Vision eines in Frieden geeinigten Europa
Eine Publikation über den europaweit agierenden Maler-Fürsten und Maler-Diplomaten Peter Paul Rubens
Von Klaus Hammer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBereits als junger Mann war er Hofmaler des Herzogs von Mantua gewesen und hatte in dessen Auftrag eine Reise an den spanischen Hof von Valladolid unternommen. Nach seiner Rückkehr 1608 ins heimische Antwerpen trat er in den Dienst des habsburgischen Statthalterpaares Albert und Isabella, das ihm ebenfalls politische Aufgaben übertrug. Ein Netzwerk aus gebildeten Antwerpener Patriziern verhalf Rubens zu seinen ersten Auftritten auf dem großen politischen Parkett. Er arbeitete für den französischen Hof, wurde 1624 vom spanischen König geadelt und 1630, nach erfolgreichen Friedensverhandlungen, vom englischen König zum Ritter geschlagen. Im Zusammenhang mit seiner Friedensdiplomatie entstanden für die großen europäischen Könighäuser umfangreiche Gemäldezyklen, am bekanntesten der Medici-Zyklus im Pariser Louvre, aber auch große Malerei-Projekte in England und Spanien.
Dass das Museum der Schönen Künste in Antwerpen wegen Renovierungs- und Erweiterungsbauten für einige Jahre geschlossen bleibt und Leihgaben der weltberühmten Rubens-Sammlung zur Verfügung standen, hat das Von der Heydt-Museum in Wuppertal veranlasst, mit weiteren bedeutenden Werken aus Museen und Privatsammlungen eine Ausstellung (bis 28. Februar 2013) zusammenzutragen, in der Politik, allegorische Figuren und bildnerische Rätsel eine geistreiche Verbindung eingehen. Seine Vision eines in Frieden geeinten Europa konnte Rubens nur in allegorisierter Form zum Ausdruck bringen. Er bemühte die Welt der christlichen und antiken Mythologie, um seine Vorstellungen vom Frieden zu erläutern. Christus, Maria, die Heiligen, die Liebesgöttin Venus, die bei Rubens auch Verkörperung des Friedens ist, und der Kriegsgott Mars sind darin seine Hauptakteure. Dazu treten die Personifizierungen von Wohlstand, Kultur, Bildung, aber auch von Hass und Neid, Hunger und Pest.
Der die Ausstellung begleitende Katalog bringt neue Erkenntnisse in die Rubens-Forschung ein und erweist sich als eine wahre Fundgrube zum Thema der Kriegs- und Friedensallegorien des Malers, Philosophen, Geschäftsmannes und Diplomaten Peter Paul Rubens. Gerhard Finckh, Direktor des Von der Heydt-Museums und zugleich Kurator der Ausstellung, gibt eine Zusammenschau der unterschiedlichen Aspekte und Einflusssphären, die das Leben und Schaffen des flämischen Künstlers geprägt haben, und erläutert ausführlich die Konzeption der Ausstellung. In den Wirren der über 100 Jahre andauernden Kriege, die unter dem Vorwand geführt wurden, es gehe um Grundfragen des christlichen Glaubens, habe Rubens, so führt er aus, einen „dritten“ Weg zwischen den verfeindeten Parteien der Katholiken und Protestanten gesucht und ihn in der Rückbesinnung auf die antike Philosophie des Stoizismus gefunden, dessen römischer Hauptvertreter Seneca war.
Julius Müller Hofstede beschäftigt sich mit der kürzlich in Privatbesitz entdeckten ersten „Kreuzabnahme“ (um 1602) des Malers und analysiert diese trianguläre, ausgewogene Komposition mit dem durch helles Licht hervorgehobenen Körper Christi als Stifter der Eucharistie im Mittelpunkt und den Frauen und Männern seiner engsten Gefolgschaft, die ihn in Empfang nehmen. Dem Decius Mus-Zyklus, der ersten Teppichfolge von Rubens, die einer Identifikationsfigur für Tugendadel gewidmet ist, widmet sich Susanne Tauss. Rubens’ unvollendetes Projekt für das Palais du Luxembourg, das die militärische Karriere der charismatischen Gestalt Heinrichs IV., Königs von Frankreich und Navarra, glorifizieren sollte, hat sich Nico van Hout zum Thema gewählt. Dem Betrachter biete die unvollendete Heinrich-Serie die seltene Gelegenheit, einen Blick auf Rubens’ Malpraktiken bei den endgültigen Gemälden werfen zu können. Dass Rubens auch auf dem Gebiet der Graphik wesentliche Maßstäbe gesetzt hat, zeigt Paul Huvenne. Lange Zeit wurden Rubens’ Blätter als Reproduktionsgraphik eingeordnet. Erst in neuerer Zeit hat sich herausgestellt, dass der Eigenanteil Rubens’ am Entstehungsprozess dieser Blätter viel größer als bisher angenommen war. Wie er diese Blätter plante, ihre Produktion kontrollierte und inspirierte, darin offenbart sich eine künstlerische Handschrift, so der Autor, die den besten Graphiken der Bildenden Kunst ebenbürtig sei. Rubens’ Selbstverständnis und Selbstdarstellung als malender Philosoph, gelehrter Edelmann und Diplomat umschreibt Holger Jacob-Friesen. Dabei widmet er sich Rubens’ Selbstporträts, seiner repräsentativen Wohn- und Wirkungsstätte, die einem künstlerisch-philosophischen Programm folgt, Rubens als Buchautor und Illustrator von philosophisch-politischen Werken und der Sammlung des Künstlers, in der sich dessen Begeisterung für die Antike manifestiert. Rubens’ Aufenthalt in Italien 1600-1608, vor allem als Hofmaler des Herzogs von Mantua, Vincenzo Gonzaga, untersucht Christian Pickartz, während Rubens im Dienst des Brüsseler Hofes, im Auftrag des Erzherzogs Albrecht von Habsburg und der spanischen Infantin Isabella, die mit ihrer Heirat 1598 zu souveränen Herrschern über die Niederlande geworden waren, von Marion Lisken-Pruss einer genauen Betrachtung unterzogen wird.
Mit seinen zahlreichen religiösen Werken, die wirkungsvoll auf emotionale Bindung und Vereinnahmung setzten, stellte sich Rubens, so schreibt Michael Philipp in seinem Beitrag, in den Dienst der Gegenreformation und trug so zur Stabilisierung der habsburgischen Herrschaft in den südlichen Niederlanden bei. Dabei bediente der Künstler nicht nur die Wünsche der Auftraggeber nach repräsentativen monumentalen Formaten, sondern setzte seine auf Miterleben und Miterleiden zielende Wirklichkeitsnähe auch in stillen Andachtsbildern ein. Wie Adel und Bürgertum als Auftraggeber in Rubens’ frühen Antwerpener Jahren fungierten, erläutert Nicole Hartje-Grave, Co-Kuratorin der Ausstellung. Rubens hat mit historischen, religiösen und mythologisch-allegorischen Themen Gemälde einer öffentlich-politischen Bestimmung geschaffen – für die Antwerpener Bürgerschaft wie für den Brüsseler Hof, auch Porträts, Landschaften und Jagdszenen für bürgerliche und adelige Kunstliebhaber. Bei vielen ist heute nicht bekannt, für wen Rubens sie damals gemalt hat. Mit den Bildern der zwei Gemäldezyklen für den französischen Hof, welche der Darstellung des Lebens und der Taten von Maria de’ Medici und Heinrich IV. gewidmet sein sollten, setzt sich Olaf Mückain auseinander. Rubens’ Friedensmission in London wird von Gudrun Raatschen behandelt und unter dem Titel „Malerei triumphiert über den Krieg“ behandelt die gleiche Verfasserin das Thema Krieg und Frieden im Spätwerk des Künstlers. Alle Beiträge sind mit zum größten Teil ganzformatigen Abbildungen versehen. „Rubens im Europa des Dreißigjährigen Krieges“ von Nicole Hartje-Grave verbindet abschließend die Lebensgeschichte des Künstlers in eindrucksvoller Weise mit der Zeitgeschichte.
Auf einige markante Friedens- und Kriegsallegorien des Künstler-Diplomaten soll hier besonders hingewiesen werden. Dem englischen König Charles I. hatte Rubens 1629 sein Gemälde „Krieg und Frieden (Minerva schützt Pax vor Mars)“ präsentiert, das seinen diplomatischen Auftrag in eine allegorische Form fasste: Ein Leben in Frieden und Wohlstand nach Ende des Krieges. Minerva hat hier die Aufgabe der Verteidigung des Friedens gegen äußere Gefahren übernommen. Venus-Pax nährt den Amorknaben, zu ihren Füßen sind die Früchte des Friedens ausgebreitet. Selbst die wilde Natur der Raubkatze, des Leoparden, und die gemeinhin aggressive Triebhaftigkeit des Satyr beugen sich der allgemeinen Friedfertigkeit, dem Charakteristikum des „Goldenen Zeitalters“. Im Unterschied zu dieser Londoner Friedensallegorie vertreibt auf zwei verwandten Rotterdamer Ölstudien Minerva Mars mit vollem Einsatz. Während auf dem Londoner Bild die Segnungen des Friedens im Vordergrund stehen, zeigt Rubens hier die Schrecken des Krieges.
Das Thema Krieg und Frieden war in späteren Werken von Rubens von wachsender Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit geprägt. In der Allegorie „Die Folgen des Krieges“ (1637/38) stürmt Mars mit bluttriefendem Schwert aus dem offenen Tempel des Janus und wird von der Furie Alekto vorwärtsgezogen, während Venus ihn vergeblich zurückzuhalten sucht und eine hilflose Europa flehentlich die Hände zum Himmel streckt. Rubens’ eindrückliche Allegorie über den seit Jahrzehnten andauernden Krieg dokumentiert seine vergeblichen Friedensbemühungen. Seine Komposition überwältigt durch die Gewalt ihrer Bewegung, sie scheint durch eine doppelte Horizontale gleichsam in Streifen gerissen zu werden. Die Gestalt der Europa, eine ergreifende Erfindung des Meisters, hat die Arme in einer Gebärde der Verzweiflung und Anklage erhoben, der sich Picasso in seinem Guernica-Bild (1937) bedient zu haben scheint. Und wie dieses ist auch das Gemälde von Rubens Klage und Anklage über eine furchtbare Zeit, wie dieses reißt uns das mythische Drama in das Geschehen der Gegenwart hinein. Dass Rubens wichtige diplomatische Aufträge übernommen hat, darin liegt der Grund für seine wiederholten Versuche, die Auseinandersetzungen der europäischen Staaten beziehungsweise der sie Regierenden nicht nur mit diplomatischen Mitteln, sondern durch die Sprache der Kunst zu beeinflussen.
Erst 1648 – acht Jahre nach Rubens’ Tod – beendete der Westfälische Friede den Dreißigjährigen Krieg und das politische und künstlerische Vermächtnis von Rubens wurde von Malern wie Theodoor von Thulden aufgegriffen, der in seiner „Allegorie auf Gerechtigkeit und Frieden“ – ganz im Rubens-Stil – Justitia und Pax in freundschaftlicher Umarmung zeigt.
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