Die große anarchistische Erhebung

Paul Austers Roman „Sunset Park“ ist eine schonungslose Abrechnung mit dem amerikanischen Traum

Von Daniela OttoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniela Otto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der amerikanische Traum ist längst zum Mythos verkommen. Der 11. September, Irakkrieg, Guantanamo, eine weltweit unpopuläre Regierung unter George W. Bush, Umweltsünden und die Lehman-Pleite, die zum Inbegriff einer umfassenden ökonomischen Krise geworden ist, haben diesem einst so großen Land den Glanz genommen. Der Glaube daran, dass man es vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann, wenn man nur hart genug dafür arbeitet, scheint in einer Zeit, in der sich die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, nichts als eine zynische Farce zu sein. Und doch ist da ein Rest an Hoffnung, ein irrationals Festhalten an der Vision vom glorreichen Leben in Freiheit und Präsident Barack Obama sowie sein Herausforderer Mitt Romney tun während des Wahlkampfes ihr Bestes, diese alte Mär vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu beschwören.

Die intellektuellen Köpfe des Landes tun dies jedoch nicht. Paul Auster, der zu den wichtigsten US-amerikanischen Autoren zählt, rechnet in seinem jüngsten Roman „Sunset Park“ schonungslos mit dem amerikanischen Traum ab. Während das große Land seinen Protagonisten weder Freiheit noch Frieden schenkt, suchen sie das Glück im Kleinen, Privaten. Auster erzählt die Geschichte von Miles, der gemeinsam mit Bing, Ellen und Alice in ein unbewohntes Haus in dem titelgebenden Sunset Park, einem Stadtteil von Brooklyn, zieht. Sie wohnen dort illegal, sie bleiben aus Protest und  Verzweiflung und sie suchen einen autarken Raum jenseits der Gesetze und der Moral. So unterschiedlich die Figuren auch sein mögen, sie ähneln sich doch in ihrer Zerrissenheit, sind  Vertreter einer neuen Generation, der Generation des jugendlichen Scheiterns, die ein Amerika der Wirtschaftskrise hervorgebracht hat.

„Jedes Haus eine Geschichte des Scheiterns“, so heißt es dann auch gleich auf der ersten Seite des Romans. Der 28-jährige Miles entrümpelt solche Häuser, denn in “einer zusammenbrechenden Welt, in der wirtschaftlicher Ruin und privates Elend erbarmungslos um sich greifen, ist die Entrümpelungsbranche eine der wenigen, die in dieser Gegend noch florieren.“ Es ist nur einer von vielen Jobs, die Miles innerhalb der letzten sieben Jahre angenommen hat und jeder neue Job ist eine weitere Station auf seiner Flucht vor der eigenen Vergangenheit. Miles kommt aus gutem Hause, jedoch zerrütteten Familienverhältnissen. Die Mutter, eine Schauspielerin, verlässt  ihn als Baby, sein Vater, ein Verleger, heiratet erneut, doch auch diese Familie bringt ihm kein Glück. Im Streit schubst Miles seinen Stiefbruder auf die Straße, ein Auto kommt und überfährt ihn. Miles Leben ist fortan geprägt von diesem tragischen Ereignis, ihn quälen die Schuldgefühle und die Unwissenheit darüber, “ob er es vorsäztlich getan hat oder nicht.“ Ein Trost ist ihm da nur die Liebe zu der minderjährigen Pilar und die radikale Konzentration auf die Gegenwart, das Hier und Jetzt.

Als ihm jedoch seine Liebe zu der noch nicht volljährigen Pilar vor dem Gesetz zum Verhängnis zu werden droht, folgt Miles dem Ruf seines Freundes Bing und zieht in das Haus in den Sunset Park. Auch Bing treibt das Hier und Jetzt an, doch in seinem Forschrittsskeptizismus glaubt er an eine Gegenwart, “die vom Geist der Vergangenheit durchdrungen ist.“ Bing, “der Grossmeister der Empörung“, ist der treibende Kopf hinter dem Projekt Sunset Park und in der Tat schwingt viel Geist aus jener vergangenen Epoche der Romantik mit, wenn Bing davon träumt, “aus den Ruinen einer gescheiterten Welt eine neue Realität zu schmieden.“ Als ihm Ellen, eine befreundete Maklerin, von dem leerstehenden und heruntergekommenen Gebäude erzählt, sieht er die Chance für “seine große anarchistische Erhebung“ gekommen. Im Sunset Park bildet sich nun eine postmoderne Kommune, ein neoromantisches Exil, ein Niemandsland, in dem die Helden nach Orientierung auf ihrer Reise zur eigenen Identität suchen.

Da sind nun also Miles, den seine Schuld quält, Bing, der mit seiner Sexualität hadert und insgeheim in Miles verliebt ist, die Doktorandin Alice, die ihren eigenen Körper nicht erträgt und Ellen, die psychisch massiv unter den Konsequenzen einer leichtsinnigen Romanze leidet. Vor Jahren hat sie eine Affäre mit dem erst 16-jährigen Sohn ihres Professors, wird schwanger, treibt das Kind ohne Wissen des Vaters ab. Dass Auster just diesen knabenhaften Liebhaber von einst nun als erwachsenen Mann erneut auftauchen lässt und zum erotischen und emotionalen Heilsbringer für Ellen macht, ist hart am Rande des Kitsches. Doch man verzeiht es dem Buch. „Sunset Park“ ist aufgrund der fehlenden Spannung gewiss kein „page turner“, dennoch ist der Roman lesenswert. Austers schriftstellerisches Talent liegt nicht zuletzt in seiner Fähigkeit, große Aussagen unpathetisch zu formulieren. Auster kann erzählen. Und natürlich glückt ihm auch dieses Porträt einer jungen, doch schon so verlorenen amerikanischen Gesellschaft.

Als Leitmotiv und offensichtliche Reflexion des eigenen Plots wählt Auster den Film „Die besten Jahre unseres Lebens“, ein Streifen aus dem Jahr 1946, in dem Kriegsheimkehrer nicht mehr mit ihrem Leben klarkommen. Das Leben während und nach der Krise verlangt sowohl den Film-, als auch den Romanfiguren vieles ab. Doch Auster entlässt seine Protagonisten nicht ohne Hoffnung. Wenngleich sie am Ende allesamt die Wirklichkeit in Form von Recht und Ordnung einholt, als die Polizei an die Tür klopft, ist das Haus im Sunset Park dennoch keines jener Gebäude  des Scheiterns, mit deren Schilderung  der Roman eröffnet. Dort, in diesem selbstgewählten Exil, sind die Helden der Geschichte sich selbst und damit der Verwirklichung ihres ganz privaten Traumes ein gutes Stück näher gekommen. Es ist immer noch die Zeit der Wirtschaftskrise und es ist immer noch Amerika. Doch auch dort kann man gute Jahre erleben. Man muss nur wissen, wo.

Titelbild

Paul Auster: Sunset Park. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Werner Schmitz.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2012.
314 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498000820

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