Schlag nach bei Hesse

Jürgen Belows großes Kompendium zu Leben und Werk des Autors

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das große Hesse-Jubiläum ist gefeiert, die Karawane der Laudatoren zieht weiter. Zum 50. Todestag des Dichters, der auch auf literaturkritik.de begangen wurde, gab es einen ganzen Schwung neuer Biografien, die sein Leben im Detail sehr viel genauer rekonstruierten als frühere Publikationen. Die ARD feierte den Jubilar mit der Verfilmung seiner Erzählung „Die Heimkehr“. Und selbst der „Spiegel“, der Hesse einst als „Gartenzwerg unter den deutschen Nobelpreisträgern“ beschimpft hatte, setzte ihn als „Der Störenfried“ auf das Titelbild – inklusive Stinkefinger.

Eine andere Frage ist, ob das Jubiläum auch der Literaturwissenschaft neue Impulse gebracht hat. Die Grundlagen wären da – seit Anfang des Jahrtausends hat sich die Quellenlage enorm verbessert. Neben der bisher umfangreichsten Werkausgabe in 20 Bänden, die Volker Michels betreut hat, liegt eine Vielzahl zuvor unerschlossener Briefwechsel vor, unter anderem mit engen Freunden und Weggefährten wie Hugo und Emmy Ball, der zweiten Ehefrau Ruth Wenger oder seinem Psychiater Josef Bernhard Lang. Zu den Pionier- oder besser Stachanow-Arbeiten auf diesem Gebieten zählt auch Jürgen Belows große fünfbändige Bibliografie von 2007, die 21.500 Titel der Primär- und Sekundärliteratur auflistet, und fortlaufend online ergänzt wird. Damit verfügt die Forschung über eine so reiche Arbeitsgrundlage, wie sie noch nie zuvor bestanden hat.

Der ungewöhnliche Reichtum von Belows Bibliografie ist aber auch ihr Manko. Es fehlte bisher an der Erschließung, der Einführung in den Datenwust. Mit seinem Hermann-Hesse-Handbuch schließt Below nun die Lücke, die er durch seine Akribie und seinen Arbeitseifer selbst mitgeschaffen hat. Zum einen leistet er tatsächlich die Erschließung seines eigenen Kompendiums. Zum anderen baut er auf den früheren Arbeiten von Hesses letztem Verleger Siegfried Unseld auf, der seit 1952 und zuletzt 1986 mit „Hermann Hesse: Werk- und Wirkungsgeschichte“ ähnliche, aber vergleichsweise dürftigere Einführungen vorgelegt hatte.

Wie Below, derzeit der wohl beste Kenner des Hesse-Schrifttums, dabei vorgeht, erinnert an Unselds Vorgehensweise. Anders als in vielen anderen gängigen Handbüchern gibt es keine längeren zusammenhängenden Artikel zu einschlägigen Themen, sondern vor allem das, was der Untertitel des Handbuchs verspricht: nämlich „Quellentexte“. Below lässt vor allem Zitate sprechen: aus Hesses Notizen zu den Texten, aus Briefen, Klappentexten, Rezensionen, literaturwissenschaftlichen Aufsätzen. Dahinter steht der ehrenwerte Impuls, ein möglichst objektives und trotzdem facettenreiches Bild der einzelnen Texte zu liefern. Dank Belows Akribie, die auch unbekanntere Quellen einbezieht, findet man besonders in den Einzelporträts von Hesses Texten Nuancen, auf die man so noch nicht aufmerksam geworden ist.

Ein gutes Drittel des Bandes bietet einen Durchgang durch Leben und Werk. Hier sind nicht nur die „großen“ Texte aufgelistet, sondern auch kleinere Buchveröffentlichungen, die in dieser Form oft nie wieder aufgelegt worden sind. Besonders zu loben ist, dass Below auch die posthumen Veröffentlichungen aufnimmt. So bekommt man Einblicke in die Hesse-Rezeption des letzten Halbjahrhunderts, die man nirgendwo anders so konzentriert finden kann. Auch eine Auswahl an Forschungsliteratur ist gleich an dieser Stelle mitgegeben. Nach einem Überblick über die bisher publizierten Briefsammlungen und Briefwechsel widmet sich Below auf beinahe 300 Seiten der, thematisch geordneten, Sekundärliteratur.

Das alles macht das Handbuch unverzichtbar für den angehenden oder fortgeschrittenen Hesse-Forscher. Aber Vorsicht: Das Buch ersetzt weder die eigene Lektüre der Originale, wie Below gleich in der Einführung warnt, noch ist es ein handlicher Digest der einzelnen Texte oder gar zu Hesses Biografie. Die prominente Rolle der Quellen, das Bemühen um Neutralität haben auch eine problematische Seite. So interessant die Zitate sind, so unvermittelt stehen sie im Eintrag oft nebeneinander. Das Ergebnis ist eher ein Mosaik als ein geschlossenes Bild. Die wechselnden Schriftgrößen und besonders der kleine Font machen das Handbuch nicht gerade lektürefreundlich. Zudem setzt die detailreiche, in kleine und kleinste Abteilungen gegliederte Darstellung bereits gewisse Vorkenntnisse von Hesses Leben und Werk voraus. Die Auswahl der Briefstellen, der Rezensionen und Forschungsarbeiten ist natürlich subjektiv. Man kann darüber streiten, ob die in jedem einzelnen Fall gelungen ist. Bei der Datenmenge, auf die Below zurückgreifen konnte, ist der Akt der Selektion aber unvermeidbar. Eine Einführung für ein allgemeines Lesepublikum, das Hesse genauer kennen lernen will, sieht jedenfalls anders aus. Diese Leser sind mit den neuen Biografien, ja selbst mit Unselds Arbeiten besser bedient. Wo jedoch zu Hesse geforscht wird, wo Studierende ihre Referate zu „Siddhartha“ und Lehrer ihre Unterrichtseinheiten zum „Steppenwolf“ vorbereiten, da ist diese Materialsammlung unschlagbar. Sie sollte in keiner Universitäts- oder Seminarbibliothek fehlen.

Titelbild

Jürgen Below: Hermann Hesse-Handbuch. Quellentexte zu Leben, Werk und Wirkung.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M. 2012.
574 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9783631631867

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