Ein Hoch auf den Drei-Stunden-Tag!

Paul Lafargues „Das Recht auf Faulheit“ ist neu erschienen

Von Susanne HeimburgerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Heimburger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paul Lafargue lebte wahrhaftig ein ungewöhnliches Leben. 1842 wurde er auf Kuba als Sohn eines Kaffeeplantagenbesitzers und einer Kreolin aus Haiti geboren. Als Lafargue neun Jahre alt war, zog seine Familie nach Frankreich. Später studierte er Pharmazie und schloss sich schon sehr bald Studentenbewegungen an, die durch ihre radikalen Thesen für den ein oder anderen Skandal sorgten, wurde sämtlicher französischer Universitäten verwiesen und musste sein Studium schließlich in London beenden. Lafargue liebte es also, aus der Reihe zu tanzen – und das tat er auch mit seiner 1880 erschienenen Schrift „Das Recht auf Faulheit“, die jetzt bei Matthes & Seitz neu aufgelegt wurde.

In seinem satirisch-utopischen Pamphlet stellt er eine äußerst gewagte These auf: Statt ein Recht auf Arbeit zu verkünden, plädierte er, ganz im Gegenteil, für ein Recht auf das schnöde Nichtstun. Seiner Ansicht nach könne das Elend der Arbeiter nur durch die Einführung eines Drei-Stunden-Tages verbessert werden. Hintergrund ist natürlich die Tatsache, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts ein Großteil der Arbeiter in einem 12-Stunden-Tag (oder mehr) schier zu Tode schuftete. Dennoch klingt die Utopie vom 3-Stunden-Tag ebenso ansprechend wie paradox und hat in vielen politischen Lagern für einiges Aufsehen gesorgt.

Auch die sozialistische Arbeiterbewegung dürfte über Lafargues Schrift nicht sehr glücklich gewesen sein, schließlich kritisiert sie nicht nur den kapitalistischen Arbeitsbegriff, sondern auch die Arbeiter selbst! Denn diese seien, so fällt Lafargue gleich mit der Tür ins Haus, selbst schuld an ihrem Elend. Sie seien einem eigenartigen „Wahnsinn“ verfallen, der die eigentliche Ursache des Problems sei. Dieser Wahnsinn sei nichts anderes als die „Arbeitsliebe, die morbide, leidenschaftliche Arbeitssucht, die bis zur Erschöpfung der Lebenskräfte des Einzelnen und seiner Nachkommen getrieben wird“. Und weil ständig so viel gearbeitet wird, wird auch ständig viel zu viel produziert. Das Resultat seien ganze Berge an Erzeugnissen, „die sich höher und gewaltiger als die Pyramiden Ägyptens auftun.“

Die Arbeiter dagegen, so Lafargue, ziehen aus dieser Situation nicht die naheliegenden Konsequenzen, und statt das „Recht auf Faulheit“ zu proklamieren, wollen sie lieber noch mehr arbeiten. Es wird deutlich: Weder Arbeiter noch Kapitalisten kommen in Lafargues Essay besonders gut weg – die einen sind schon ganz dumm von lauter Arbeit, die anderen fett vom Wohlstand. Natürlich fehlen auch nicht kleine Spitzen oder direkte Angriffe auf Lafargues Zeitgenossen.

Vor lauter Arbeit kommt der Mensch gar nicht mehr dazu Mensch zu sein – das ist eine weitere These, die Lafargue in seinem Essay vertritt. Wirklich neu ist sie natürlich nicht, und Lafargue scheut auch nicht davor zurück, schon damals ausgewaschene Klischees zu bemühen – so etwa vom „edlen Wilden“. Den von der vielen Arbeit blassen und abgemagerten Arbeitern stellt er den „kastanienbraunen Andalusier“ gegenüber, der „gerade und elastisch wie eine Stahlstange ist“ – eben weil ihm die Arbeit so verhasst sei. Eine weitere wichtige Argumentationsquelle sind antike Autoritäten wie Platon, Xenophon oder Cicero. In der Antike sei der Müßiggang ein Recht der Bürger gewesen, die Arbeit war den Sklaven vorbehalten. Jetzt, im Zeitalter der Maschinisierung, seien solche Arbeitssklaven unnötig, kann doch die Arbeit nun genauso gut von Maschinen übernommen werden.

Das Werk wurde im Laufe der Jahrzehnte immer wieder neu verlegt, diskutiert und auf seinen Aktualitätsgehalt hin untersucht. Und die Frage, was an Lafargues Pamphlet heute noch aktuell ist, steht natürlich auch im Mittelpunkt von Guillaume Paolis Essay „Wider den Ernst des Lebens“, der im Anschluss an Lafargues Schrift abgedruckt ist. Paoli beschäftigt sich darin nicht zum ersten Mal mit dem Verhältnis von Arbeit und Nichtstun. Als Vertreter der „Glücklichen Arbeitslosen“ hatte er sich bereits in den 1990er-Jahren gegen eine Stigmatisierung von Arbeitslosen als unglücklichen Versagern ausgesprochen. Er selbst war damals arbeitslos, aber – nach eigenen Angaben – durchaus glücklich.

Zunächst stellt Paoli ganz richtig klar: Lafargues Pamphlet liegt keine ausgeklügelte Argumentation zugrunde – und das braucht es auch gar nicht. Satire darf, ja muss sogar übertreiben und um des Effekts wegen über Details und beweiskräftige Kausalketten hinwegbügeln. Das Verdienst von Lafargues Text liege weniger in einer stichhaltigen Argumentation als vielmehr in seinem Vermögen aufzurütteln – und in seiner in vielen Punkten ungebrochenen Aktualität.

Tatsächlich ist in dieser weit über 100 Jahre alten Schrift von unsinniger Produktion, vom Wecken künstlicher Bedürfnisse und von Arbeitssucht die Rede – Stichworte, die auch in der heutigen Kapitalismusdebatte vorkommen. An manchen Stellen mag man auch schon vorweggenommene Globalisierungskritik oder Argumente aus der aktuellen Diskussion um grenzenloses Wirtschaftswachstum erkennen. Dennoch sollte man nicht der Versuchung erliegen, den Text interpretativ zu überlasten und zur sehr aus dem heutigen Blickwinkel zu lesen. Das tut Paoli auch nicht, er wägt durchaus ab, wo Lafargue aktuell ist und wo nicht. Etwas schief scheint allerdings sein Vergleich dessen, was Lafargue – satirisch überzogen – als „Arbeitssucht“ bezeichnet, mit dem heutigen Krankheitsbild eines Workaholic. Denn trotz allem ging es den Arbeitern des 19. Jahrhunderts ums pure Überleben und sicherlich nicht etwa um Selbstverwirklichung oder Adrenalinkick. Dennoch ist Paoli eine aufschlussreiche Kommentierung Lafargues gelungen, die entscheidende Punkte aufgreift und weiterverfolgt.

Das Interessante an Lafargues Schrift ist vielleicht gerade die Tatsache, dass man viele der heutigen Probleme darin zu erkennen glaubt, beim genaueren Hinsehen aber gleichzeitig erkennt, wie sich die Nuancen in den letzten 100 Jahren verschoben haben. Zum Wachrütteln und als Denkanstoß wird Lafargues Schrift aber vermutlich nie aus der Mode kommen.

Titelbild

Paul Lafargue: Das Recht auf Faulheit.
Mit einem Essay von Guillaume Paoli.
Übersetzt aus dem Französischen von Eduard Bernstein und Ulrich Kunzmann.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2013.
124 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783882210354

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