Vom Rausch zur Nüchternheit

Das CD-Portrait „Das Märchen ist zu Ende“ ist eine akustische Annäherung an Emmy Hennings

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Emmy Hennings? Noch nie gehört – oder? Doch, den Namen kennt man. Zumindest dann, wenn man sich der Gründung des Dadaismus im Zürcher Cabaret Voltaire und mit Hugo Ball beschäftigt, mit dem sie später verheiratet war. Oder wenn man Hermann Hesse und seinen Freundschaften in der Tessiner Zeit der 1920er-Jahre nachgeht. Letzteres kann man im Briefwechsel zwischen Hesse, Ball und seiner Frau nachlesen, den Suhrkamp vor einigen Jahren publiziert hat – oder in Eveline Haslers Roman „Und werde immer Ihr Freund sein“ (2010), der die Freundschaft zwischen diesen dreien porträtiert. Hennings selbst dabei stets ein wenig im Dunkel – als hätte man sie nur wegen der beiden bekannteren Männer aufgenommen.

„Das Märchen ist zu Ende“, ein liebevoll zusammengestelltes Portrait der Künstlerin als junger Frau, kann dem abhelfen. Über eine Distanz von fast drei Stunden hat der Hamburger Künstler Karmers zeitgenössische Quellen und neue Songs zusammengestellt. Er lässt Hennings in eigenen Briefen und Gedichten ebenso zu Worte kommen wie ihre Freunde, Liebhaber und Verehrer – eine Liste, die sich liest wie ein Literaturlexikon der Jahre um 1910: Erich Mühsam, Jakob van Hoddis, Ferdinand Hardekopf (zeitweise ihr Zuhälter), Johannes R. Becher und Claire Waldorff. Man erfährt von Drogen und Alkohol, von bitterer Armut und drittklassigen Nachtklubs ebenso wie von der persönlichen Antipathie zwischen Hennings und Else Lasker-Schüler. Dabei geht Karmers keineswegs sensationslüstern vor, sondern liefert ein wirklich einfühlsames Porträt der Künstlerin, dem man gerne zuhört. Dabei gibt auch er keine vollständige Biografie – Hennings’ Flensburger Kindheit wird ebenso ausgeblendet wie Alter und Tod. Erst das letzte Drittel widmet sich bekannteren Episoden wie der Beziehung zu Ball, den Jahren in Zürich, der Freundschaft zu Hesse – auch wenn es schade ist, dass die Erzählung mit Balls Tod abbricht. Das mag ein schlüssiges Ende ergeben, aber gerade jetzt ist die Neugier erweckt, wie es denn mit Hennings weiterginge. Aber Karmers’ Wahl ist legitim, gerade weil man bis dahin viele Quellen zu Gehör bekommt, auf die man so noch nie gestoßen ist.

Leider findet sich auf der dritten CD auch das einzige echte Ärgernis: Uwe Friedrichsen, der Hesse liest, muss bei einem Track mehrmals abbrechen und neu ansetzen – und so schlampig wird das Ganze dann auch auf CD gebrannt. Es ist, als wenn man einem Schauspieler auf offener Bühne beim Stolpern zusieht oder im Film das Mikro von oben in die Kamera hängt – eine unwillkommene und wohl auch unbeabsichtigte Durchbrechung der Illusion. Das ist aber auch der einzige Kritikpunkt an diesem Album, dem man anhört, wie viel Herzblut in ihm steckt.

Titelbild

Emmy Hennings: Das Märchen ist zu Ende.
Edition Apollon, Königs Wusterhausen 2012.
3 CDs; 176 Minuten, 23,99 EUR.
ISBN-13: 9783941940178

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