Hoffnung als Selbsttäuschung mit Gewaltpotenzial

Über Nathanael Wests Roman „Der Tag der Heuschrecke“

Von Almut OetjenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Almut Oetjen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der Tag der Heuschrecke“ ist Nathanael Wests vierter Roman, wurde 1939 veröffentlicht und zählt zur kanonischen US-Literatur. So hat ihn die renommierte Modern Library in die Gruppe der 100 besten englischsprachigen Romane des 20. Jahrhunderts aufgenommen. John Schlesinger verfilmte den Roman 1975 unter dem gleichen Titel.

„Der Tag der Heuschrecke“ folgt Tod Hackett, dem Selbstausweis zur Folge Künstler und Maler, der in Hollywood arbeitet. Er verliebt sich in die ambitionierte Faye Greener, die gerne Schauspielerin werden möchte und in seiner Nachbarschaft wohnt. Tod lernt den Statisten Earle Shoop kennen, der hin und wieder als Cowboy eingesetzt wird, wenig intelligent und sehr von sich überzeugt ist, den Mexikaner Miguel, der sein Geld mit Hahnenkämpfen macht, den einsamen Homer Simpson, der von Faye gedemütigt und ausgenutzt wird, den erfolgreichen Drehbuchautor Claude Estee, den Zwerg und Gangster Abe Kusich und den Kinderstar Adore Loomis. Diese Figuren werden allesamt als Hollywood-Stereotype präsentiert, teilweise grotesk überzeichnet. Sie sind überwiegend Randfiguren, in Hollywood gestrandet, gefangen in Illusionen und Wünschen, die nicht erfüllt werden. Zentral für Wests Narrativ ist die Massenkultur, die er nutzt, um die USA als eine kranke Gesellschaft zu beschreiben, die neurotisch in Oberflächen verliebt ist. West schreibt, die Menschen seien nach Hollywood gekommen, um zu sterben.

Tod wird eingeführt als ein Jedermann, seit drei Monaten in Hollywood lebend, sympathisch. Das ändert sich spätestens, als er verstörende Vorstellungen entwickelt, die die von ihm begehrte Faye betreffen. Faye mag Tod, aber nicht so, dass sie mit ihm ins Bett gehen würde. Er hätte ihr im Gegenzug auch nichts anzubieten. Umso mehr hasst Tod die Männer, mit denen Faye Sex hat.

Homer Simpson lebt auf eine eher mechanische Weise und geht mit Faye nach dem Tod ihres Vaters Harry eine Geschäftsbeziehung ein, die Faye ein Heimsurrogat bietet und darüber hinaus Geld, von dem sie sich erhofft, es möge sie in Hollywood voranbringen. Und wo liegt der Nutzen für Homer? Tod erwischt Homer einen Abend unter dem Fenster Fayes, wo er wie ein verliebter Romeo nach oben schaut. Homer scheint nur daran gelegen, in Fayes Nähe zu sein, wenn er sie schon nicht als Frau haben kann. Je bösartiger Faye in diesem Arrangement wird, desto intensiver versucht Homer, durch Freundlichkeit und Unterwürfigkeit gegenzusteuern.

So sehr Homer sich auf perverse Weise zu kontrollieren weiß, so unfähig ist Tod schließlich zur Selbstkontrolle. Dies führt zu einem Höhepunkt in der Erzählung: Faye kampiert in der Wildnis mit Earle, Miguel und Tod, die sie alle drei körperlich begehren. Als Miguel aufdringlich wird, flieht Faye in die Nacht, verfolgt von Tod, der ähnliche Absichten hat wie Miguel.

Tod wird auf den ersten knapp 40 Seiten als Hauptfigur eingeführt und danach für ebenfalls knapp 40 Seiten von seinem Konkurrenten Homer abgelöst. Anschließend wird ihnen mit Earle ein weiterer Konkurrent zur Seite gestellt. Die Primärverbindung zwischen den drei Männern wird durch Faye erzeugt. Tod und Homer sind in diesem erotischen Feld Gegensätze, während Tod Vergewaltigungsfantasien entwickelt, begibt sich Homer in den Bereich der Unterwerfungsfantasien. Der dritte Mann, Earle, ist frei von Fantasien, tumb, einfallslos. Die Dynamik zwischen den drei Männern nutzt Faye für ihre Interessen.

Der Romantitel ist eine klare Anspielung auf die Heuschreckenplage aus dem Alten Testament, ein Bild für Zerstörung, wie auch in kleinerer Dimension das Hahnenkampfmotiv und Tods Gemälde über den Brand von Los Angeles, oder stärker schon, das langsame Sterben von Harry Greener und Tods Gewaltfantasien im Zusammenhang mit Faye. Das Schlusskapitel mit dem ausrastenden Mob vor einer Premiere, ein Bild, das an einen Schwarm Heuschrecken erinnert, ist das wirkungsstärkste dieser Motive. „Der Tag der Heuschrecke“, nur vordergründig ein Roman über Hollywood, lässt sich als ein Kommentar auf die Illusionen, die durch Unterhaltung erzeugt werden können, lesen. Illusionen, deren Wirkung verstärkt wird, wenn sie auf Bedürfnisse und Sehnsüchte von Unterhaltungskonsumenten treffen. Insoweit West Hollywood porträtiert ist, gleicht es einer Welt ohne Glamour und Stars, vielmehr eine der Selbstüberschätzung und Eitelkeit, der Täuschung und Prostitution. Tod gehört nur teils dazu, weshalb er innerhalb des Systems als Beobachter fungiert. West zeigt in „Der Tag der Heuschrecke“ sehr schön, wie Menschen an Hoffnungen und Sehnsüchten zugrunde gehen, an deren Produktion sie mitunter fleißig beteiligt sind.

Titelbild

Nathanael West: Der Tag der Heuschrecke. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Klaus Modick.
Manesse Verlag, Zürich 2013.
261 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783717522720

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch