Die Beweggründe bleiben dunkel

Der iranische Autor Amir Hassan Cheheltan begibt sich in seinem Roman „Amerikaner töten in Teheran“ auf die Spuren des antiamerikanischen Hasses in seiner Heimat

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1956 gebürtige Iraner Amir Hassan Cheheltan ist in seiner Heimat ein ebenso erfolgreicher wie beargwöhnter Autor. Während die Leserschaft seine Bücher mag, bekunden die Machthaber damit ihre Mühe. Vor allem die Tatsache, dass er in Persisch und somit für das iranische Publikum schreibt, macht die Sache brisant. Nach Übersetzungen in zahlreiche Sprachen ist 2009 erstmals auch ein Buch von Cheheltan in Deutsch erschienen – als Welt-Erstveröffentlichung. „Teheran Revolutionsstraße“ ist bis heute im Iran verboten. Damit ergeht es ihm schlechter als dem ein Jahr zuvor erschienenen Roman „Amerikaner töten in Teheran“. Der Copyright-Vermerk in der neuen deutschen Übersetzung lässt allerdings tief blicken: „In dieser deutschen Ausgabe erscheint der Roman erstmals ungekürzt und ohne Rücksicht auf die iranische Zensur“.

Wie bloß, fragt man sich erstaunt nach dessen Lektüre, lässt sich dieses Buch kürzen, dass Pasdaran und Mullahs damit zufrieden sein könnten? Cheheltans Roman besteht aus sechs Episoden, die vordergründig kaum miteinander zusammenhängen, die sich aber allmählich und subtil zu einem bewegenden Bild fügen, das Konturen erhält und dennoch rätselhaft bleibt.

Die 1. Episode spielt 1924 vor dem Hintergrund des Ringens zwischen der Sowjetunion und den Westmächten um die Vorherrschaft im alten Persien. Die von Gerüchten angefachte Unrast im Volk entlädt sich am amerikanischen Vizekonsul Robert Imbrie. Wider besseren Rat will er partout muslimische Gläubige bei einem mythischen Schrein fotografieren. Darob geraten die Gemüter in Wallung, die Emotionen kochen hoch und der Amerikaner wird gelyncht.

1953 spielt die zweite. Episode, sie schildert den Sturz der säkularen linken Regierung unter Premier Mossadegh, der zwei Jahre zuvor die Ölindustrie verstaatlicht hat. Imbries Lücke schließt der intrigante Geheimdienstler Kermit Roosevelt, der historisch beglaubigt ist. In mehreren Anläufen und mit Hilfe von Gerüchteküche und dubiosen Elementen gelingt es ihm, das republikanische System zu unterminieren. Cheheltan erzählt diese Vorgänge mit hochauflösender Faktentreue und vergisst dabei auch nicht einen subalternen Offizier zu erwähnen, der sich dem Putsch zu widersetzen versucht. Mag vieles daran die Leser der Übersetzung fremd anmuten, Teheraner Bürger werden die Topografie leicht wiedererkennen.

Zwanzig Jahre später spielt die dritte Episode, unter der rigiden Herrschaft von Schah Reza Pahlevi, welcher die linke wie rechte Opposition allmählich zusetzt. Zur Linken zählt sich auch Resa, ein junger Bursche, der demnächst ein Attentat auf einen amerikanischen Militärberater verüben wird, doch zuvor in einem Bordell seine Jungfräulichkeit verlieren möchte. Im Unterschied zur politischen Brisanz der ersten beiden erzählt diese dritte Episode mit zärtlicher Zurückhaltung, wie Resa dabei an seine Schwester sowie an die Mutter denkt, die sein Engagement im Herzen teilt. Am Ende gelingt der Anschlag.

Darauf folgt die vierte Episode von 1978, die erstmals einen Berührungspunkt zum Vorangegangenen setzt. George Imbrie, der Großneffe des ermordeten Robert Imbrie, landet in Teheran, weil er herausfinden will, weshalb hier Amerikaner getötet werden. In der Hotelbar erklärt ihm ein „Professor“, wie der Iran zwischen Realität und Mythos schwankt, mal zur Vernunft, mal zum Irrationalismus neigend. Hier lernt er auch die hübsche Fremdenführerin Mina kennen, der er von seinem Großonkel erzählt, sie ihrerseits erwähnt ihm gegenüber ihren verschollenen, inhaftierten Bruder. Cheheltan zeigt den Iran im Zwiespalt zwischen Moderne und Mythos anhand kleiner Anekdoten und Geschichten, die er zuweilen nicht näher erläutert und somit schwebend unaufgelöst lässt. Schließlich besuchen Mina und George ein beliebtes Lokal in der Stadt – das von einem schweren Bombenattentat erschüttert wird. Beide kommen dabei um.

Ein halbes Jahr später, in der fünften Episode anfangs 1979, treffen wir Resa wieder. Der Schah ist geflohen, die Rückkehr Chomeinis steht unmittelbar bevor. Resa ist aus dem Gefängnis entlassen worden, unter der Folter ist er zerbrochen und hat Genossen verraten. Es gibt weiterhin Unruhen: „Amerikaner zu töten steht also noch immer auf der Tagesordnung.“ Im Hause trauert die Mutter: über den gedemütigten Sohn, über die ermordete Tochter, über den vor Jahren verlorenen Vater. Sie erinnert sich, wie er 1953 als subalterner Offizier ein Opfer des Mossadegh-Putsches wurde.

Und allmählich werden die Fäden sichtbar, die Cheheltan bis hierhin ausgelegt hat. Der Vater ist jener junge Offizier von 1953, die Tochter ist Mina, und Resa ihr Bruder. Die Geschichte Irans geht quer durch diese Familie. Einfühlsam und bewegend schiebt Cheheltan seine Protagonisten ins Licht seiner Erzählung.

Auf dieser Linie fügt er eine sechste Episode an, vom Sommer 1988, nach dem ersten Golfkrieg. Nach sechs Jahren Haft ist Resa abermals aus dem Gefängnis zurückgekehrt zu seiner Mutter, die nicht mehr von dieser Welt ist. Der närrische Putzfimmel, mit dem er die Haft überstanden hat, hilft ihm nun, Mutter und Wohnung sauber zu halten. Die beiden geben ein erbärmliches, rührendes Bild ab – bis neuerlich die Polizei auftaucht, um Resa abzuholen, nur kurz – für immer. Was als hoch auflösendes historisches Tableau beginnt, endet als bewegende Miniatur, die von Hass und Gewalt und ihren kleinen Opfern erzählt. Resa und Mina sind unglückliche Spielbälle von irrationalen Ressentiments und politischen Ränkespielen – so ungleich ihre Lebenswege auch waren. Ihre Tragik besteht darin, wie Resa im Bordell zu sich selbst spricht, dass er leben möchte wie alle anderen: „Nur wenn man lebt, lernt man das Leben zu schätzen.“ Ein schönes Motto der Vergeblichkeit.

Mögen die historischen Passagen in den Episoden zwei und vier etwas langatmig und allzu detailverliebt geraten sein, am Schluss verfehlt dieses Buch seine Wirkung nicht. Der Autor begleitet seine Erzählung mit sensibler Anteilnahme und mit kritischer Distanz. Ohne eine Antwort zu geben, fragt er gegen Ende, ob das alles miteinander zu tun habe. Ja, so ist es, kann die Antwort am Ende nur heißen. Amir Hassan Cheheltan legt mit „Amerikaner töten in Teheran“ ein hochpolitisches, rätselhaftes, tief trauriges und vor allem faszinierend irrtierendes Buch vor, das nicht für ein westliches Verständnis voreilig geglättet wurde.

Titelbild

Amir Hassan Cheheltan: Amerikaner töten in Teheran. Ein Roman über den Hass in sechs Episoden.
Übersetzt aus dem Persischen von Susanne Baghestani und Kurt Scharf.
Verlag C.H.Beck, München 2011.
192 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783406621604

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