Von einer die auszog, sich in den Westen zu verlieben

Ana Tajder beschreibt in ihrem Roman „Titoland“ eine Kindheit in Jugoslawien

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ana Tajder, 1974 in Zagreb geboren, 1991 nach Wien gezogen, wo sie ihr Studium der Betriebswirtschaft absolvierte, lebt und promoviert heute in Los Angeles. Neben Tätigkeiten im diplomatischen Dienst und im internationalen Marketing schreibt sie gesellschaftskritische Artikel für diverse Zeitschriften. Nach ihrem Debütroman „Von der Barbie zum Vibrator“, einer sehr autobiografischen Wiener „Sex and the City“-Version, die sie auf Englisch schrieb, entstand mit Hilfe des Österreichischen Staatsstipendiums für Literatur „Titoland“, ihr erster Roman in deutscher Sprache.

Dem Glamour-Roman der „ungekrönten Partykönigin Wiens“ („Die Presse“) folgt nun, ebenfalls stark autobiografisch, die Schilderung der Kindheit und Jugend im sozialistischen Jugoslawien. Kindheitserfahrungen sind ein zentrales Thema der sogenannten Migrationsliteratur, man denke zum Beispiel an die Erstlingswerke von Terézia Mora, Eleonora Hummel, Vladimir Vertlib und anderer. Die Ich-Erzählerin, das Alter ego der Autorin, hat auch einiges zu erzählen, nutzt dabei aber nicht ihre interkulturelle Kompetenz.

Die kurzen Episoden beginnen im Kindergarten, berichten über die Schul- und Pionierzeit und enden mit dem Jugoslawien-Krieg, mit der Flucht zum bereits geschiedenen Vater nach Wien. Das kleine Mädchen wächst in einem privilegierten Elternhaus – die Mutter ist eine berühmte Filmschauspielerin, der Vater ein erfolgreicher Architekt – im gleichgeschalteten Jugoslawien auf. Für sie scheint Jugoslawien stets der Osten vom Westen und nicht der Westen vom Osten zu sein. Selbst die „gleichere“ Kindheit, die ihr viele materielle und gesellschaftliche Vorteile gegenüber anderen bietet, erscheint ihr langweilig und grau. Einzig Produkte und Persönlichkeiten von „Draußen“, aus dem Westen, machen sie glücklich. Neben Mc Donalds, Dynasty, Michael Jackson und natürlich wieder Barbie, verblassen selbst die geliebten jugoslawischen Rockbands.

Denn die „wahrscheinlich […] letzte Generation, die medial abgeschirmt aufwuchs“, ohne Grausamkeiten, Perversionen, aber auch die globale Werbemaschinerie, musste sich den grauen Alltag erträglich träumen. „Man konnte in Jugoslawien nur praktische und langweilige Sachen kaufen. Zaubern musste man schon selber.“ Die Mutter übernimmt die Rolle der Zauberin, schafft mit viel Geschick Kostüme und Kleidung und bringt der Tochter – die auch mal beim Film kleinere Rollen spielen darf – bei, wie schön es ist, unter Gleichen anders zu sein. In der ungewöhnlich offenen Mutter-Tochter-Beziehung darf sie schon von Kindesbeinen an selbst entscheiden, was sie tun möchte und interessiert sich für das Ballett. Es geht ihr eigentlich bestens, bis sie als Elfjährige krankheitsbedingt sechs Jahre lang täglich 23 Stunden ein Korsett tragen muss. Der Ausbruch des Krieges kommt dann als äußere Schattenseite noch hinzu.

Tito? Ach ja, Josip Broz, genannt Tito, kommt natürlich im Roman auch vor. Aber wer Neues oder Tiefgründiges erwartet, wird enttäuscht. Nostalgisch schildert Tajder Jugoslawien und seinen Präsidenten mit kindlichem Blick, vergleicht ihn mit dem eigenen Großvater, berichtet über seine Privatinsel, auf der der Mann „in weißer Uniform, mit dicker Zigarre, einem Cadillac, einer 117m langen Yacht“ Staatschefs und Hollywoodstars empfing.

Die knapp 100 Seiten lesen sich schnell, wenngleich die Aufzählungen der westlichen Statussymbole mitunter langatmig und zu allgegenwärtig sind. Zuweilen wirkt es wie eine Abrechnung mit der Vergangenheit, der Herkunft, geschrieben aus der Perspektive einer, die es schon immer in den goldenen Westen zog. Kein Klischee wird ausgelassen, so kommt auch der sommerliche Müßiggang am Meer, selbst zu Kriegszeiten, zu seinem Recht. Die Geschichtchen sind durchaus amüsant, die Schilderung der späteren Krankheit hingegen ernst und ausdrucksstark. Die Eltern, die in der Kindheit sicher sehr meinungsbildend waren, kommen fast gar nicht zu Wort: Es geht um Anas Welt, die naiv, fröhlich, unbedarft wahrgenommen und beschrieben wird.

Eine interkulturelle Auseinandersetzung oder kritische Betrachtung von Heimat, Herkunft und Fremde fehlt dem dünnen Büchlein, womit sich dessen Autorin mustergültig integriert zeigt. Gibt oder gab es Probleme in der neuen Heimat? Nein, die hat das Mädchen mit dem Verlassen Zagrebs hinter sich gelassen: „Das Alte musste jetzt Platz für das Neue machen.“

Titelbild

Ana Tajder: Titoland. Eine gleichere Kindheit.
Czernin Verlag, Wien 2012.
103 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783707604054

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