Abgesänge auf den heroischen Mann

Walter Mosleys „Bis dass der Tod uns scheidet“ ist weniger ein Krimi als eine Abhandlung über die Schönheit des bürgerlichen Familienlebens

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Walter Mosley hält nicht lange hinter dem Berg mit dem, was er vom bürgerlichen Leben hält (oder genauer, was er seinen Helden, den relativ kleinwüchsigen, dennoch höchst gefährlichen Leonid McGill vom bürgerlichen Leben halten lässt): Die Vorstellung, jeden Morgen um neun in einem Büro zu erscheinen, ohne zu wissen, was man dort will, ist ihm ebenso wenig attraktiv, wie die Möglichkeit, gegen fünf sein Büro wieder zu verlassen. Lieber geht der Mittfünfziger immer noch ins Boxstudio und lässt sich dort an der Boxbirne in Trance fallen. Das ist zwar anstrengend, aber immerhin hat man sein Leben selbst in der Hand, eine Vorstellung, die für einen Ex-Killer, der sich jetzt als Privatdetektiv verdingt, einigermaßen verblüffend wirkt.

Nicht jedoch, wenn man sich das Profil dieses McGill anschaut: Der Vater ein amerikanischer Kommunist, dessen bester Freund und Ziehonkel einer der einflussreichsten Kriminellen Chicagos, die Frau hat ein Verhältnis mit dem besten Freund eines der Söhne, die Ehe selbst wird nur noch als Arrangement geführt, die Kinder sind von verschiedenen Vätern, was keinem der Beteiligten etwas ausmacht (was gut so ist), einer der Söhne ist allerdings ein vom Gesetz wenig beeindruckter Hochbegabter, der vom Vater unauffällig überwacht wird, wie McGill überhaupt lieber weiß, was geschieht, als es nur hinzunehmen.

Dieses Familienidyll wird durch die diversen Liebschaften McGills ergänzt, die selbstverständlich und ohne weiteres unter den Schutz dieses kleinen, selbstbewussten Mannes gestellt werden, dessen Kontakte mit der Unterwelt – zum Beispiel mit einem pensionierten Killer, der nun Chauffeur spielt – immer noch funktionieren und der naheliegenderweise, trotz seines Legalitätskurses keine besten Beziehungen zur Polizei pflegt.

Dieser Mann ist nicht auf Krawall aus, aber hat keine Scheu Gewalt anzuwenden. Er verfügt über alle notwendigen Mittel, um alle, die sich ihm in den Weg stellen, dort wegzuräumen.

Aber er ist ein großer Retter: Seine Familie steht unter seinem Schutz, und zwar unabhängig davon, dass Patchwork dafür schon ein arg harmonisierender Begriff ist. Seine Frauen und Kinder stehen unter seinem Schutz. Seine Freunde nicht minder, und immer wieder rettet er jemanden vor sich oder anderen. Einem jungen Boxer schuldet er was, weil er ihn vor Jahren in den Knast gebracht hat. Einer jungen Bettlerin verhilft er zum Ausstieg aus der Gosse. Und natürlich ist er auch seinen Klienten verpflichtet, wobei das Geld, das er ausgibt, in keinem Verhältnis zu dem steht, was er mit seinen Jobs einnimmt. Dass er klamm sein muss, taucht aber nur kurz als Motiv auf, das schnell wieder verschwindet.

Es ist denn auch nicht der Fall, der Mosleys Krimi lesenswert und interessant macht. Der ist eher mau und wird beinahe schon beiläufig abgehandelt. Die Dialoge und Gespräche sind kaum der Rede wert, soweit sie als Erkundungen gelten können. Soweit es um Coolness und Witz geht: Das hat man auch schon mal besser gesehen.

Aber nicht einmal die Anlage der Figur ist das Besondere an diesem Roman. Figuren aus dem Zwischenreich von Legalität und Verbrechen sind häufig genug. Meistens Cops mit schlechten Manieren oder Kriminelle mit Neigungen zum Guten. Hier ist es ein Exkrimineller, der nur noch Gutes tun will.

Das ist schon merkwürdig genug, spätestens aber in der Szene, in der er mit einer Mandantin ins Bett geht, weil ihr Lächeln Vertrauen signalisiert, kristallisiert sich das Generalthema in Mosleys Roma heraus: der Abgesang des heroischen Mannes und das Loblied der sozialen Idylle.

Dass die Heroen des hard-boiled Krimis eigentlich vor allem Verfechter des heilen sozialen Raums sind, in dem immer so etwas wie eine Familie bewahrt werden muss, ist keine neue Erkenntnis. Der Zyniker als Romantiker? Der einsame Held als Reminiszenz der Familie, die in der Sozialgeschichte und im kapitalistischen Malstrom zerschlagen worden ist?

Erzählt werden muss das trotzdem, und Figuren wie McGill sind die angemessenen Geschichten-Träger. Denn es ist am Ende doch das schönere Leben, morgens um 9 Uhr im Büro zu sein und es um 5 Uhr abends zu verlassen, in sein Vororthäuschen zu fahren zu den Lieben daheim. Natürlich ist allen klar, dass die Lieben sich anders zusammensetzen als früher (wann immer das gewesen sein mag). Und das Häuschen bezahlt sich auch nicht von allein.

Die andere Welt der McGills sehnt sich – kaum verhohlen – nach solchen Idyllen, nach den wahren Werten, den alten Freunden und denen, die man liebt (et vice versa). So hart und cool sie auch sein mögen, das ist das Leben, das sie wirklich anstreben, vergeblich zwar, aber die Sehnsucht bleibt.

Titelbild

Walter Mosley: Bis dass der Tod uns scheidet. ein Leonid-McGill-Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Peter Torberg.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
378 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783518463369

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch