Telefonkarten oder Gettoni?

Stefano Benni begeistert mit einem durchgedrehten Roman über die italienische Bar und die italienische Politik

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eines der Nationalheiligtümer der Italiener ist die Bar. Hier kehrt man kurz ein, trifft sich, manchmal nur kurz, zu einem caffè, den man herunterstürzt, oder einem kleinen Glas Rotwein, „un piccolo nero“, hier sitzt man aber auch und spielt Karten, hier werden Neuigkeiten ausgetauscht und Geschichten erzählt, und hier steht der Universitätsprofessor neben dem Müllmann, die kommunistische Lehrerin neben dem konservativen Pfarrer, der Linksradikale neben dem Rechtsanwalt. Wehe dem, der eine Bar zumachen, sie gar abreißen will! Da Kann er gleich versuchen, den Vatikan einzureißen.

Aber genau das versuchen die Bösen mit der Bar im kleinen Dorf Montelfo (Elfenberg): Riesige Schaufelbagger beißen sich durch den Wald, um Platz für eine neue Straße zu machen, und die Bar soll einem gigantischen Einkaufszentrum weichen. Und der linke Bürgermeister Velluti ist vom Kapital gekauft und versucht, das Dorf zu überreden. Seine Idee: Die Bar wird Stein für Stein abgetragen und im Einkaufszentrum wieder aufgebaut, in diesem „ökovirtuosen und geodynamischen Gebäudekomplex“.

Natürlich wehren sich die Dorfbewohner, allesamt skurrile Gestalten mit überaus sprechenden Namen, die die Übersetzerin gleich mit ins Deutsche übertragen hat: Opa Seher, ein Mann, der so scharf wie ein Falke sieht, jedes Geräusch hört, wie ein Spürhund riecht und mit den Tieren und dem Wasser spricht, die Friseurin Frida Fon, die begnadete und mit ständigem Glück gesegnete Spielerin Carmela Dusella, die Schneiderin Simone Bell‘Eugele (Äugele!), der Tierarzt Rettganso, der Tankwart und Dichter Diogenes, die Brüder Trincone, die Wirte …

Aber das ist nur die Rahmenhandlung für eine so große Lust am Fabulieren, am Abschweifen und am Erfinden der abseitigsten, politisch unkorrektesten und anarchischsten Details, dass die eigentliche Story fast schon unwichtig geworden ist. Da gibt es einen Hund, der auf der Maschine nähen kann und wenn man mit ihm vernünftig redet, gleich weiß, wen oder was er jagen muss, und eine Köchin, die die Qualität der Eier erkennt, wenn sie dem Huhn ins Auge sieht. Es gibt Geister und funktionierende Flüche und eine Puppe, die güne Kotze mit Pferdearoma von sich geben kann.

Da kann der Bürgermeister Bauchreden und applaudiert sich gleich selbst, da ist er alte Archivio, der sich an alles erinnert und noch einmal an das Meer will – das halbe Dorf fährt mit, in einem geliehenen Schulbus, und trifft seine alte Liebe wieder. Da ist der Hirt Tore, der einen Käse macht, der halb Italien ausstinkt: „Legenden beiseite, wenn der Wind blies, füllte jener spezielle und beunruhigende Käse den Himmel mit seinen Ausdünstungen, er liess die Adler im Flug in Ohnmacht fallen und die Steinböcke am Abhang zerschellen.“ Als er keine Frau findet, surft er durch das Internet, flirtet mit einer Frau und will sie schließlich kennenlernen. Als er sich mit seinem Klarnamen zu erkennen gibt, weil er meint, diese wunderbare Frau scheine er ja schon seit Jahrzehnten zu kennen, bekommt er eine ehrliche Antwort: „Lieber Tore, sicher kennen wir uns seit jeher. Du bist der übliche Dummkopf, aber du verdienst so viel Liebe … Dein Bruder Gino, der immer noch Arbeiter in Marseille ist und nachts als Liza Minelli geschminkt in der Blue Bar singt …“

Bennis Roman ist ein herrliches Lesevergnügen, voller deutlicher und versteckter Seitenhiebe auf die aktuelle Politik, Wirtschaftslage und die neuere Kulturgeschichte, und er schreckt vor wirklich überhaupt keinen Einfällen zurück. Als zum Beispiel. Alice und ihre Freunde im Wald dringend telefonieren müssen, entdecken sie in den Brombeeren eine alte Telefonzelle. Natürlich funktioniert sie noch, für dieses eine Gespräch, das wirklich lebenswichtig ist. Dummerweise hat es keine Tasten. Und auch keinen Schlitz für die Telefonkarten. Giango fällt das Wort „Jetons“ ein, das sein Vater immer gebraucht hat: „Gettoni“. Wie durch ein Wunder funktioniert alles, aber dann muss es schnell gehen. Erst sagt Alice, sie hätten nur einen Gettone, aber das versteht der andere nicht. Also sagt sie: „Der Akku ist bald leer.“ So klappt’s.

„Brot und Unwetter“ ist so herrlich durchgedreht, voller witziger, schräger, märchenhafter, surrealer und völlig unglaubwürdiger Einfälle und satirischen Elementen, dass man aus dem Staunen und Lachen nicht mehr herauskommt. Vieles ist auf einer symbolischen Ebene nur allzuwahr, bei anderem kann man sich auch ganz wörtlich vorstellen, dass es einem genau so in Italien begegnet: „Wenn in der alten Bar Sport jemand ein Glas Leitungswasser verlangte, forderte der Barmann ihn auf: ‚Zeigen Sie mir erst einmal die zu schluckende Tablette.‘ Denn in jener Bar wurde nur Wein serviert, außer es gab schwerwiegende medizinische Gründe.“

Titelbild

Stefano Benni: Brot und Unwetter. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Mirjam Bitter.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2012.
279 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132437

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch