"Münchhausen" war kein Propagandafilm
Ingo Tornows wichtiges, aber bisher weitgehend unbekanntes Buch über "Erich Kästner und der Film" ist jetzt bei dtv erschienen
Von Stefan Neuhaus
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseErich Kästners Arbeit als Drehbuchautor und den Verfilmungen seiner Bücher ist bisher fast keine Aufmerksamkeit zuteil geworden. Das ist aus zwei Gründen verwunderlich: Kästner-Filme gehören zu den wichtigsten und erfolgreichsten der deutschen Filmgeschichte, und bei dem Bekanntheitsgrad dieses Autors hätte man erwarten können, daß Biographen und andere Kästner-Forscher an einem so bedeutenden Teil seines Werks nicht achtlos vorbeigehen. Doch erst Ingo Tornow hat 1992 in einer Publikation der Münchner Stadtbibliothek am Gasteig die notwendigen Daten und Fakten zusammengetragen. Dem dtv-Verlag darf man zu der Entscheidung gratulieren, dieses wichtige Buch in sein Programm aufgenommen und so einer breiten Leserschaft zugänglich gemacht zu haben.
Tornow faßt nicht nur alle Filme in einer "Filmographie" zusammen, er beschreibt ihre Entstehung, berücksichtigt kompetent und souverän die biographischen und die zeitgeschichtlichen Voraussetzungen (Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Nachkriegszeit). Dabei scheut er nicht vor Revisionen der bisherigen Kästner-Forschung zurück. Besonders aufschlußreich ist seine Bewertung des Münchhausen-Films, den die Ufa 1943 zu ihrem 25jährigen Jubiläum in die Kinos brachte. Für Tornow ist, und er begründet dies hervorragend, Kästners Drehbuch der gelungene Versuch, indirekt Kritik am Naziregime zu üben.
Hervorhebenswert ist auch das Kapitel über "Die Bühnenstücke unter Pseudonym und ihre Verfilmungen". Tornow moniert zu Recht, daß keine der früheren Kästner-Biographien auf zahlreiche Theaterstücke hinweist, die Kästner während des Nationalsozialismus geschrieben oder an denen er mitgearbeitet hat. An diesem Kapitel wird auch deutlich, wie gründlich Tornow sein Buch für die Neuauflage überarbeitet hat. In der früheren Fassung hatte er noch behauptet, allein Kästner habe sich hinter dem Pseudonym Eberhard Foerster verborgen. Im dtv-Taschenbuch sind nun die neuesten Erkenntnisse Sven Hanuscheks berücksichtigt, dessen Kästner-Biographie erst nach Tornows Buch, und zwar im Januar 1999, erschienen ist. Den einzigen, allerdings keineswegs gravierenden Fehler (die Forschungslage ist und bleibt unübersichtlich), den ich in "Erich Kästner und der Film" finden konnte, ist Tornows für eine Datierung wichtige Behauptung, ein Brief Kästners von 1927 beziehe sich auf das Drehbuch des Kurzfilms "Dann schon lieber Lebertran". Tatsächlich ist Kästners erstes, immer noch unpubliziertes Theaterstück Klaus im Schrank gemeint.
Tornows Buch ist zweifellos, neben der Werkausgabe bei Hanser und den neuen Biographien von Hanuschek, Görtz/Sarkowicz und Schikorsky, eine der ganz wichtigen Publikationen zu Kästners 100. Geburtstag am 23. Februar 1999. Dazu addieren sich als weitere Pluspunkte der unterhaltsame Stil, die zahlreichen Fotos und die gelungene Aufmachung bis hin zum ungewöhnlich breiten "Film"-Format. Wer sich für Kästner und/oder den deutschen Film interessiert, der sollte, der darf sich diese Lektüre nicht entgehen lassen.
|
||