Briefe aus der Kluft

William S. Burroughs‘ „Raddiert die Worte aus. Briefe 1959 bis 1974“

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Paris über Tanger nach New York: Der Hohepriester der Beatgeneration lebte zwar äußerst unstet, umkreiste in seinen Texten und Briefen aber immer dieselben Konstanten, stets mit dem Ziel, Grenzen nicht nur zu übertreten, sondern zu sprengen.

Drogen und Kunst

So handeln viele Briefe an Kollegen und Freunde wie Allen Ginsberg oder Paul Bowles natürlich die Drogenerfahrungen ab und verfolgen die Erweiterung literarischer Prozesse durch die Cut-up-Methode, die ab den 60er Jahren dann auch audiovisuell vorgenommen werden soll: Bewaffnet mit einem Aufzeichnungsgerät wandelt Burroughs so durch die Straßen Tangers und schneidet sich später seine Interpretation der Welt zusammen.

Die Briefe begleiten diesen Prozess, ohne ihn jedoch entscheidend zu durchleuchten: Burroughs reflektiert wenig und bestürmt den Briefpartner viel lieber enthusiastisch mit den Ergebnissen seiner künstlerischen Absichten und Hoffnungen. – Es wird erst in den Briefen klar, wie ernst ihm diese Produktionsweise tatsächlich war und wie missionarisch dieser sich so verschlossen und unsichtbar gebende Mann agieren konnte.

Auch die Drogenerfahrungen bleiben thetische Setzungen und behandeln auf theoretischer Ebene die Möglichkeiten der Sinnerweiterung, ohne die Mühen eines Entzugs auf sich nehmen zu müssen: Es geht demnach stets um die Suche nach einer Idealdroge, die nicht körperlich süchtig macht. Dementsprechend kritisch steht er den Ereiferungen eines Timothy Leary gegenüber und setzt sich immer wieder für eine neue Therapie des Entzugs ein: Der spätere Drogenpapst entpuppt sich hier endgültig als vorsichtige, abwägende und zumeist warnende Stimme der Vernunft inmitten des Sturms.

Irgendwann wird ihm, obgleich er den Drogen selbst niemals vollumfänglich absprechen wird, die Literatur selbst zu einem solchen Ideal. Ein Glück, dass die Leser dies ebenso sehen: Als Burroughs 1974 in New York ankommt, stellt er erstaunt fest, eine kulturelle Größe geworden zu sein.

Science-Fiction

Und ein Hellseher sowie Prophet? Immerhin deuten einige Rezensenten zum 100. Geburtstag an, dieser habe in seinen Überlegungen bezüglich Macht und Manipulationskraft von Sprache die gegenwärtigen Verwerfungen vorweggenommen: „Das andere große Burroughs-Thema, die Kontrolle und Manipulation von Gedanken, wirkt im Lichte der jetzigen NSA-Enthüllungen so brisant wie nie – schon vor einiger Zeit aber hatte der Philosoph Marshall McLuhan festgestellt, die ‚sogenannte Science-Fiction‘ von Burroughs sei längst Wirklichkeit.“ So Jan Wiele in seiner Besprechung des Briefbandes in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Tatsächlich waren Burroughs die Drogenerfahrungen und künstlerischen Verfahren immer auch Wege der Opposition, wenn nicht gar der Revolte: „Eine Armee“, schreibt er 1963 an Brion Gysin, „die unter Guerilla-Bedingungen operiert, braucht eine Operationsbasis, die außerhalb der Reichweite des Feindes liegt – Unsere Einsatzgebiete sind Dichtung, Mythos, Schöpfung – Der Feind hat zu diesen Gebieten keinen Zugang, denn er ist eben nicht-schöpferisch und agiert durch maschinell produzierte Duplikate – Offiziere müssen Dichter sein und sich daran erinnern, dass die Dichtung ständig neu erfunden werden muss – Aus diesem Grund sind Cut-ups und Fold-Ins unsere überlebensnotwendigen Werkzeuge – Diese Methode erschafft nicht nur ständig unser Einsatzgebiet neu, sie zerschneidet auch die Nachschublinien des Feindes.“

Der Feind ist ihm das System, das Monopol, dem er sich durch Kunst und Drogen zu entziehen sucht: „Jedenfalls“, schreibt er 1965, „basieren alle Systeme auf Monopolen und der Kontrolle von Wort und Bild“ – und definiert er zwei Jahre zuvor in naiver Manier den Feind noch als unbeweglich und daher auf kreative Weise leicht zu überlisten, wird ihm wenig später klar, dass auch der Gegner schöpferisch arbeitet, ja, scheinbar auch mit den Werkzeugen Burroughs‘: „Die „New York Times“ vom 17. September 1899 kam vor ein paar Tagen hier an. Mir war sofort klar, dass die Botschaft nicht der Inhalt, sondern die Form war. Zeitungen sind ihrer Form nach Cut-ups. […] Das ist das Geheimnis ihrer Macht, mit der sie Gedanken, Gefühle und später Ereignisse formen.“

Suchend

Dies ist weniger prophetisch, als in einem allgemeinen Sinn dystopisch und damit eine bestimmte Form des Widerstands, die den Feind mit seinen eigenen Mitteln zu bekämpfen trachtet: Neue Mythen sollen da eben die alten ersetzen. Doch Burroughs wirkt in einigen Briefen unsicher ob dieser Taktik und scheint die wahre Komplexität zukünftiger systemischer Setzungen zumindest zu erahnen, da neue Mythen ja allein die systemische Idee bestätigen und die zugrundeliegende Struktur kaum beeinträchtigen: So hat McLuhan ganz richtig erkannt, dass die Ideen Burroughs längst Wirklichkeit geworden sind, da diese Ideen im Grunde die Dystopie eines Orwell bestätigen.

Eigentliches Ziel wäre dann die Dekonstruktion – und so sind die Cut-ups denn auch zu verstehen, als Versuche, die alten Strukturen zum Zwecke der Neuschöpfung zu zerstören. Allein, die Sprache als Medium scheint da wenig geeignet, doch andere Medien sind ähnlich vorbelastet. So zeigt sich Burroughs wenn schon nicht als Prophet, so aber doch als Suchender, der den herkömmlichen Methoden künstlerischen Widerstands zutiefst misstraut. Burroughs bewegt sich damit an der Bruchstelle zwischen alter und neuer Science-Fiction, schreibt in der Kluft zwischen Dystopie und dem, was uns in der Zukunft erwartet.

In dieser Hinsicht werden die Briefe, die ansonsten mit eher unwichtigen Details aufwarten, zu Dokumenten eines Strebens, welches tatsächlich symbolisch für die gegenwärtige Situation stehen kann. Und Burroughs‘ Paranoia ist dann zu der unseren geworden.

Titelbild

William S. Burroughs: Radiert die Worte aus. Briefe 1959 - 1974.
Herausgegeben und mit einer Einführung von Bill Morgan.
Übersetzt aus dem Englischen von Michael Kellner.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2014.
304 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783312006014

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch