Eine Liebe in Zeiten des Schreibens

Ingeborg Gleichauf weiß, dass man über die Liebe von Ingeborg Bachmann und Max Frisch nicht viel wissen kann. Aber das ist eine ganze Menge.

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die wahre Geschichte der Beziehung“ zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch „kann nicht erzählt werden“, konstatiert Ingeborg Gleichauf zweifellos zu Recht in einem Buch über eben diese Beziehung. Weder vermochte Max Frisch dies, noch Ingeborg Bachmann – und auch nicht die Autorin oder sonst irgendjemand. Allerdings dürfte es sich keineswegs um ein Alleinstellungsmerkmal der Beziehung Bachmann/Frisch handeln, dass ihre wahre Geschichte nicht erzählt werden kann. Denn die wahre Geschichte lässt sich von keiner zwischenmenschlichen Beziehung erzählen. Eines unterscheidet das SchriftstellerInnenpaar nun aber doch von anderen Paaren. Seine Geschichte kann nur vorläufig erzählt werden und wird – in vermutlich nicht allzu ferner Zukunft – mehr oder minder schwerwiegender Korrekturen, wenn nicht gar einer Revision bedürfen. Denn der Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch liegt noch immer auf unbestimmte Zeit unter Verschluss. Zumindest bis er das Licht der Öffentlichkeit erblickt und vermutlich auch darüber hinaus bleibt „alles offen und nichts geklärt“, wie es in Gleichaufs Buch heißt. Angesichts dessen stellt sich die Frage, warum jemand ein dermaßen erkennbar vorläufiges Unterfangen in Angriff nimmt, wie Gleichauf es mit ihrem Buch „Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit“ getan hat. Die Antwort bietet die Lektüre des Buches selbst, und die liegt nicht alleine darin, dass die Autorin bezweifelt, es ließe sich nach der Veröffentlichung der Korrespondenz „ein völlig neues Bild der Beziehung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch zeichnen“.

Gleichaufs Buch wird von zwei eng miteinander verknüpften Thesen getragen, deren erste besagt, dass sich das „festgefügte Bild von einem völligen Scheitern der Beziehung zwischen Max Frisch und Ingeborg Bachmann“ nicht ohne Weiteres aufrecht erhalten lässt. Um sie zu plausibilisieren, führt die Autorin die „reale Beziehung“ von Bachman und Frisch mit „den Worten, den Sätzen, die sie schreiben, schreiben werden, ihren Texten, den gegenseitigen Erfindungen“ eng. Denn „unser Blick auf die Beziehung“ bleibe an ihre Werke „gebunden“ und durch sie „vermittelt“. Zwar können sie, „was das Faktische betrifft“, nicht zur „Wahrheitsfindung“ beitragen. Doch vermögen sie weit mehr: Sie „regen die Vorstellungskraft an“ und machen die Beziehung in vielfältigem Sinne „lesbar“.

Gleichaufs zweite These betrifft die enge Verbindung zwischen Leben und Schreiben sowohl für Bachmann wie auch für Frisch. Denn „alles, was dieses Paar betrifft, hat ursprünglich zu tun mit ihrer Arbeit“. Das Schreiben bilde „das hochsensible Zentrum, um das Stunden und Tage und mit ihnen das Paar Ingeborg Bachmann und Max Frisch kreisen“. Doch gerade darum tut sich eine schier unüberbrückbare Kluft auf. Denn die Sicht, die Bachmann und Frisch jeweils auf das Verhältnis von Leben und Literatur haben, könnte Gleichauf zufolge unterschiedlicher nicht sein. Für Frisch sei das Leben „mehr als die Literatur“, deren Aufgabe darin bestehe, „genau dies zu zeigen.“ Denn das Leben reiche für ihn „so weit in einen Möglichkeitsspielraum hinein, dass keine Sprache es einholen“ könne. Für Ingeborg Bachmann reiche hingegen umgekehrt das Leben nie an die Literatur heran. Gleichauf fasst das Credo der Literatin in die Wendung: „Was literarische entworfen wird, kann lebend niemals eingeholt werden“.

Auch über diesen Leben und Literatur betreffenden fundamentalen Dissens hinaus macht Gleichauf diverse Unterschiede zwischen den Liebenden aus: Frisch sei „nicht so stark theoretisch veranlagt“ wie Bachmann. „Das Spielerische“ in seinem „Wesen“ konfligiere mit „Bachmanns absoluter Anspruchshaltung“. „Vor der Philosophin, der Tiefschürferin Ingeborg Bachmann“ habe er „vielleicht sogar ein wenig Angst“ gehabt. Doch nicht nur auf intellektuellem Gebiet sind die Verschiedenheiten groß. Auch ihre Arten, etwas wahrzunehmen, unterscheiden sich Gleichauf zufolge grundlegend. Gleichviel ob Natur, das Meer, eine Stadt – nie sehen Bachmann und Frisch das Selbe. Vor allem aber kämpfe er „in der Liebe um eine bestimmte Person“, während sie überhaupt darum kämpft, „nicht aus dem Zustand der Liebe zu fallen“.

In einem aber ähneln sie sich. Beide haben während der Zeit ihrer Liaison andere Lieben, auch Liebschaften. Bachmann etwa ist Celan noch immer mehr als freundschaftlich zugetan, Frisch zumindest sexuell dieser und jener. „Notorisch eifersüchtig“ aber ist „vor allem Frisch“. „Das Zusammenleben“ – zunächst in Frischs Zürich, sodann in Bachmanns Rom – „stellt“ für den männlichen Part „zunehmend eine Überforderung dar“. Es erweise sich für Frisch als „unmöglich“, „einer wie Ingeborg Bachmann gerecht zu werden“, stellt Gleichauf lakonisch fest.

Die „simple Wahrheit“ klinge zwar banal, räumt Gleichauf ein, doch als Frisch Marianne Oellers, der damaligen Freundin von Tankred Dorst, begegnet, sei er schlicht „reif für eine neue Liebe“ gewesen. Oellers war mit ihren gerade mal 23 Jahren nihct einmal halb so alt wie Frisch, der so tat, als könne ihm „ein Neuanfang helfen, als brauche er nur den Arm um eine prickelnd fremdartige, sehr junge Schulter legen und alles werde gut“. Für Bachmann aber kam das plötzliche Ende der Liebesbeziehung „gänzlich unerwartet“ – und sie sollte „sich nicht mehr erholen von dieser Katastrophe“. Frisch erklärte später, das Ende hätten Bachmann und er nicht gut bestanden. Das möge vielleicht so sein, meint Gleichauf, den Anfang aber hätten „sie ganz wunderbar bestanden, und zwischen Anfang und Ende lag immerhin der Versuch, ein erstes Paar zu sein“.

Die Autorin führt für ihre ‚Lesart‘ des Anfangs, der Entwicklung und des Endes der Liebesbeziehung viele gute Gründe an, doch verwandelt sich ihre bloße Vermutung – nämlich die, dass Bachmann vor ihrer ersten Begegnung mit Frisch bereits Texte des Autors gelesen habe – auch schon mal unter der Hand in eine Tatsachenbehauptung. Und wenn Gleichauf davon spricht, wie Frisch sich verhält, wenn er „einem Menschen begegnet, den er bisher nicht kannte, oder einer unbekannten Frau“, liest sich das gerade so, als wären Frauen keine Menschen. Solche argumentativen Schwächen und Missklänge überraschen in diesem ansonsten auch sprachlich durchkomponierten Buch doch sehr. Glücklicherweise bleiben sie die Ausnahme.

Gleichauf zog für ihre Recherchen nicht nur die einschlägigen und hinlänglich bekannten Publikationen der einander liebenden LiteratInnen und der Forschungsgemeinde heran, sondern führte darüber hinaus diverse Gespräche mit Bekannten und FreundInnen des Paares, aus denen sie etwa erfuhr, dass Ingeborg Bachmann in Zürich von ihrem Vermieter eine Wohnung mit der Begründung gekündigt wurde, „eine Hure könne er nicht bei sich beherbergen“, womit er sich auf ihre Liaison mit Frisch bezog. Von anderer Seite wurde der Autorin berichtet, Bachmann habe „sich gern kurzzeitigen Affären hingegeben“ und dabei eine gewisse „Vorliebe für besonders männliche Männer, zum Beispiel Matrosen“, an den Tag gelegt, während Frisch „Menschen verbraucht“ habe, was Gleichauf von diversen GesprächspartnerInnen bestätigt bekam.

Derlei Details waren, so sie denn zutreffen, bislang nicht bekannt. Doch sind weniger sie es, die das Buch lesenswert machen, sondern vor allem die klugen und nicht selten erhellenden Überlegungen und Thesen, die Ingeborg Gleichauf zur Diskussion um das Paar Bachmann/Frisch beizutragen hat.

Titelbild

Ingeborg Gleichauf: Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit.
Piper Verlag, München 2013.
218 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783492054782

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch