Ein früher Gegner der Globalisierung

Adolf Hitler als radikaler Protagonist einer „europäischen Ideologie“

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gewöhnlich charakterisiert die Historiografie Adolf Hitlers Haltung zum Christentum als distanziert bis feindselig. Die Kirchen beider Konfessionen betrachtete der Diktator demnach als ideologische Konkurrenz, die er aber erst nach dem gewonnenen Krieg ausschalten wollte. Als dieser dann jedoch verloren ging, rückte die um moralische Rehabilitation bemühte Adenauerrepublik Hitler sogar in die Rolle des Antichristen, der sämtliche humanen Werte des Christentums mit Füssen getreten habe. Bis heute prägt diese Sicht einer neoklerikalen westdeutschen Gesellschaft der Überlebenden das Urteil über Hitlers Rolle als radikaler Zivilisationsaußenseiter.

ln seiner kleinen Studie über die Rolle des Christentums im Weltbild des Diktators hat nun der Jenaer Emeritus für Philosophie, Friedrich Tomberg, nachzuweisen versucht, dass die Frontstellung des Österreichers zum Katholizismus und zu einem vom europäischen Humanismus geprägten Menschenbild keineswegs so klar und radikal war, wie es eine um seine Verteufelung bemühte Nachkriegszeit seither dargestellt hatte. Nicht etwa Antibolschewismus und Antisemitismus bildeten demnach die Kernelemente im amalgierten Weltbild des notorischen Autodidakten, sondern seine – so Tomberg – ideologische Verklärung eines einst christlich-aufgeklärten Europa, das auf Grund seiner überlegenen zivilisatorischen Kraft dazu bestimmt sei, die übrige Welt zu dominieren. Tomberg spricht in seinem Essay von einer schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreiteten „europäischen Ideologie“ und bezeichnet sie sogar als „Wurzelgrund“ in Hitlers Weltbild, aus dem sich sein Hass gegen Judentum und Bolschewismus überhaupt erst entwickelt habe. Demnach sei schon der junge Hitler vor 1914 von den Anzeichen einer Protoglobalisierung im Schatten von Modernismus, Marxismus und internationalem Finanzkapital beunruhigt gewesen. Nach der vierjährigen Selbstzerfleischung der europäischen Mächte habe sich dieses diffuse Unbehagen zu einer regelrechten Phobie vor dem drohenden Bedeutungsschwund des alten Kontinents in einer sich anbahnenden neuen Weltgesellschaft gesteigert. Genau „dieses Schicksal eines Verlustes der bisher den Europäern zugefallenen weltgeschichtlichen Führungsrolle hatte Hitler vor Augen, als er sich nach dem Ersten Weltkrieg radikalisierte und sich entschloss, Politiker zu werden“.

Seine wahre Mission habe er daher stets in der Rettung Europas und seiner überlieferten kulturellen Werte verstanden, wozu eben – nach dem Verständnis des Diktators – auch das Christentum in seiner wirklichen Form einen wichtigen Beitrag geleistet hatte. Hitler habe dessen Rolle keineswegs ignoriert, doch zugleich stets versucht, das Christentum von seinen scheinbar jüdischen Prägungen, die er in der paulinischen Theologie verkörpert sah, zu befreien, um wieder zu einer Art arischem Urchristentum zu gelangen. In Hitlers Vorstellung von einem derart „gereinigten“ Christentum mutiert der sich gegen die mosaische Tradition stellende Jesus sogar zu einer arischen Leitfigur, dessen Lehre später nur jüdisch kontaminiert worden sei. Ein gern von Hitler beschworenes Bild war daher der zornige Jesus, der mit einer Peitsche die Händler aus dem Tempel vertrieben hat.

Die Bewahrung der Führungsrolle Europas auf der geistigen Grundlage eines völkisch-rassistisch gewendeten Christentums gegenüber den Risiken einer sich globalisierenden Welt war, so Tomberg, das zentrale Anliegen Hitlers, in dem sich dessen Lebensraumkonzept ebenso zwingend ergab wie die Vertreibung und schließlich die Ermordung der europäischen Juden. Auf der Grundlage von Hitlers Reden, seinen Tischgesprächen sowie den programmatischen Bekenntnissen in „Mein Kampf“ versucht Tomberg dessen geistigen Spagat zwischen Aufklärung und radikalen Rassismus zu rekonstruieren und in seinen oft bizarren Wendungen auszuloten. Widerwillig zollt er dabei dem ehemaligen Kunstmaler, der sich nie einer formalen geistigen Schulung unterworfen hatte, sogar intellektuellen Respekt. Denn im Rahmen seiner Prämissen, die er mit vielen Zeitgenossen wie etwa den Vertretern der Konservativen Revolution teilte, bewies sein Denken eine kaum noch sonst erreichte Konsequenz und Entschlossenheit.

Den durch zwei Weltkriege nur unterbrochenen Megatrend zur Weltgesellschaft sah er klar voraus und stemmte sich mit all seiner Kraft dagegen, da er darin, wie viele seiner Zeitgenossen auch, den Untergang des ihnen vertrauten Europas befürchtete. Hitlers zentrales Anliegen repräsentiere somit auch das Verlustgefühl vieler anderer bis zum heutigen Tage, glaubt Tomberg seine Leser warnen zu müssen: „Betrachten wir speziell die wirtschaftlichen Vorgänge samt ihren politischen Folgen und bedenken wir, dass heute alles auf die Herausbildung einer Weltgesellschaft hinausläuft, die um ihrer Existenzerhaltung willen mehr und mehr ein Zusammenwirken der ganzen Menschheit erfordert, so werden wir in Hitler einen ersten wirkungsmächtigen und dazu unübertroffen radikalen Globalisierungskritiker ausmachen dürfen…“.

Mit Hitlers Christentum hat Tomberg eine ideengeschichtliche Analyse präsentiert, in der Hitler deutlich als neuer Heiland hervortritt, der sich selbst mehr und mehr als Retter Europas stilisierte, wobei sein Antisemitismus und sein Antibolschewismus keine Kernelemente, sondern eher nur Funktionen dieses zentralen Anliegens waren.

Um allerdings zu einer Neubewertung von Hitlers Weltanschauung zu gelangen, dürfte Tombergs essayistische Studie kaum reichen. Dazu gerät die Rekonstruktion des geistigen Klimas im Europa des frühen 20. Jahrhunderts, in der sich Hitlers Phobie vor einer hierarchielosen Weltgesellschaft entwickelte, zu fragmentarisch. Gleichwohl verdient Tombergs Ansatz, den Diktator vorrangig als frühen Globalisierungsgegner darzustellen, besondere Beachtung. Setzt sie doch einen gewichtigen Kontrapunkt zu Eberhard Jäckels vor mittlerweile 40 Jahren erschienenen Studie über die Weltanschauung des mörderischen Diktators.

Titelbild

Friedrich Tomberg: Das Christentum in Hitlers Weltanschauung.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2012.
206 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783770552719

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