Die Debatte um das Internet – weichgespült?

Kathrin Passig und Sascha Lobo bewegen sich mit ihrem Gemeinschaftswerk „Internet – Segen oder Fluch“ zwischen Deeskalation und unverbindlicher Oberflächlichkeit

Von Jörg SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kathrin Passig und Sascha Lobo gehören zu den profiliertesten und meistgefragten Publizisten der ‚digitalen Generation‘. Dementsprechend wurden dem von beiden verfassten Debattenbuch „Internet – Segen oder Fluch“ hohe Erwartungen und Vorschusslorbeeren entgegengebracht. Bereits Wochen vor dem Erscheinen lobte die „Süddeutsche Zeitung“, anders als in Manfred Spitzers alarmistisch internetkritischem Buch „Digitale Demenz“ werde der Gegenstand hier „unaufgeregt betrachtet“. Der Klappentext verspricht einen „wichtigen, klärenden Beitrag zur Debatte, eine glänzende Analyse unserer Gegenwart und einen Blick in die Zukunft“.

Tatsächlich greifen Passig und Lobo so gut wie alle derzeit in der Diskussion über Chancen und Risiken des World Wide Web wichtigen Streitpunkte auf und deklinieren sie mit großer Gelassenheit durch. Aspekte wie Beschleunigung oder Informationsüberflutung werden ebenso behandelt wie die Frage nach der Qualität von Informationen im Netz, der kollaborative Charakter von Internetprojekten wie Wikipedia sowie die vermeintlichen politisch-revolutionären Potentiale des neuen Mediums. Umrissen werden das Spannungsfeld von Kontrolle und Freiheit sowie die ambivalenten Auswirkungen des Internet auf das Sozialleben und die Neudefinition der Privatsphäre im digitalen Zeitalter oder die Gefahren der Manipulation, die durch Filter- und Empfehlungssysteme entstehen.

Zu diesen Diskussionspunkten lassen Passig und Lobo nicht nur die pro- und contra-Argumente Revue passieren. Ihr Ziel ist es, eine Metaposition zur aktuellen Debatte einzunehmen, denn: „Der dringend notwendige Diskurs um das Internet, seine Bedeutung für unser Leben und seine Folgen für die Welt ist ritualisiert und erstarrt.“

Die Autoren nehmen also bewusst eine gewisse Distanz zur aktuellen Debatte ein. Aus dem Abstraktionsniveau, das sie für sich in Anspruch nehmen, resultiert jedoch statt Erkenntnisgewinn oftmals nur Unverbindlichkeit. Das Buch wirkt daher streckenweise so behäbig wie sein Titel – die Auseinandersetzung mit Streitfragen hört bei Passig und Lobo zumeist auf, bevor es richtig wehtun würde.

Zwar zeichnet sich das Buch dadurch aus, Argumentationsmuster der Internetgegner und -befürworter kritisch unter die Lupe zu nehmen. Allerdings ist es um die eigene Argumentation teilweise kaum besser bestellt. So dient der permanente Verweis darauf, die Skepsis gegenüber technischen Fortschritten sei auch in der Vergangenheit meist eines besseren belehrt worden, nicht gerade einer genauen Auseinandersetzung. Wenn in diesem Zusammenhang auch noch behauptet wird, „das Thema des hupenden, quiekenden Verkehrs (sei) heute weitgehend aus den Beschwerdelisten verschwunden“, so zeugt das von einer verzerrten Perspektive – die Anwohner von Durchfahrtsstraßen dürften das etwas anders sehen.

Sicher ist es vernünftig, die Chancen des Internet als historisch einmaligem dezentralem Kommunikationsnetz zu betonen und den sinnvollen pragmatischen Umgang mit der neuen Technologie gegenüber grundsätzlichen Zweifeln in den Vordergrund zu rücken. Wenn aber etwa der Skepsis gegenüber Filter- und Empfehlungssystemen entgegengehalten wird, dass auch im „eigenen Gehirn“ Filter am Werk seien, so dient das wiederum kaum der ernsthaften Problemdiskussion. Denn wo auf angebliche anthropologische Universalien verwiesen wird, rücken die enormen kommerziellen Interessen in den Hintergrund, die der Freiheit und Dezentralität des Internet auf Dauer mehr schaden werden als alle staatlichen Eingriffe. Nicht immer bedeutet Abstraktion, dass die Diskussion damit auf eine höhere Ebene gehoben wird – schon gar nicht, wenn statt Argumenten Plattitüden vorgebracht werden wie „Die Gesellschaft ist man eben nicht allein“ oder: „In dem Moment, in dem wir auf irgendeine Weise am Leben der restlichen Welt teilnehmen, erfährt diese Welt auch das eine oder andere über uns.“ Eher monoton als witzig wirkt auf die Dauer auch die bemühte Ironie nach dem Strickmuster: „Aus kulturpessimistischer Perspektive dürfte das Abendland inzwischen acht bis elf Mal nachvollziehbar untergegangen sein.“

Dieser Neigung zum Unverbindlich-Belanglosen kontrastiert die Auseinandersetzung etwa mit dem derzeit virulenten Problem des Urheberrechts. Das bewusste Abwägen von Positionen gelingt in diesem Fall, indem die Sachverhalte zunächst einmal fundiert dargestellt werden. Gerade hier wird demonstriert, wie sinnvoll es ist, eine kritische Metaposition gegenüber einer Debatte einzunehmen, die „derart metapherngetränkt geführt (wird), dass allein die Begriffe schon ein Weltbild samt Universallösung installieren, noch bevor das erste Argument ausgetauscht ist.“

Dass Formulierungen wie Content-Mafia oder Raubkopierer noch eher harmlos sind, demonstrieren etwa die Pamphlete, die – neben einigen differenzierteren Beiträgen – im ebenfalls vor Kurzem publizierten Sammelband „Wer besitzt das Internet? Die Freiheit im Netz und das Urheberrecht“ versammelt sind. Typisierende Verunglimpfungen und plakative ideologische Verurteilungen wie „flennende Piraten“, „Neofeudalismus im digitalen Zeitalter“ oder „elektronischer Kerker für Ideen“ gehören hier ebenso zum argumentativen Standard wie schicke Worthülsen à la „nachhaltige Informationslandschaften“. Wie notwendig gegenüber solchen ideologischen Schlachten eine vernünftige Deeskalationspolitik ist, demonstrieren uns Kathrin Passig und Sascha Lobo.

Titelbild

Kathrin Passig / Sascha Lobo: Internet - Segen oder Fluch.
Buch inklusive E-Book.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012.
317 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783871347559

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Stefan Kraft (Hg.): Wer besitzt das Internet? Die Freiheit im Netz und das Urheberrecht; Eine Streitschrift.
Promedia Verlag, Wien 2012.
176 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783853713457

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