New York häppchenweise

Irène Speiser serviert uns den Big Apple in mundgerechten Stücken

Von Constanze FiebachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Constanze Fiebach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist wohl keine besonders gewagte These zu behaupten, dass in den Gedanken der meisten Europäer die Wolkenkratzer Manhattans und die Neonreklamen am Times Square erscheinen, wenn das Stichwort New York fällt. Dass New York so viel mehr ist als das, zeigt Irène Speiser in ihrem Buch „New York. 26 Proben“ auf eindrucksvolle Weise. Sie selbst hat 20 Jahre in Manhattans Upper West Side gelebt, bevor sie nach Europa zurückgekehrt ist. Nun – so bezeichnet sie sich – ist sie eine Diaspora New Yorkerin, die rückblickend ihr Leben in dieser „unbestrittene[n] Metropole von Welt“ beschreibt und reflektiert.

In 26 kleinen Proben, Kapiteln von maximal fünf Seiten Länge, nimmt uns die Autorin mit in die hintersten Ecken ihres New Yorker Lebens. Wir sehen New York aus den Augen eines Einwohners, der weitaus mehr sieht als das touristische Manhattan. Irène Speiser schafft es, den Leser nicht nur visuell sondern auch emotional in diese Stadt, das Leben dort einzuführen. Durch die Darstellung sozialer, politischer und kultureller Kontexte bekommt man das Gefühl, wenigstens in Ansätzen zu begreifen, was es heißt, in New York beheimatet zu sein.

Die Retrospektive ist natürlich eine subjektive Sicht. Trotzdem gelingt es Irène Speiser, ohne dass man das Gefühl von Generalisierung bekommt, eine Allgemeingültigkeit herzustellen. Die Beispiele, an denen sie etwas festmacht, sind so gut gewählt, dass sie leicht übertragbar scheinen. Aber auch ganz persönliche, emotional aufgeladene Erzählungen finden sich in dem Buch. So beschreibt die Autorin auf packende Art und Weise den Transgender-Prozess eines Freundes, mit allen Problemen und Unsicherheiten, wodurch der Stadt eine Menschlichkeit zugesprochen wird, die neben dem mit New York verbundenen Glamour und Prestige oft verloren geht.

Zusätzlich zu ganz konkreten Situationen, an denen die Autorin ihre Leser teilhaben lässt, enthält das kleine Büchlein eine Menge an geschichtlichem Wissen. Irène Speiser erklärt, wer wann welchen Teil New Yorks besiedelt hat und welche Einflüsse die Stadt geprägt haben. Anhand dieses Wissens lässt sich die Veränderung New Yorks erkennen, das Wirken der verschiedenen Dekaden nachvollziehen. Der geschichtliche Blick geht allerdings über die Grenzen New Yorks hinaus, betreffen doch viele alltägliche Phänomene nicht nur den New Yorker Alltag; Wie beispielsweise die seit dem 19. Jahrhundert bestehende Qwertz- bzw. Qwerty-Tastatur.

Neben all den kleinen Dingen, die New York so aufregend und besonders erscheinen lassen, finden aber auch die negativen Gegebenheiten Platz, die das Leben in dieser Stadt weniger lebenswert machen. So beschreibt das Kapitel „Noise“ sehr realistisch die ständige Lärmbelästigung, die im Endeffekt „gnadenlos zum Erschöpfungszustand“ führe. Auch der meteorologische Zustand „hazy hot and humid“ wird eindringlich beschrieben, handelt es sich doch um „[d]ie unbestritten gefürchtetste Überschrift im Jahr“, wenn es um den Wetterbericht geht.

All denjenigen, die New York abseits der Reiseführer und dem für das touristische Auge Sichtbaren kennenlernen möchten, sei Irène Speisers „New York. 26 Proben“ empfohlen. Es bietet kurzweilige aber keineswegs oberflächliche Lektüre, die auch sprachlich Spaß macht.

Titelbild

Irène Speiser: New York. 26 Proben.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2012.
120 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783866000100

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch