Die Polizei der Polizei

Der internationalen Kriminalität muss eine internationale europäische Polizei gegenübergestellt werden. Arne Dahl zeigt sie im Probelauf

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass die organisierte Kriminalität international agiert, gehört zu den Standarderkenntnissen im Krimi-Genre. Egal welcher Nationalität, die Aktionsräume der Gangster sind nicht mehr auf ihre Ursprungsländer beschränkt. Sie breiten sich mehr und mehr in andere Länder aus, verdrängen dort die alteingesessenen Verbrecher und unterwandern die zivilen Ökonomien. Geldwäscherei und die Ausweitung der Geschäftsbasis sind die wichtigsten Gründe für diese Strategie. Hinzu kommt, dass illegale Gelder schwerer zu lokalisieren und nachzuverfolgen sind, wenn sie über Landesgrenzen hinweg transferiert werden.

Dem haben national organisierte Polizeibehörden kaum etwas entgegenzusetzen. Ihre Zuständigkeiten enden an den Staatsgrenzen, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Landespolizeien werden durch Sprach- und Kulturdifferenzen erschwert. Instanzen, die berücksichtigt werden müssen, kommen hinzu. Da lacht sich der gerissene Kriminelle ins Fäustchen und entweicht schlicht schnell über Grenzen, bevor ihn der arme Wachtmeister verhaften und ins Kittchen stecken kann. Überwachungsstaat? Ein Denkmodell von gestern.

Das mag im wirklichen Leben nicht lustig sein, im Krimi ist das Motiv der internationalen organisierten Kriminalität vor allem Anlass, sich die verwickeltsten Geschichten und brutalsten Gewalttaten auszudenken und erzählerisch zu gestalten. Und je verwickelter die Geschichte desto finstrer die Gestalten, die dabei umgehen. Aber dabei muss es ja nicht bleiben, und die USA machen es ja auch vor: Immerhin gibt es so etwas wie einen Vorläufer einer europäischen Polizei (das „europäische FBI“, das Dahl fast schwärmerisch seinen Figuren in den Mund legt), auch wenn sie bislang keine operativen Kompetenzen hat.

Arne Dahl nun entwirft das Konzept einer operativen Europol-Einheit: Aus jedem Land ein oder zwei herausragende Kriminalermittler, die nach Den Haag versetzt werden, dazu eine kompetente Teamleitung und in jedem Land außerdem noch Kontaktbeamte. Das Ganze unter dem Siegel der Verschwiegenheit eingerichtet und auf Probe gestellt. Dahl hat eine solche (nationale) Sondereinheit bereits in seinen in Schweden spielenden Krimis entworfen und sie in die Wirren einer sich brutalisierenden Welt geworfen. Nun wagt er sich an dasselbe Spiel, nur auf internationaler Ebene.

Es fehlt nur noch an einem passenden Fall, der allerdings nicht auf sich warten lässt, wie könnte es auch anders sein. Zwar könnte man meinen, dass eine solche Einheit gebildet wird, weil es haufenweise solcher Fälle gibt, die nun – aber subito – gelöst werden sollen. Aber falsch gedacht, erst bildet man eine Einheit, die darf ein bisschen im Trockenen schwimmen, dann kommt der erste Fall und es geht los. Genauer gesagt, es sind drei Fälle, die auf irgendeine Weise zusammengehören.

Zum einen wird eine chinesische Illegale, die in Schweden als Putzfrau arbeitet, dabei erwischt, wie sie auf dem Rechner ihres Dienstherren nach Kinderpornografie surft. Zum anderen wird in London die Leiche einer Frau aufgefunden, die zu Tode geprügelt wurde und die offensichtlich nach der Vorlage eines wo auch immer herstammenden Motivs drapiert wurde (das freilich erst aufgefunden werden muss). Schließlich wird beim G20 Gipfel in London ein chinesischer Mann überfahren, der kurz vor seinem Tod noch einem der Mitglieder der neuen Europol-Gruppe ein paar Worte zuflüstern kann (blöderweise in einer Sprache, die der Polizist nicht kennt).

Aus den drei Fällen wird relativ bald eine Gemengelage von Mafia-Vorstößen in die europäische Möbelindustrie, der Versuch einer Finanzmarktattacke auf einen der baltischen Staaten und die Erschließung neuer Drogentransferwege aus Nordkorea. Daraus lässt sich ein Bild formen, in dem neues Geld aus China, eine Bank aus den USA, ein kriminelles Regime in Nordkorea und ein Mafiatruppe aus Italien zusammenarbeiten und sich dabei der Dienste einer Söldnertruppe bedient, die vor keiner Schandttat zurückschreckt.

Die europaweit agierende Polizeitruppe, die Dahl in ihren Aktivitäten zu beschreiben versucht, sieht sich einem kaum entwirrbaren Geflecht von Aktivitäten und Handlungen gegenüber, aus denen sich erst nach und nach das Bild einer konzertierten Aktion von bis dahin disparaten Gruppierungen entwickelt, die gemeinsame Interessen haben.

Diese Interessen wahrzunehmen und den Plan zu erkennen, der daraus entwickelt wurde, ist die Hauptaufgabe des umfangreichen und sogar halbwegs plausiblen Textes. Dass er mit Annahmen und Koinzidenzen arbeitet, gehört wohl zu den genrespezifischen Rahmenbedingungen. Anders wäre eine sinnvolle Erzählung wohl auch kaum zustande zu bringen. Die Möglichkeit, dass die Einzelaktionen dessen, was Dahl als konzertierte Aktion entwickelt, nichts miteinander zu tun haben, sondern zu völlig verschiedenen Aktionen, Handelnden und Zielen gehören, würde jedoch zu einem Text mit nichts als offenen Enden führen. So wenig Kohärenz verträgt kaum ein Krimi.

Es ist schon kaum hinnehmbar, dass Dahls Entwurf ohne inhaftierte Bösewichter auskommt: Der Finanzmann, der die Attacke auf den baltischen Staat koordiniert, wird von seinen Kumpanen erschossen, die Mörder an der Frau bleiben frei, die Mafia-Akteure bleiben unentdeckt, die chinesische Firma, die die kriminelle Investition anvisiert hat, ist außerhalb jeder Reichweite. Dennoch macht Dahl seinen Roman einigermaßen rund und kann ihn abschließen, wenngleich nur unter Mühen, und vielleicht mit dem geheimen Eingeständnis, dass die Welt des internationalen Verbrechens am Ende vielleicht doch nicht erzählerisch fassbar ist, zumindest nicht mit den gewohnten Thriller-Mitteln.

Titelbild

Arne Dahl: Gier. Thriller.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blankenburg.
Piper Verlag, München 2012.
506 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783492053051

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