Die Zigarre, der Zoo und die Weltpolitik

Ernst-Georg Richters historischer Kriminalroman „Das Kongo-Komplott“ führt den sympathischen Kommissar Kummerow ins aufstrebende Berlin der Kaiserzeit und macht ihn mit den dunklen Seiten des Kolonialismus bekannt

Von Bastian SchlüterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bastian Schlüter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als das Deutsche Reich sich im Jahr 1884 anschickte, Kolonialmacht zu werden, da schlug der „Eiserne Kanzler“ Otto von Bismarck noch vergleichsweise moderate Töne an. Ihm ging es in seiner Überseepolitik vornehmlich darum, das fragile Machtgleichgewicht der europäischen Staaten zugunsten des Deutschen Reiches zu sichern. Bismarck hatte es geschickt eingefädelt, die Diplomaten in jenem Jahr in Berlin zusammenkommen zu lassen, wo sie auf der Kongo-Konferenz den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten. So vergleichsweise bedachtsam allerdings wie der deutsche Kanzler schauten nicht alle Europäer auf die Landkarte. Dem machthungrigen belgischen König Leopold II. ging es vielmehr darum, für sich ganz allein, für seine Privatschatulle, ein möglichst großes Gebiet in Zentralafrika zu sichern. Sein Griff nach dem Kongo geschah nicht ohne Hintergedanken, denn dem Monarchen war schon damals klar, wie gut sich das afrikanische Land wirtschaftlich würde ausbeuten lassen – und das geschah dann auch in den folgenden zweieinhalb Jahrzehnten. Mit größter Rücksichtslosigkeit und Brutalität setzte die belgische Kolonialmacht bis 1908 die eigenen Interessen in die Tat um. Heute weiß man, dass dem Raubzug der belgischen Kolonialisten mindestens fünf Millionen Kongolesen zum Opfer fielen.

An dieser so bedeutenden Wegmarke in der Geschichte des Kolonialismus hat Ernst-Georg Richter die Handlung seines historischen Kriminalromans „Das Kongo-Komplott“ angesiedelt. Und gleich vorweg sei gesagt: das politisch wie ethisch so anspruchsvolle Thema des Kolonialismus legt sich nicht schwer über die Lektüre des spannenden Krimis aus der Kaiserzeit. Richter schafft es, für den geschichtlichen Hintergrund seiner Handlung unaufdringlich Interesse zu wecken – und dieses wird dann in einem klugen wie knappen Nachwort mit weiteren Informationen und Lesetipps versehen. Im Vordergrund steht etwas ganz anderes, nämlich der erste Fall von Kommissar Albert Kummerow. Der ist frisch aus Posen nach Berlin gekommen und sieht sich mit einem unerwarteten Handstreich seines Chefs hineinversetzt in die diplomatischen Verwicklungen der europäischen Weltpolitik. Auf einen belgischen Gesandten ist ein Mordanschlag verübt worden. Doch nicht nur die gerade unter Bismarcks Vorsitz tagende Konferenz lässt vermuten, dass alles etwas mit den Kolonialambitionen zu tun hat.

Kommissar Kummerow und sein Co-Ermittler, der smarte Offizier Joachim von Tarlenheim, finden am Tatort eine Zigarre, deren Marke niemand kennt. Woher kommt sie, und vor allen Dingen: wem soll die Zahlenfolge auf der Rückseite der Bauchbinde etwas sagen? Der angeschossene Belgier liegt verwundet im Krankenhaus und lässt sich nicht befragen. Die Spurensuche führt die Ermittler zunächst an einen Ort, der auf den ersten Blick ganz politikfern erscheint: in den Zoologischen Garten. Doch wer dort nur Tiere vermutet, liegt falsch, denn im 19. Jahrhundert wurden in Zoos und Tierparks sehr wohl auch Menschen ausgestellt. Für die sogenannten „Völkerschauen“ ließ man ganze afrikanische Dörfer und ihre Einwohner nach Europa verfrachten, wo sie das Bedürfnis nach Exotischem stillen sollten, nach „unzivilisierten Wilden“.

Gerade haben Kummerow und Tarlenheim sich in diese für sie neue Welt vorgetastet, da sind zwei weitere Unglücksfälle zu vermelden. Ganz plötzlich stirbt der Direktor des Zoologischen Gartens. War es ein natürlicher Tod, oder wollte jemand den beliebten Zoodirektor Bodinus aus dem Weg räumen? Vollends aber wird den beiden Ermittler klar, dass sie sich mitten in einer gewaltsamen Verwicklung befinden, als sie sich mit einer ganz besonderen Mordwaffe konfrontiert sehen: Wer hat den Übersetzer der im Zoo ausgestellten Kongolesen im Elefantenhaus festgebunden und ihn von einem wild gewordenen Dickhäuter zu Tode trampeln lassen?

Vom Schauplatz dieses perfiden Mordes aus führen die Untersuchungen die beiden Kriminaler in die unterschiedlichsten Sphären und Milieus der Reichshauptstadt. Kummerow macht die Bekanntschaft des aufgeweckten Mädchens Ida Küster, das mit seiner blinden Mutter in den Armutsvierteln der rasch anwachsenden Metropole lebt. Zu markanten Auftritten verhilft Ernst-Georg Richter aber auch allerlei Prominenz aus dem Berlin des späten 19. Jahrhunderts. Der Mediziner Paul Ehrlich, hier noch ein junger Professor, später Nobelpreisträger, hilft bei der Aufklärung des Falles. Und Adolph von Menzel, der berühmte malende Chronist der Epoche, gehört ebenfalls zum Personal des Krimis und kann dem frischgebackenen Berliner Ermittler mit seiner Stadt- und Menschenkenntnis zur Seite stehen. Nicht zu viel verraten ist, wenn erwähnt wird, dass die kriminalistischen Erkundungen bis in allerhöchste Sphären führen, zum Reichskanzler und zum Kronprinzen Friedrich. Ein ganz besonderer Höhepunkt ist jedoch zweifelsohne die rasante Verfolgungsjagd mit der Pferdekutsche zwischen den Säulen des Brandenburger Tores hindurch. Trotz dieses vielfältigen historischen Panoramas vermeidet es der Autor, lediglich eine Ansammlung historischer Postkartenmotive mit schnellem Wiedererkennungswert abzuspulen.

Die kaiserzeitliche Reichshauptstadt erhält in Richters Schilderung einen ganz eigenen Charme. Ein etwas herber Hauch von Theodor Fontane lässt sich vernehmen, ganz sicher auch eine Spur Joseph Roth – im Vordergrund steht aber immer, trotz literarischer Anspielungen, die spannende Krimiunterhaltung. Der Fall klärt sich auf, vorab aber zerrt noch eine hinterhältige Kindesentführung an den Nerven des jungen Kommissars und er wird von einer sehr reizvollen jungen Dame aus der gehobenen Gesellschaft schwer enttäuscht. Ob Albert Kummerow dennoch in der Reichshauptstadt bleiben und das heimische Posen hinter sich lassen will? Da im aufstrebenden Berlin vor der Jahrhundertwende ganz sicher noch so manches Verbrechen geschehen wird, ist zu hoffen, dass Ernst-Georg Richter seinen Kommissar in Serie gehen lassen will.

Titelbild

Ernst-Georg Richter: Das Kongo-Komplott. Roman.
Lau Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013.
264 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783941400467

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