Vom Lob der Nachahmung

Byung-Chul Han legitimiert in „Shanzhai. Dekonstruktion auf Chinesisch“ die Kopie und den Fake

Von Stefanie RoennekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Roenneke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits 2008 schrieb der Berliner Schriftsteller Ingo Niermann in seinem Protokollband „China ruft dich“: „Doch abgesehen davon, dass auch im Westen, wenn möglich, sehr viel kopiert wird, drückt das Kopieren [in China] auch Respekt aus“. Die Vorstellung des Kopierens aus Respekt scheint dem westlichen Beobachter ein zunächst absurder Umstand zu sein. Das gilt sowohl vor dem Hintergrund des Originals als einzigartig als auch aufgrund des Verständnisses des Künstlers als Genie und Urheber. Das wird nicht nur durch unzählige Kunstfälschungsprozesse oder Plagiatstreitigkeiten bestätigt, sondern erhält im Zusammenhang mit den Urheberstreitigkeiten im Internet eine neue Note. Folglich ist die Idee des Werks als Original und des Individuums ein Grund dafür, dass die professionelle Herstellung von Kunstfälschungen in dem chinesischen Dorf Shenzhen, oder die Kreation von Produkten wie Nokir, Samsing oder Fuma stets sehr argwöhnisch betrachtet wird. Selten wurde nach dem Grund für diese Kopie- und Imitationswut der Chinesen gefragt, sondern ausschließlich als eine profitorientierte Respektlosigkeit abgetan.

Byung-Chul Han, Professor für Philosophie und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, widmet sich in „Shanzhai. Dekonstruktion auf Chinesisch“ diesem Phänomen, indem er elementare Begriffe wie Recht, Original, Kopie und Fake bespricht und das westliche Verständnis mit dem Chinesischen abgleicht. Es ist eine etymologische Entdeckungsreise, die sehr schnell deutlich werden lässt, wie unterschiedlich die chinesischen und europäischen Vorstellungen von Originalität geprägt wurden – angefangen beim Verständnis des Originals als Spur bis hin zum Lob durch Nachahmung. Und das betrifft nicht nur die Kunst oder Wirtschaft, sondern durchzieht die gesamte chinesische Gesellschaft. Neben dem Werk als „kommunikativen Ort der Einschreibungen“ stehe auch der chinesische Maoismus für die „Praxis der Fortschöpfung“ und sei auch ‚nur‘ ein „Shanzhai-Marxismus“ gewesen. Politisch wird Byung-Chul Han dabei selten. Ausschließlich auf der letzten Seite seines Essays attestiert er dem Shanzhai-Phänomen subversive Energien: „Mit der Zeit mutiert der chinesische Shanzhai-Kommunismus womöglich zu einer Politikform, die man durchaus als Shanzhai-Demokratie nennen könnte, zumal die Shanzhai-Bewegung antiautoritäre, subversive Energien freisetzt.“

„Shanzhai“ ermöglicht einen kurzweiligen Einblick in das chinesische Denkgefüge und liefert einen Erklärungsvorschlag, wie man der zu beobachteten Permutation gegenübertreten kann. Das gelingt durch die geschickte Kombination populärer Beispiele chinesischer und europäischer Denktraditionen. Nach rasanten 88 Seiten bleibt zwar der Wunsch nach mehr inhaltlicher Tiefe und weniger Schwarz-Weiß-Malerei wie zwischen europäischer Tiefe und asiatischer Flachheit, doch es überwiegt der Reiz eines Denkexperiments: Welche Möglichkeiten und Grenzen bietet das Shanzhai-Phänomen für die westlichen Vorstellungen von Original, Kopie, Identität und Urheberrecht?

Titelbild

Byung-Chul Han: Shanzai. Dekonstruktion auf Chinesisch.
Merve Verlag, Berlin 2011.
88 Seiten, 11,00 EUR.
ISBN-13: 9783883962948

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