Von der Kraft der Fantasie und dem Spaß am Erzählen.

Über Ernst Augustins letztes Buch, das wieder ein Meisterwerk der Sprache ist

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er ist alt, er ist blind, es ist sein letztes Buch. Seit genau 50 Jahren publiziert Ernst Augustin seine durchtriebenen, genau komponierten, scheinbar leichtfüßigen, aber hintersinnigen und sprachlich immer wieder am Rand des Geheimnisvollen angesiedelten Romane: Mit „Der Kopf“ debütierte er 1962 und bekam sofort den Hermann-Hesse-Preis, mit „Robinsons blaues Haus“ verabschiedet sich der 85-Jährige: „Dieses letzte Kapitel ist auch mein letztes Kapitel, und es ist mein letztes Haus, das ich hier baue.“ Und es ist wie immer ein Spiel mit den Genres, ein Spiel mit dem Leser, ein Spiel mit dem Leben, ernst und ironisch zugleich.

Vordergründig erzählt Augustin von einem Robinson, der sich zeitlebens versteckt. Vor einer Gefahr, die manchmal ein Gesicht bekommt, manchmal aber auch im Vagen bleibt. Als Kind baut er sich, auf der Flucht vor mobbenden Mitschülern, „großmächtig in ihren Stauerhosen“, im westfälischen Minden ein Versteck unter Wasser, aus einem alten Badeofen: „Ich glaube, diese allererste Sekunde war reine Religion. Ich befand mich plötzlich in einem, (in meinem) Selbst, das ich mir selbst geschaffen hatte, und es war schwarz mit einer hohlen grünen Unterfläche.“ Später taucht er unter in dunklen Gängen, von denen es plötzlich in kleine bunkerähnliche Wohnungen geht, die er sich in Grevesmühlen oder London eingerichtet hat oder in New York in einem palastartigen Penthouse von einem Architekten bauen lässt. Oder auf einer kleinen Insel in der Karibik.

Aber allein will er auch nicht bleiben, zumindest braucht er jemanden, mit dem er sich unterhalten kann. Das ist sein Freitag, den er im Internet findet. Denn er ist der letzte „Robinson in einer Welt nicht mehr vorhandener Freiräume“, ein Mann „inmitten eines Ozeans von Menschen, die alle laut reden und alle etwas anderes meinen. Die ihre Seele daran setzen werden, dich von deiner Insel zu vertreiben, es sind sechs Milliarden, alle miteinander, kannst du das verstehen? Ja, Vater. Nein, sagte er.“

Und so erzählt Augustin ein letztes Mal von der Menschlichkeit, die sich hinter Masken verstecken muss, mit denen man aber auch spielen kann, denen man nicht ausgeliefert ist. Von der sanften Annäherung eines Menschen an einen anderen, von der Lust an der Suche und am Finden. Vom stillen oder überbordenden Leben und dem Tod, der ihm schon mal als kleiner Mann im Zug begegnet ist. Von der Kraft der Fantasie und dem Spaß am Erzählen, die ihn in diesem Roman quer durch die Welt treibt, die ihn schon immer und immer wieder die Wand zwischen der „Realität“ und der „Erfindung“ hat durchschreiten lassen. Und ihn damit zu einem der größten Erzähler der Nachkriegsliteratur hat werden lassen, ganz unauffällig, nicht so auftrumpfend rechthaberisch wie Günter Grass oder Arno Schmidt, sondern selbstironisch und mit großer Lust am Überlisten des Lesers wie der Realität selbst. Ein Mystiker der Sprache und des Augenzwinkerns mit dem unverkennbaren Augustin-Sound. Mit seiner leichten Sprache, die in jedem Satz umkippen kann, die von der Freiheit in die Bedrängnis, von der Südseeinsel nach Kaiserslautern springt, vom Chatroom in die innerste Befindlichkeit. Und im übernächsten Satz schon wieder alles relativiert und ernsthaft mit dem Leser spricht. Oder doch nicht? Augustins Sprache ist leicht und schwebend, sie vibriert ganz ohne Anstrengung, ist einfach und zugleich höchst kunstvoll: „Luft ist leicht. Erde ist schwer. Wasser neigt zur Hysterie. Und Feuer, lieber Freund, Feuer ist ganz sicherlich hochkriminell.“

Titelbild

Ernst Augustin: Robinsons blaues Haus. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
319 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406629969

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