser Text-Bild-Montage vor: „Die Selbstständigkeit zweier grundverschiedener Kunstformen droht übergangen zu werden. Entweder ist Eric Rohmers Film dem Risiko ausgesetzt, als bloße Illustration dienen zu müssen, oder Kleists Novelle erscheint schlicht bildlich erweitert und nurmehr Mittel zum Zweck.“

Dem ist nicht so. Im Gegenteil. Die Lektüre des Buches reizt den Leser, sich den Film nochmals anzusehen, beides miteinander zu vergleichen und nachzuprüfen, inwieweit der 2010 verstorbene Regisseur seinem Anspruch, der Novelle Wort für Wort zu folgen, gerecht geworden ist. Dadurch vertieft sich nicht nur das Wissen um die Handlung. Beiden Werken, Novelle wie Film, gewinnt man neue Seiten ab, wird auf die Visualität der „Marquise von O….“ genauso wie auf die Literarizität der Rohmer’schen Inszenierung aufmerksam. Die Filmbilder sind so mehr als bloße Illustrationen, sie korrespondieren mit dem Text, spiegeln ihn.

Die vorliegende Ausgabe, die von Flotow als ein „Buch neuen Typs“ beschrieben wird, regt an, die Novelle wie den Film mit anderen Augen zu sehen. Die schöne Gestaltung mit den hochaufgelösten Aufnahmen tut auch ein übriges dazu, den gut 140-seitigen „Fotoroman“ aus der Vielzahl der bisherigen „Marquise“-Ausgaben hervorstechen zu lassen. Wer übrigens mehr über Eric Rohmers Kleist-Verfilmung erfahren möchte, dem sei an dieser Stelle eine inzwischen nur noch derantiquarisch erhältliche Ausgabe (Insel Verlag. Frankfurt am Main 1979) der Novelle empfohlen. Darin finden sich im Anhang unter anderem neben (Schwarzweiß-)Fotos aus dem Film die oben zitierten „Anmerkungen zur Inszenierung“ sowie ein Interview des Herausgebers Werner Berthel mit dem Regisseur.

Titelbild

Heinrich von Kleist: Die Marquise von O.... Mit Filmbildern von Eric Rohmer.
Schirmer/Mosel Verlag, München 2011.
145 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783829605717

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