„Viel zu real“

Zu Shumeet Balujas Roman über die Datenwelt

Von Stefan HöltgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höltgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Atombombe, USA, Al Qaida, Terror, 9/11,… – glaubt man Verschwörungstheoretikern, genügen diese fünf Begriffe bereits, um diese im Internet veröffentlichte Rezension von speziellen Filtersoftwares erkennen zu lassen und sowohl das Portal als auch mich, den Autor, auf eine Liste mit zu prüfenden Personen und Institutionen geraten zu lassen. Natürlich tauchen diese Begriffe täglich auf zahllosen Webseiten auf – aber genau das macht es ja gerade notwendig, sie automatisch erkennen und nach Relevanz filtern zu lassen. Denn wer weiß: Vielleicht steckt in dieser Rezension von Shumeet Balujas Roman „Silicon Jungle“ ja ein (versteckter) Aufruf zum Terror?

Baluja ist Chefentwickler bei Google – das verschweigt der Klappentext des Suhrkamp-Romans nicht, sondern stellt es deutlich heraus. Damit wird zunächst eines suggeriert: Der Mann weiß, wovon er schreibt, wenn er seine Geschichte des Ubatoo-Praktikanten Stephen erzählt. Ubatoo heißt die fiktive Firma, welche in der Romanwelt die größte Suchmaschine des Internets anbietet und zugleich zahlreiche weitere Dienste, welche im Zusammenhang mit der Filterung und Sortierung von Daten stehen: Kreditkarten, E-Mail, Mobiltelefone und geografische Services. Stephen ist ein begabter Datenbank-Programmierer, der bereits auf eine gescheiterte Karriere als Selbstständiger zurückblicken kann und sich zum Handlungsbeginn als IT-Service-Mitarbeiter in einem Supermarkt verdingt, wo er ab und zu PCs installiert und versehentlich abgezogene Tastaturstecker wieder einsteckt.

In diesem Markt lernt er Molly kennen, die dort ihr Geld verdient, um eine Doktorarbeit zu finanzieren. Sie will sich mit der Frage beschäftigen, warum das Internet in Ländern, die als USA-feindlich gelten, stets eine Verstärkerfunktion auf den Antiamerikanismus hat und ob sich das Medium dort nicht auch entgegengesetzt nutzen lässt.

Molly rät Stephen, sich beim alljährlichen Ubatoo-Praktikum zu bewerben, was er auch tut und prompt eine der begehrten Stellen bekommt. Er arbeitet dort im Datamining-Team, das sich mit der Verknüpfung von Nutzerdaten zur Platzierung individuell angepasster Werbeanzeigen beschäftigt. Die Aufträge dazu kommen von externen Firmen: Mal möchte jemand ein Diät-Bier in der Unterschicht des mittleren Westens bewerben, ein anderes mal die Zielgruppe für Luxus-PKW ermitteln. Ein externer Auftrag beschäftigt Stephen jedoch besonders. Im Auftrag der Bürgerrechtsgruppe ACCL soll er herausfinden, warum manche Bürger, die bestimmte Bücher gekauft haben, auf einer staatlichen Anti-Terror-Watchlist landen. Als guter Data-Miner löst Stephen diese Aufgabe nicht nur mit Bravour; er baut darauf sogar eine eigene Software-Idee auf, die ihm eine Festanstellung bei Ubatoo sichern soll: Eine virtuelle Karte, mit der Ubatoo-Nutzer herausfinden können, ob sie sich aufgrund ihres Online-Verhaltens und ihrer Kontakte bereits auf einer Watchlist befinden und verdächtig machen. Für diese Anwendung interessieren sich dann aber gleich mehrere Gruppen – und der Roman, der als Entwicklungsgeschichte begann, nimmt eine Wendung zum Polit-Thriller.

Der zweite Grund, warum der Autor so offen mit seiner Tätigkeit bei Google umgeht, liegt jetzt bereits auf der Hand. Google gehörte fast ein Jahrzehnt lang zur diffusen Gruppe der „Guten“ in der IT-Welt. Positioniert vor allem gegen Microsoft und staatliche Datensammel-Behörden, versprach Google Transparenz, keine aggressive Werbung und User-Nähe. Dieses Image hat sich längst in allen Punkten geändert. Zwar ist die Webseite der Suchmaschine, mit der das Unternehmen 1998 an den Start ging, immer noch so weiß und leer wie am Anfang (und unterscheidet sich gerade dadurch immer noch am „sichtbarsten“ von den werbeüberfrachteten Konkurrenten Yahoo, Bing und anderen, die allesamt weit abgeschlagen hinter Google rangieren), doch unter der Oberfläche von Google wird es schnell dunkler: Das Unternehmen sammelt alle verfügbaren Daten um sich das größte Stück vom Werbe-Kuchen auf Dauer sichern zu können. Es konsolidierte zuletzt seine Dienste (was dadurch sichtbar wurde, dass aus vielen verschiedenen eine einzige AGB wurde), um diese Daten bestmöglich miteinander verknüpfen zu können: Kaufgewohnheiten, Aufenthaltsorte, Kontakte, Geschmäcker und private Vorlieben geraten so in einem Kunden-Datensatz, der sich mit den geeigneten Software-Tools und der enormen Menge an Google-Computern (von geschätzten 44 Millionen Servern gehört Google angeblich 1 Million – also 2 Prozent!) nach allem möglichen sortieren und filtern lässt. Wehren kann man sich dagegen nur, wenn man Google-Dienste meidet – die Möglichkeit, etwa eigene Suchanfragen nicht zu speichern, ist allenfalls Augenwischerei. Intern wird alles getrackt.

Die fiktive Firma Ubatoo macht aus ihrem geschäftlichen Interesse an den User-Daten kein Hehl. Sie legt jedoch Wert auf Datenschutz: Auch wenn die Mitarbeiter intern Zugriff auf alles haben, dürfen extern keine Informationen „auslaufen“. Genau dieses Problem verursachen aber einige der Praktikanten – allen voran Stephen. Wie Ubatoo im Roman darauf reagiert und sich vor allem dem Zugriff der staatlichen Sicherheitsbehörden gegenüber verhält: Das wäre wohl das angenehmste Selbstbild, das Google auch gern von sich vermitteln würde. Immerhin findet der Google-Vizepräsident Vint Cerf den Roman „glaubwürdig und erschreckend“, wie groß auf dem Rückumschlag zu lesen ist. Bei so viel „Firmenpräsenz“ in den Peritexten kann man sich durchaus schon einmal fragen, wie viel Google-PR hinter und in dem Roman stecken mag.

Dass mit Shumeet Baluja kein neuer Stern am Thriller- geschweige denn Literatur-Himmel aufgegangen ist, wird schon nach ein paar Seiten klar. Der Stil ist oft viel zu deskriptiv, Beobachtungen des auktorialen Erzählers – vor allem, wenn es um seine fokalisierte Figur Stephen geht – lesen sich häufig wie aus einem „How to write…“-Leitfaden nachgebastelt. Der recht schleppend beginnende Inhalt von „Silicon Jungle“, der später durch die Thriller-Handlung aufgefangen wird, bekommt durch die mit Datum versehenen Kapitel eher noch einen Verwirrungsfaktor. Da wird aus dem erzählten Jetzt heraus um Jahre zurückgesprungen um Motivationen für Figuren nachzuliefern. Auch hier meint man, ein Schriftsteller-Lehrgang-Stereotyp zu wittern.

„Silicon Jungle“ versteht sich (gleich zwei mal: im Vor- und Nachwort) zwar explizit als Fiktion; dennoch lädt er natürlich beständig zur Frage ein, was der Autor wohl bei Google erlebt und in seine Ubatoo-Idee verpackt hat. Wenn man daran denkt, was der Konzern allein intern mit den privatesten Daten seiner Nutzer veranstaltet, dann wird „Silicon Jungle“ zum Lehrstück. Wenn es allerdings die Tatsache wäre, dass jeder Junior-Datenbank-Programmierer unvorbereitet die statistische Arbeit von Wissenschaftlern übernehmen und auf Unmengen von Datensätzen anwenden kann, dann wäre ja im Prinzip jeder Hacker imstande, mit ein bisschen Nachdenken und geklauten/geleakten Datensätzen ähnliches anzustellen, wie Stephen. Hoffentlich verfrachtet diese Quintessenz von „Silicon Jungle“ das Buch nicht auf eine Watchlist, deren Käufer sich verdächtig machen.

Titelbild

Shumeet Baluja: Silicon Jungle. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
370 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783518463017

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