Auftakt zur Grass-Renaissance?

Günter Grass’ „Hundejahre“ können in einer illustrierten Jubiläumsausgabe neu entdeckt werden

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1963 war zweifellos ein bewegtes Jahr der Geschichte. Der Élysée-Vertrag wird unterzeichnet, Nelson Mandela festgenommen, Ronnie Biggs und seine Band verüben den Great Train Robbery, die Deutsche Fußball-Bundesliga wird geboren, Martin Luther King spricht mit „I Have a Dream“ Worte für die Ewigkeit, Ludwig Erhard folgt auf Konrad Adenauer, John F. Kennedy besucht Berlin und wird wenige Wochen später in Dallas erschossen, Kenia feiert seine Unabhängigkeit. Und: Günter Grass schließt mit „Hundejahre“ seine Danziger Trilogie ab. Zum 50-Jährigen ist nun eine mit Radierungen Grass’ illustrierte Jubiläumsausgabe erschienen.

Noch groß Worte über die Danziger Trilogie zu verlieren, ist wohl unnötig: Längst gehören die „Hundejahre“, „Katz und Maus“ und natürlich die schier übermächtige „Blechtrommel“ zum Kanon deutscher Nachkriegsliteratur und begründen den Ruhm Günter Grass’ – der nicht zuletzt in der Verleihung des Literatur-Nobelpreises 1999 gipfelte. „Hundejahre“, das ist die Geschichte von Walter Matern und Eduard Amsel zur Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit.

In drei Büchern wird das Leben dieser beiden so unterschiedlichen Protagonisten geschildert, zunächst von Amsel, der als „Halbjude“ exemplarisch für die Opferrolle steht, dann aus Sicht von Harry Liebenau, der als stiller Zeuge fungiert, und im dritten Buch aus der Perspektive des opportunistischen Amsel, der als Täter figuriert. Brüche und Ambivalenzen bestimmen dabei allenthalben diese nur auf den ersten Blick klaren Zuschreibungen. Mittendrin: das Symbol des Hundes, das motivisch auf Elemente des Nationalsozialismus verweist. „Der Hund steht zentral.“

In diese drei Bücher der „Hundejahre“ gliedern sich auch die drei hochwertigen Leinenbände der Jubiläumsausgabe. Highlight der Ausgabe sind naturgemäß die über Hundert von Grass angefertigten Illustrationen. In ihnen lässt sich der Künstler Grass entdecken, der – wie auch der Lyriker Grass – allzu oft hinter dem Prosaschriftsteller Grass zurückbleibt. Dunkel, angsteinflößend und etwas kryptisch sind sie, die Hunde, die der 86-Jährige hier zeigt. Und sie bannen den Blick.

Zu wünschen wäre es einem Dichter vom Format eines Günter Grass, dass sein Werk positiver aufgenommen würde. Allzu schlecht ist die Wahrnehmung seines Schaffens in Deutschland – und das nicht erst seit seinem umstrittenen Gedicht „Was gesagt werden muss“. Die „Hundejahre“ sind eine burlesk-ingeniöse Geschichte, die es in einer wunderschön aufgemachten Edition neu zu entdecken gilt. Vielleicht ist diese prachtvolle Jubiläumsausgabe ja sogar der Auftakt zu einer kleinen Grass-Renaissance. Zu wünschen wäre es jedenfalls.

Titelbild

Günter Grass: Hundejahre. Illustrierte Jubiläumsausgabe.
3 Bände.
Steidl Verlag, Göttingen 2013.
780 Seiten, 65,00 EUR.
ISBN-13: 9783869306667

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