Eine Lady Di des Literaturbetriebs

Wilhelm Hemecker und Manfred Mittermayer haben einen lesenswerten Sammelband über den „Mythos Bachmann“ zusammengestellt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der Zusammenhang zwischen Leben und Werk ist ein zentraler Streitpunkt innerhalb der Bachmann-Forschung“, erklärt Renate Langer in ihrem Aufsatz für einen von Wilhelm Hemecker und Manfred Mittermayer herausgegebenen Sammelband zum „Mythos Bachmann“. Es ist kaum überraschend, dass der Band selbst ihre Feststellung einmal mehr bestätigt.

Mag Langers Aussage auch innerhalb der ansonsten ja durchaus nicht in allen Fragen einigen Gemeinde der Bachmannforschenden nicht nur altbekannt sondern konsensfähig sein, so erweist sich ihr Aufsatz über die „Bruchlinien im Bachmann-Bild“ doch als lesenswert, und das beinahe schon alleine wegen des Lesevergnügens, das seine mal feine, mal maliziöse Ironie bietet, die Langer gleichermaßen den diversen Herren, die sich rühmen, mit Bachmann Brot und Bett geteilt zu haben, wie auch dem Gefolge eines „postumen Kultes“, dem Bachmann „wie eine Lady Di des Literaturbetriebs“ erscheint, zuteil werden lässt. Besagten Herren bescheinigt sie etwa eine „auffallend“ häufige „Lust am Bloßstellen“ Bachmanns. Die Belege hierfür sind, wie man weiß, zahlreich. Langer zitiert unter anderem einige besonders schäbige Ausfälle von Hermann Hakel.

Nicht weniger hart geht sie andererseits mit Karin Strucks „wirrem und hochemotionalem Bachmann-Kult“ und einer bestimmten feministischen Rezeptionsrichtung ins Gericht, die Bachmann in den 1980er-Jahren „als Ikone eines feministischen Leidenskults verehrte“, inzwischen aber längst überwunden ist. Damals aber wurde Bachmann im Zuge des ‚Opferfeminismus‘ gerne mit ihren Figuren identifiziert, wobei die „zwischen Empörung und Selbstmitleid schwankende Leserin“ sich selbst „sowohl mit der Autorin als auch mit deren Figuren“ identifizierte und sich dabei „in der Gemeinschaft der Opfer eines in seinen Strukturen durch und durch faschistischen Patriarchats gut aufgehoben fühlte“, wie Langner fast schon boshaft aber nicht ganz so verkehrt formuliert.

Sigrid Weigels Ende des Jahrhunderts erschienener (Anti-)Biografie „Unter Wahrung des Briefgeheimnisses“ lastet sie an, die Literatin „von allen Körpersäften gesäubert, getrocknet und mit Papier ausgestopft“ zu haben, sodass in dem Buch nur noch ein „blutleerer Automat“ auftrete, „der eines Tages selber Literatur zu produzieren begann, nachdem er genügend Literatur in sich hineingefressen hatte“. Erstaunlich ist, dass Langers Ironie gesättigte Kritik ausgerechnet Jutta Schlichs kurioses Bachmann-Buch „Inzest und Tabu“, verschont. Nicht etwa, dass sie es stillschweigend übergehen würde. Nein, sie erwähnt es sehr wohl; jedoch als eine der wenigen positiven Ausnahmen, die der „von der Bachmann-Forschung weithin gepflegten Tabuisierung“ des „Vater-Tochter-Inzest“ nicht folge leisten und daher „marginalisiert“ werden.

Hingegen wird Weigels Buch „Unterwahrung des Briefgeheimnisses“ nicht nur von Langer kritisch in den Blick genommen, sondern auch von Hans Höller, dessen forschende Engführung von Leben und Werk der Dichterin ihrerseits von Weigel heftig gescholten wurde. Hier nun setzt er sich zur Wehr. Dies aber nicht, indem er sein eigenes Buch verteidigt, sondern, indem er „Weigels großes dezidiert anti-biographisches Bachmann-Buch“ vehement angreift, dem er einen „schwer überbietbaren anti-biographischen Furor“ bescheinigt. Fast aber könnte man meinen, gerade eine solche Überbietung habe er sich zum Ziel gesetzt, wenn er selbst zur Peitsche greift, um die „Inquisitionsformeln“ des Buches zu geißeln und ihm vorzuwerfen, es sei „gedächtnislos“. So droht der Vorwurf des Furors auf ihn zurückzufallen. Doch hat er sehr wohl einiges Bedenkenswerte zur Verteidigung des biografischen Genres sowie von Ansätzen vorzubringen, welche die Biografie eines Literaten oder einer Literatin nicht als völlig bedeutungslos für die Interpretation oder Analyse deren Werkes verwerfen.

„Wir würden nur zu einem sehr harmlosen Verständnis von Leben und Werk gelangen, wenn wir uns dem privaten Geheimnis der Werke verschließen würden“, argumentiert er. Denn „das Private oder das Biographische fast zwanghaft mit ‚biographistisch‘ und ‚reduktionistisch‘ zu assoziieren“ und die „Vernachlässigung der unverwechselbaren Geschichte“ der VerfasserInnen komme einer „ängstlichen Verdrängung der Bedeutungsvielfalt künstlerischer Werke“ gleich. Nun trifft seine Feststellung eines „nie ganz aufzulösenden Verhältnisses von Literatur und Leben“ zwar sicher zu, doch gibt es schließlich ja tatsächlich zahlreiche Interpretationen zumal von Frauen verfasster Werke, die nicht nur einen geradezu „zwanghaften“ biografistischen und reduktionistischen Impetus haben, sondern zudem in einer unseligen Tradition stehen, die Frauen qua Geschlecht die Fähigkeit abspricht, Kunstwerke schaffen zu können, und ihnen gerade mal die Fertigkeit zugesteht, Selbsterlebtes nachzuerzählen. Ein Problem, dass ihm nicht eben unter den Nägeln zu brennen scheint. Jedenfalls wünscht sich Höller, dessen Anliegen es ist, einen „Weg sichtbar“ zu machen, „der aus dem nicht gerade inspirierenden Gegensatz von biographischer Theorielosigkeit und anti-biographischer Konstruktion hinausführen möchte“, dass „der mehr als 500 Seiten umfassenden anti-biographischen Bachmann-Darstellung eine den lebens- und schreibgeschichtlichen Details der Texte zugewandte, genau recherchierte Biographie an die Seite“ gestellt werde.

Nicht alle Beiträge des vorliegenden Bandes gelten den spannungsreichen Forschungsbestrebungen zum Verhältnis von Werk und Biografie der Autorin. Katya Krylowa etwa folgt der Suche nach Spuren, die Bachmann „zwischen Provinz und Moderne“ hinterließ, während Caitríona Ní Dhúill Bachmanns „Poetik des Rauchens“ nachspürt. Hannes Schwaiger lauscht nicht nur anhand von Audio-Aufzeichnungen auf „Ingeborg Bachmanns Stimme im Rauschen der biographischen Diskurse“. Der „fotografischen Konstruktion einer Dichterin“ gilt das Interesse von J. J. Long und Manfred Mittermayer hat sich die „bewegten Bachmann-Bilder im Dokumentar- und im Spielfilm“ angeschaut. Besonders erhellend aber ist Caitríona Leahys Beitrag über „Bachmann als Objekt von Porträtdarstellungen“. „Das einzig angemessene Porträt Bachmanns“ sei „eines, in dem sie sichtbar abwesend ist“, lautet ihr Resümee.

Nicht weniger lesenswert als Leahys Aufsatz ist Áine McMurtys Beitrag über Marcel Reich-Ranickis berühmt-berüchtigtes Wort von der „gefallenen Lyrikerin“, das noch immer „mit allen Konsequenzen“ nachwirke. Anders, als Reich-Ranickis „ebenso moralisierende wie krude auf das Geschlecht der Lyrikerin verweisende Anspielung“ suggeriert, sei Bachmann keineswegs „hilflos aus dem lyrischen Modus“ gefallen, sondern habe „im lyrischen Schreiben ein entscheidendes Mittel zur Bewältigung der Krisenerfahrung gewonnen, das in ihr politisch-ästhetisches Projekt der 1960er Jahre eingehen sollte“.

Mag man auch nicht mit allen Aufsätze des Bandes, der mit vier „literarischen Beiträgen beschlossen wird, d’accord gehen, und schon gar nicht mit jedem einzelnen ihrer Befunden, so darf doch festgehalten werden, dass die meisten von ihnen sichtbar aus der Masse des auch vierzig Jahre nach dem Tod der Literatin noch immer stetig anwachsenden Bachmann-Sekundärschriftentums herausragen.

Titelbild

Wilhelm Hemecker / Manfred Mittermayer (Hg.): Mythos Bachmann. Zwischen Inszenierung und Selbstinszenierung.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2011.
316 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552055537

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