Literarischer Kolonialismus

Eva Blomes Untersuchung der Konstruktion von „Rasse“ und Sexualität in deutschen Romanen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Literatur des frühen 20. Jahrhunderts erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit, wenn es darum geht, ein Forschungsthema für eine wissenschaftliche Qualifikationsarbeit zu finden. Auch Eva Blome bedient sich aus dem reichhaltigen Fundus der offener Fragen, welche diese literarisch hochinteressante Epoche noch immer zu bieten hat, und untersucht in ihrer Dissertation mit dem Titel „Reinheit und Vermischung“ den „diskursiven Zusammenschluss von literarischkulturellen Rassenentwürfen und Sexualität“ in der deutschsprachigen Literatur der Zeit am Beispiel des „Motivs der ‚Rassenmischung‘“. Wie sie zeigt, taucht es in den unterschiedlichen literarischen wie nichtliterarischen Textsorten auf, „in der Literatur des Kolonialdiskurses, in der Unterhaltung- und exotischen Literatur, in literarischen Texten der expressionistischen Avantgarde, aber auch in nichtliterarischen, (proto-)wissenschaftlichen und theoretischen Texten aus Kunst- und Kulturgeschichte sowie Rassenkunde und Eugenik“.

Interessant ist nun nicht zuletzt, dass die Konstruktion der „‚interrassischen‘ Paare“, die im ausgehenden 19. Jahrhundert „die Bühne des politischen und literarischen Imaginären in Deutschland betraten“, nichts mehr mit den „das imperiale Projekt in positiver Weise verkörpernden romantischen Liebespaaren“ gemein hatte, „die in der Mythenbildungsmaschinerie der europäischen Kolonialmächte bisher eine Rolle gespielt hatten“. An diesen Befund knüpft die Autorin eine zentrale These, die besagt, „dass literarische Texte in Form von fiktiven Experimenten die negativen Konsequenzen ‚interrassischer’ Sexualkontakte inszenieren, die dem (kolonialen) Rassediskurs zur Behauptung einer Gefährdung des Individuums und der Nation durch ‚Rassenmischung‘ dienen“. Wie der Subtext des Ausdrucks dienen insinuiert, handelt es sich dabei um eine von den AutorInnen beabsichtigte Funktion. Zudem wirft Blohmes interpretationsbedürftige Formulierung die Frage auf, ob sie sagen will, dass es (neben anderen auch) derart absichtsvoll funktionale Texte gibt, oder ob eben dies das Wesen all dieser Texte ausmacht.

„Auf Grund ihrer metaphorischen Übertragung und narrativen Möglichkeiten“ eignen sich literarische Texte der Autorin zufolge jedenfalls in geradezu „exzeptioneller Weise“ dazu, „individuelle Körper“ mit einem „‚rassisch’ definierten Gemeinschaftskörper“ zu verbinden. Zwar werde so nicht nur „die Stabilität des Konzepts der ‚Rasse‘ garantiert“, sondern zudem dessen politische „Funktionalisierung“ allererst ermöglicht. Doch stelle sich auch die Frage, ob sie nicht zugleich die „Möglichkeit einer destabilisierenden Lesart“ eröffnen. Zumindest aber sei die „diskursive Grenze zwischen dystopischen und utopischen Entwürfen der ‚Rassenmischung‘ durchlässiger, als es auf den ersten Blick erschienen mag“.

Die vorliegende Studie möchte zum einen zeigen, dass in der Zwischenkriegszeit eine „Ästhetisierung von ‚Rassereinheit‘ entwickelt wurde, die „deren biologistische Definition in großen Teilen ablöste“. Dies gelingt der Autorin überzeugend. Ihr „zentrales Erkenntnissinteresse“ fasst darüber hinaus „die sich gegenseitig überlagernden machtpolitischen, ästhetischen und poetischen Dimensionen der Verknüpfung von Sexualität und (kolonialen) Rasseentwürfen“ ins Auge. Dabei entfaltet Blome eine Trias, deren erster Teil die Frage aufwirft, „wie narrative Entwürfe einen politischen Auftrag erfüllen, indem sie die hypothetischen Konsequenzen der Vermischung in unterschiedlichen Konstellationen durchspielen“. Auch diese Fragestellung impliziert bereits die absichtsvolle Dienstbarkeit der (Kolonial-)Literatur für die (Kolonial-)Politik. Das zweite Moment der Trias geht der „Attraktivität des Phänomens der ‚Rassenmischung‘ für zeitgenössische ästhetische und poetologische Konzeptionen“ nach, das dritte beleuchtet „die literarischen Transformationen des Themas und ihre selbstreflektive Wendung als wirkmächtige Bestandteile des allgemeinen gesellschaftspolitischen Diskurses über ‚Rassen‘ und ihre Vermischung.“

Blomes Quellenkorpus setzt sich aus heute oft nur wenig bekannten Werken zusammen, wie das bei einer Untersuchung zur Kolonialliteratur auch kaum anders zu erwarten ist. Allerdings stammen sie nicht selten aus der Feder bekannteren AutorInnen, wie etwa Willy Seidels fantastischer Text „Yali und sein weißes Weib“, Carl Sternheims Erzählung „Ulrike“ oder Gabriele Reuters Briefroman „Margaretes Mission“, auf dessen Interpretation Blomes hier ein etwas genauerer Blick geworfen werden soll. Zwar apostrophiert die im Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz forschende Ethnologin und Literaturwissenschaftlerin den Roman als „Beitrag zum literarischen Kolonialismus“, doch räumt sie in einer Fußnote immerhin ein, „die Darstellung der ‚interrassischen‘ Beziehung“ erfahre in ihm „eine interpretatorische Umakzentuierung, wenn man das darin enthaltene Statement gegen die Ehe“ der weißen Titelheldin mit einem Schwarzen „im Kontext von Reuters literarischen wie nicht-literarischen Stellungnahmen gegen die Ehe im Allgemeinen insbesondere auf Grund der negativen Konsequenzen für Frauen liest“. Doch das exkulpiert die Literatin Blome zufolge keineswegs vom Vorwurf des Rassismus, sondern weitet diesen im Gegenteil auf feministische Bestrebungen der Zeit aus. Denn „die eindeutig vorhandenen rassistischen Wertungen des Briefromans“ sind Blome zufolge „Teile einer gegen die Ehe gerichteten und in der emanzipatorischen Frauenbewegung beheimateten Argumentationsstrategie“.

Im Weiteren vergleicht Blome Reuters Roman mit Hans Grimms Novelle „Wie Grete aufhörte ein Kind zu sein“ und vor allem mit Hanna Christallers Kolonialnovelle „Alfreds Frauen“. Wie Blome argumentiert, liegen die Unterschiede in den „Darstellung der ‚interrassischen‘ Beziehung“ darin begründet, ob sie wie bei Reuter „im – als vergleichsweise ‚zivilisiert‘ geltenden – Ägypten angesiedelt“ sind, oder „in den Kolonien Zentralafrikas“, wie bei Grimm und Christaller.

Während sich der Arzt Rochus, der mit einer „türkischen Prinzessin“ ein uneheliches Kind hat, bei Reuter „einer symbolischen Reinigung unterziehen kann“ und schließlich die weiße Titelheldin ehelicht, „bleibt Christallers Alfred, nach der Zeugung eines Kindes mit der Schwarzafrikanerin Godone „als einziger Ausweg der Selbstmord“. Und auch seine Frau Lucy stirbt bald darauf. Die „Ursachen für diesen im Vergleich zu ‚Margaretes Mission‘ tragischeren Schluss“, der nur die türkische Prinzessin ihres Lebens beraubt, sieht Blome wiederum in der „Verlagerung der Erzählhandlung nach Zentralafrika und deren Einbettung in einen kolonialen Kontext“. Dass eigentlich nicht von Ursachen sondern von Motiven zu reden wäre, wird deutlich, wenn sie erklärt, „die Unterschiede in der narrativen Ausgestaltung des strukturell ähnlichen Sujets“ seien „mithin durch eine diskursive Rassenhierarchie bedingt: Der sexuelle Verkehr mit der Türkin Sülzüne wird weniger streng geahndet und hat nicht so weit reichende Konsequenzen wie die Beziehung Alfreds zu Godone.“ Ganz überzeugend ist das allerdings nicht, scheint es doch etwas monokausal gedacht.

Hingegen weist sie auf rund 350 Seiten nach, dass das „aporetische Verhältnis von Reinheit und Vermischung“ der „zugleich biologistisch wie geschichtlich argumentierenden Rassentheorien des ausgehenden 19. Jahrhunderts“ in den ersten Jahrzehnten des 20. eine „narrative Auflösung“ erfährt: „An die Stelle der anthropometrischen Definition von ‚Rassen‘ tritt in der Literatur die symbolische Herstellung von Differenz.“ Zugleich lasse sich an den Texten überhaupt der „imaginären Ursprung der Rassenordnung“ deutlich machen, wie sie nachvollziehbar argumentiert.

Nicht ganz so nachvollziehbar ist allerdings, dass sie Franziska zu Reventlow der „Frauenbewegung um 1900“ zuschlägt. Womöglich kennt sie die Bohèmienne überhaupt nur aus dem Titel eines Buches von Ludmila Kaloyanova-Slavova. Für diese Annahme spricht zumindest, dass sie die falsche Schreibweise des Namens von dort übernimmt.

Etwas gravierender ist, dass Blome bei der ideengeschichtlichen Rekonstruktion des Sozialdarwinismus nicht auf den Ahnherrn des Neukantianismus Friedrich Albert Lange eingeht, der bereits 1865 ein ganzes Kapitel seines Buches über „Die Arbeiterfrage“ unter den Titel des Darwin’schen Topos „Der Kampf ums Dasein“ stellte. Dies aber nicht, um ihn für die Gesellschaft zu propagieren, sondern ganz im Gegenteil um ihn zu bekämpfen. „Kampf gegen den Kampf ums Dasein“, heißt es denn auch pointiert in der fünf Jahre später erschienenen zweiten Auflage. Anstelle des zwischenmenschlichen Kampfes ums Dasein möchte der Sozialist und Marx-Kritiker dessen „Gegensatz“ in der Gesellschafft walten sehen: die Vernunft.

Ungeachtet einiger kleiner Unschärfen hat die Autorin mit dem vorliegenden Buch eine bislang schmerzlich empfundene Forschungsnische gefüllt.

Titelbild

Eva Blome: Reinheit und Vermischung. Literarisch-kulturelle Entwürfe von "Rasse" und Sexualität (1900–1930).
Böhlau Verlag, Köln 2011.
354 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-13: 9783412206826

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