Kettenreaktionen

Oliver Bottini gibt mit „Der kalte Traum“ ein Exempel, wie Politthriller heute aussehen können

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie soll man einen solchen Roman besprechen? Politisch? Ästhetisch? Nach Spannung? Nichts davon wird wirklich befriedigend sein, denn jeder Zugang verbaut den nächsten und wird am Ende zu wenig führen als zu dem Bewusstsein, es hier mit einem außerordentlichen Krimi zu tun zu haben. Dabei wird man dem Text nicht immer alles abnehmen, was er einem zumutet, die ellenlangen politischen Aufklärungsstücke nicht, die Verschachtelung der politischen Intrigen, ja auch die politischen Inhalte sind nicht nur einfach abzunicken.

Bottini hat sich in diesem Fall ein Zeitstück aus der jüngeren Vergangenheit ausgesucht. Im Jahr 1995 verschwindet ein junger, in Deutschland geborener Kroate während des Balkankriegs und gilt als tot. 15 Jahre später beginnt eine Journalistin in Kroation auf der Basis eines Fotos nach einem möglichen kroatischen Kriegsverbrecher zu recherchieren. Dass beide dieselbe Person sind, lässt sich bald erschließen. Bottini macht auch keinen Hehl daraus, selbst wenn er seine Geschichte in höchster Verschachtelungskunst erzählt.

Die Recherche der Journalistin kommt zur unrechten Zeit, denn Kroatien will in die Europäische Union, die alten Geschichten will niemand mehr hören. Zugleich steht ein kroatischer General in Den Haag wegen eines Massakers vor Gericht. Auch der kann keinen neuen Skandal gebrauchen. Also werden die alten Seilschaften aktiv. Irgendjemand fragt in Rottweil nach dem jungen Mann, Thomas Cavar. Ein ehemaliger hochrangiger Beamter des Auswärtigen Amts setzt seinen Neffen, einen Kriminalkommissar, auf den Fall an. Und so beginnt die Suche nach Thomas Cavar. Ist er tot, wie behauptet wird? Ist er einer der Mörder in einem Massaker in Kroatien? Oder ist er unschuldig?

Solche und ähnliche Fragen treiben die Beteiligten um, mit Ausnahme naheliegenderweise der Agenten der alten kroatischen Nomenklatur, die Cavar suchen, um ihn zu töten. Und naheliegenderweise muss Cavar noch leben, ansonsten wäre das Ganze kaum erzählenswert. Aber wo und wie er an dem Fall, den die Journalistin sich vorgenommen hat, beteiligt ist, steht nicht im Vordergrund der Erzählung.

Stattdessen sind es drei Themen, die Bottini umgetrieben haben: die Geschichte eines Heimatlosen, die Wahrheit über den Kroatienkrieg und ein faszinierendes Spiel von Rache und Wiedergutmachung, das den eigentlichen Thriller ausmacht. Zum einen versucht er den Fall eines jungen, in Deutschland aufgewachsenen Mannes zu erklären, der zwar mit einer Frau „des Feindes“ liiert ist, aber trotzdem in den Krieg zieht. Heimat spielt hier eine Rolle, die Unmöglichkeit sich der gewollten Eskalation und damit dem Krieg zu entziehen, und der Preis, den der junge Mann dafür zahlen muss, das er für einen Moment glaubt, so etwas wie Heimat gefunden zu haben.

Zum anderen verschreibt er sich der Aufgabe, die Wahrheit über den Kroatienkrieg Anfang der 1990er Jahre zu vermitteln. Große Teile des Romans sind einer dürftig verkleideten Aufklärung gewidmet, die in jeder zeithistorischen oder journalistischen Schrift stehen könnte – natürlich entsprechend mit Quellenangaben versehen (die liefert Bottini, gewarnt genug, auf seiner website nach). Und hier greift dann auch die Frage nach der Kritisierbarkeit, soll heißen, nach dem Wahrheitsgehalt seiner Ausführungen.

Aber selbst wenn er nicht recht hätte, die politischen Ereignisse dienen ihm vor allem dazu, ein komplexes auf Rache und Wiedergutmachung setzendes Spiel vorzustellen, in dem Gewalt einer der Hauptfaktoren ist. Cavar gerät in eine Szenerie, in der Geschichte nicht nur Vergangenheit ist, sondern die Prägung für die Gegenwart liefert. Ein Kroate in Deutschland? Bleibt immer ein Kroate, auch wenn er sich eingefügt hat. Der Krieg liegt einem im Blut, und naheliegend wird in ihm gefoltert, getötet, vergewaltigt, gerächt und gemordet. Dass Soldaten Mörder seien, hat Tucholsky einmal in aller Sachlichkeit vorgetragen und wird dafür bis heute immer wieder gescholten.

Bottini erzählt eine Geschichte, in der Soldaten gemacht werden und nicht mehr aufhören Soldaten zu sein, bis der letzte von ihnen tot ist. Das ist eine bittere Geschichte, der auch Cavar zum Opfer fällt. Und er ist damit nicht allein. Dass die Geschichte ihre ironischen Seiten hat, wie das 20. Jahrhundert immer wieder gezeigt hat, kehrt auch in Bottinis Krimi wieder. Der einzige Mann, der genügend Rückgrat hat, um sich nicht von der Frau zu trennen, die er liebt, gilt als Verräter und muss dafür getötet werden.

Dabei steckt darin doch die ermutigende Botschaft, die das katastrophische 20. Jahrhundert zu bieten hat, dass nämlich am Ende die Einzelnen selbst entscheiden können und müssen, wer sie sind. Ihnen liegt nichts im Blut und sie gehorchen keinem historischen Imperativ, wenn sie das nicht wollen. Und mehr Verantwortlichkeit kann man wohl nicht tragen.

Titelbild

Oliver Bottini: Der kalte Traum. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2012.
446 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783832196592

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch