Kompetenzorientierter Unterricht als Rettung der germanistischen Mediävistik?
Ein Sammelband als Plädoyer für eine Etablierung mittelhochdeutscher Texte im Deutschunterricht
Von Jochen Schäfer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNach einem langsam voranschreitenden Bedeutungsverlust der mittelhochdeutschen Literatur im Deutschunterricht hätte man glauben können, mit dem Paradigmenwechsel vom inhalts- zum kompetenzorientierten Unterricht würde die germanistische Mediävistik endgültig aus den deutschen Schulen gedrängt. Welche Kompetenzen sollen Kinder und Jugendliche schließlich mithilfe der meist unbekannten Texte in fremder Sprache schon erwerben können?
Diesem Fatalismus wollen die Herausgeber und die beteiligten Autoren des Sammelbandes „Zurück zum Mittelalter. Neue Perspektiven für den Deutschunterricht“ nicht erliegen. Entgegen einer allgemeinen Tendenz, nach der die Umstellung zum kompetenzorientierten Unterricht meist abgelehnt wird, wird diese hier nunmehr als Chance begriffen, scheinbar vergessene oder verdrängte Inhalte wieder zu reaktivieren. Dabei kommt den Autoren die andauernde Popularität des Mittelalters entgegen. Sie ist Ausgangspunkt für eine Reihe von praktisch orientierten Beispielen, wie mittelalterliche Texte in einen kompetenzorientierten Unterricht eingebaut werden können. Dabei wird das scheinbare Problem der fremden Sprache nicht als Barriere sondern als Chance begriffen, die integrativen Sprach- und Literaturunterricht ermöglicht.
Die Argumente für eine Konfrontation der Schüler mit mittelhochdeutscher Literatur stellen die Herausgeber in ihrem einleitenden Beitrag zusammen. Dass dieselbe keinesfalls beim von Ines Heise exemplarisch vorgestellten literarischen Lernen stehenbleiben muss, zeigen die folgenden Beispiele der weiteren Autoren, deren Beiträge jedoch leider nicht immer in die Praxis übertragbar scheinen. Zudem bleiben die Überlegungen mit einer Ausnahme auf den Deutschunterricht begrenzt. Dabei zeigt gerade der Beitrag von Thomas Bein zu Konrads von Megenberg „Buch der Natur“, welches Potential mittelhochdeutsche Sachtexte für den fächerübergreifenden Unterricht haben.
Trotzdem gelingt es den Autoren, in weiten Teilen zu überzeugen. Eine tiefgreifende Wirkung wird von dem Sammelband alleine jedoch kaum ausgehen können. Er sollte allerdings zumindest in zwei Richtungen Anstöße geben: Einerseits müssen die hier vorgestellten Ideen praxisnah an die unterrichtenden Lehrer weitervermittelt werden. Hierfür bedarf es einer entsprechenden Aufbereitung mittelhochdeutscher Texte für den Unterricht. Gleichzeitig fordert vor allem der abschließende Beitrag von Ylva Schwinghammer die mediävistischen Institute zum Umdenken auf. Angesichts ihrer ernüchternden Ergebnisse zur Stellung der mediävistischen Studien in der Deutschlehrerausbildung stehen die Hochschuldozenten vor der Herausforderung, den Studierenden Wert, Relevanz und didaktische Vermittlung ihres Forschungsgebietes nahezubringen, da die während des Studiums entwickelte Haltung gegenüber mittelhochdeutschen Texten später kaum mehr verändert wird. Ansonsten droht der germanistischen Mediävisitk die Verdrängung aus den Schulen und darauf folgend langfristig wohl auch aus dem Kanon der universitären Lehre. Einen ersten Eindruck von diesem Szenario vermittelt quasi als Warnung Nicola McLelland in ihrem Beitrag zum Mittelhochdeutschen in den ‚Deutsch als Fremdsprache‘-Lehrwerken Großbritanniens, aus denen die mittelalterlichen Texte binnen kurzer Zeit bereits vollständig verschwunden sind.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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