Meister der Miniatur

Über Tobias Prempers absurd-schönen Erzählband „Durch Bäume hindurch“

Von Johannes SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Witzig und abgründig sind sie. Hintersinnig und offenkundig. Fein und derb. Und immer etwas neben der Spur. Einundsiebzig Miniaturen, kurze Geschichten, kleine Einfälle hat Tobias Premper konserviert. Herausgekommen ist ein schmales Bändchen von nicht einmal einhundert Seiten, das seinen Leser in einen Bann schlägt, dem er kaum entkommen kann.

Die kleinen Formen sind es, die Prempers Werk bisher bestimmen (ein Roman soll gleichwohl in Planung sein). 1974 im niedersächsischen Celle geboren, heute in Berlin lebend, pflegt er die Kunst, seine Notizbücher mit allem zu füllen, was ihm auf- oder einfällt. Erstes Ergebnis dessen war der Band „Das ist eigentlich alles“, der letztes Jahr ebenfalls bei Steidl erschien. Daneben gibt er die „Boxenbücher“ heraus, Kartons mit losen Blättern voller Texte, Zeichnungen, Collagen etc. Und nun eben „Durch Bäume hindurch“, eine Sammlung von Kurzgeschichten, die nie über zwei Seiten hinausgehen. Mehr braucht es aber auch nicht für den Autor, der mit Formen der Literatur genauso experimentiert wie mit Formen des Buchs, um die Welt auf den Kopf zu stellen.

Schon die als Klappentext gewählte Erzählung „Der Mantel“ vermittelt einen Eindruck von Prempers irrwitziger Art: „Ein Mann im Mantel kam nach Hause. Im Flur der Wohnung hängte der Mantel den Menschen an die Garderobe und legte sich ins Bett.“ Der abgelegte Mann verharrt schicksalsergeben am Haken – sein Leben, wie Premper feststellt, ist ihm aus den Händen geglitten. Lässt sich dieser Zustand sinnfälliger beschreiben?

Ähnlich Abwegiges geschieht in der titelgebenden zweiten Miniatur: „In Gedanken verloren ging ein Mann durch einen Baum hindurch.“ Irritation, beim Leser und beim Protagonisten. Wie ist das möglich? Doch während der Leser sich noch wundert, wiederholt die Figur ihre ungewöhnliche Aktion und geht noch einmal durch den Baum, „dieses Mal aber von der anderen Seite“, wohlgemerkt.

Texte wie dieser leben von dem feinen Humor, der ihren Überraschungseffekt trägt. Sie kehren die Verhältnisse um, drehen an kleinen Schrauben, um große Effekte zu erzielen, und verblüffen damit immer wieder aufs Neue. Dabei scheut Premper auch nicht, ernstere Töne anzuschlagen, melancholische, ja schmerzhafte Momente, wie etwa die Geschichte von Philipp, der sich aus lauter Überdruss die Augen aussticht, dann aber doch wieder sehen möchte. Als er erkennt, dass ihm dies nicht gelingt, will er sich das Leben nehmen: „Da umschloss Philipp ganz fest den Ast und wollte ihn sich ins Herz stoßen, aber der Ast brach einfach nur ab.“ Traurig. Und doch auch komisch.

Hier, wie an so vielen Stellen seines neuen Werks, gelingt es Premper, den Leser eine ganze Palette von Reaktionen und Empfindungen erleben zu lassen, ohne viel zu tun. Man liest und staunt, und manchmal freut man sich über die Schönheit einer Idee oder einer Wendung. Allein dafür muss man dieses Buch schon schätzen.

Kurios sind auch jene Texte, die sich auf die Literatur und ihren Zirkus beziehen. Da treffen sich die Dichter „Soundso und Derundder“: Letzterer gesteht seinem ungleich berühmteren Gesprächspartner sein Desinteresse an dessen Lyrik, mit dem Ergebnis, dass dieser ein Gedicht darüber schreibt. Und „Der ewige Regress“ informiert uns mit einer alle Kausalitäten sprengenden Logik, dass dem letzten Mammut „zu Unrecht nicht der Literaturnobelpreis zugesprochen“ worden ist. Wozu also noch Bücher machen, fragt folgerichtig die dritte Miniatur dieser Reihe, und gibt eine simple Antwort: „Weil man sonst wieder Frauen verbrennt und Schafe fickt.“ So drastisch, so einfach. Freilich steht diese Antwort ganz verloren da, denn die Figur, die sie gibt, predigt vor ihren Küchenmöbeln ins Leere.

Was man als Leser daraus macht, bleibt jedem selbst überlassen – schon zeigt Prempers Taktik Wirkung. Man ist gefangen von seinen fein gesponnenen Erzählungen, und zwar gleich mehrfach: Von den absurd-komischen Ideen, von den schönen und den traurigen Geschehnissen, von der Assoziationsflut, die sich auftut, und vor allem von der immer wiederkehrenden Möglichkeit, das Geschriebene auszumalen und fortzusetzen. Unendliche Möglichkeiten auf kleinstem Raum. Genau das ist es, was Prempers Buch zu so einem herausragenden Erlebnis macht, zu einer so anregenden Lektüre, zu der man immer wieder zurückkehren kann und will. Man geht wieder und wieder hindurch – als wäre das Buch ein Baum.

Titelbild

Tobias Premper: Durch Bäume hindurch.
Steidl Verlag, Göttingen 2013.
91 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783869306254

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