Bierkampf reloaded

Ein Geschenk zum 75. Geburtstag von Herbert Achternbusch

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erkenntnisstiftende Freude stellt sich rasch ein – wenn es auch durchaus harte Arbeit ist, Manfred Loimeiers umfassende Studie zum künstlerischen Gesamtwerk von Herbert Achternbusch gründlich durchzuackern. Gesamtwerk, das heißt im Fall des am 23. November 1938 in München geborenen, in Breitenbach unweit von Wörth an der Donau sowie in Mietraching und Deggendorf aufgewachsenen bayerischen Originalgenies: ein riesiges, ein bisschen unübersichtliches Prosawerk – Grundsatz: „Nichts bleibt, wie es zunächst ist“ –, mehrere Hörspiele und zahlreiche Theaterstücke, eine stattliche Reihe von Kinofilmen, einige Skulpturen sowie ein imposantes und wahnwitziges, dem Künstler selbst von Jahr zu Jahr immer wichtiger werdendes malerisches Werk. Dazu noch ein von Wein, Weib und Weißbier, aber immer auch von Kunst und Künstlern geprägtes Leben, das selber als eine Art Kunstwerk angesehen werden kann. Im vergangenen Jahr feierte Achternbusch seinen 75. Geburtstag, und leider scheint es so, als müsse man sein Werk als abgeschlossen betrachten.

Den Künstler selbst muss man, auch wenn es in den letzten Jahren etwas ruhiger um ihn geworden ist, zumindest in Bayern niemandem mehr vorstellen. Filme wie „Das Andechser Gefühl“, „Die Atlantikschwimmer“, „Bierkampf“, „Servus Bayern“, „Der Neger Erwin“ oder „Das Gespenst“ gehören zur kulturellen Tradition des Freistaats, ebenso auf der ganzen Welt gespielte Theaterstücke wie „Ella“, „Gust“, „Susn“ oder „An der Donau“ und auch Bücher wie „Die Alexanderschlacht“, „Happy oder Der Tag wird kommen“ oder „Land in Sicht“ – ganz abgesehen vom allseits beliebten Spruch „Du hast keine Chance aber nutze sie“. Manches spricht tatsächlich dafür, dass Achternbusch, wie Heiner Müller gesagt haben soll, „der Klassiker des antikolonialistischen Befreiungskampfes auf dem Territorium der BRD“ ist – oder zumindest war. Ganz sicher aber ist, dass es im Werk dieses eigensinnig-rebellischen Künstleroriginals und einstigen Lieblingsfeinds der von Franz Josef Strauß geprägten CSU immer schon „um Regionen der Menschlichkeit und ihren Verlust, um das Wesen von Heimat, Herkunft, Geschichtsbewusstsein, Überlieferung“ ging und man in Achternbusch einen „Heimatschriftsteller“ sehen kann, der mit Lena Christ, Lion Feuchtwanger, Marieluise Fleißer oder Oskar Maria Graf in eine Reihe gestellt werden darf. „Wobei Heimat hier geistige Heimat meint“, wie Loimeier gleich hinzufügt und damit nebenbei auch erklärt, warum nicht nur der Bayerische Wald und das Fünfseenland südlich von München, sondern zum Beispiel auch Griechenland, Grönland, Ägypten, Tibet oder der Wilde Westen für Achternbuschs Werk von nicht geringer Bedeutung sind.

Was Loimeier genauestens herausarbeitet und was ihm eigentlich noch wichtiger ist: dass der Künstler in seinen Werken „oftmals weniger vordergründig und eindeutig spricht als auf den ersten Blick angenommen, sondern metaphorisch und mehrdeutig“. Bei Achternbusch gehe es, anders als zum Beispiel bei Franz Xaver Kroetz oder Martin Sperr, „nicht um Realismus, sondern um Assoziationen, nicht um Logik, sondern um ein fühlendes Denken in Bildern“. Von vornherein verweigere er sich jeder „Herrschaftslogik“, und aus dieser Verweigerung erwüchsen „seine metaphorische Sprache, sein Widerstand gegen eine Erklärbarkeit seines Werks und gegen eine Konsensfindung – und wohl auch seine Selbststilisierung als Enfant terrible, als Rebell oder Partisan in der Kulturszene“. Immer gestalte dieser sprachradikale, die Grenzen des Sagbaren aufzeigende Künstler den Kampf eines Individuums um seinen Eigensinn – inmitten einer weitgehend konformen Gesellschaft: „Das Ich ist in Achternbuschs Werk unantastbar und entzieht sich jeder Vergemeinschaftung – bis hin zur sozialen Isolation“. Das wird in dieser Studie detailliert und plausibel dargelegt, mit allen Zäsuren, Zwischenbilanzen und Neuaufbrüchen, die sich im Lauf der Jahre ergeben haben und die der bei aller Sympathie mit seinem Gegenstand doch auch kritisch-distanzierte Forscher prägnant zu benennen weiß. Und nebenher frischt Loimeier auch die Erinnerung an Annamirl und Josef Bierbichler, Heinz Braun, Luisa Francia, Hartmut Riederer oder Anita und Hartmut Geerken auf – Künstler, mit denen Herbert Achternbusch zusammengearbeitet hat und denen er, wie auch seinen Frauen und Kindern, vieles verdankt.

Einen trotz all seiner analytischen Präzision enthusiastischeren Archivar und Interpreten als den in Passau geborenen Heidelberger Privatdozenten hätte Achternbuschs Werk wohl kaum finden können. Doch eine bequem zu lesende, ranke und schlanke Einführung hat Loimeier nicht geschrieben. Wollte er wohl auch nicht. Er ist Philologe durch und durch, und das bedeutet auch: Loimeier sichert zunächst einmal akribisch und detailliert sein Material und bringt Ordnung ins Durch- und Übereinander der Bilder und Motive des Werks. Das hat manchmal etwas Fliegenbeinzählerisches und strapaziert die Geduld des Lesers. Es kann beim Lesen, selbst wenn man die mehr als 60 Seiten Anhang beiseite lässt, durchaus zu temporären Erschöpfungszuständen kommen. Aber man sieht auch ein, dass ein derart anspruchsvolles Projekt ohne philologische Akkuratesse nicht gelingen kann. Der Leser erfährt in Manfred Loimeiers grundgescheiter Studie wirklich alles, was er wissen kann über den Künstler und sein Werk – es wird sogar noch skizziert, in welche Richtungen eine zukünftige Achternbusch-Forschung gehen könnte. Für die Lektürestrapazen wird man letztlich überreich belohnt, und so wird man am Ende aufrichtige Bewunderung empfinden für eine grandiose wissenschaftliche Arbeit, die das konkurrenzlose Standardwerk zu Herbert Achternbusch ist und bleiben wird.

Titelbild

Manfred Loimeier: Die Kunst des Fliegens. Annäherung an das künstlerische Gesamtwerk von Herbert Achternbusch.
edition text & kritik, München 2013.
338 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783869162430

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