Überlebensgeschichten

Karen Köhler erzählt von der Hoffnung, „dass. es. gut. wird“

Von Simone Elisabeth LangRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Elisabeth Lang

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„I tried to drown my sorrow, but the bastards learned how to swim.“ Mit diesem Motto leitet die Hamburger Autorin und Schauspielerin Karen Köhler ihren ersten Erzählband ein. Man könnte diesem Frida-Kahlo-Zitat ohne Weiteres hinzufügen: „However, I will survive!“ Die Erzählungen Köhlers sind Geschichten, die vom Überleben ihrer Heldinnen in unserer irritierenden Welt erzählen. Auf dieselbe Weise, wie sie in ihrem Blog Fotografien von Fenstern aus aller Welt vorstellt, kommt auch Ihr erster Erzählband daher. Wir haben Raketen geangelt ist eine Sammlung von Einblicken in das Leben junger Frauen, ein Blick in ihre Wohnungen und in ihre Seelen – und ein Versprechen: Ihr werdet es schaffen, wir werden es schaffen!

Im Vordergrund stehen dabei Katastrophen wie die ersten – traumatisierenden – sexuellen Erfahrungen, der Verlust eines geliebten Menschen oder die Krebserkrankung der Hauptfigur. Stets wird auch das Verhältnis der jungen Protagonistinnen zu ihren enttäuschenden Männern in den Blick genommen, die ihnen stets physische oder psychische Schmerzen zufügen. Die männlichen Figuren sind der Grund oder zumindest die verstärkende Kraft der Katastrophen, die den jungen Frauen zustoßen und an denen sie wachsen müssen. Immerhin lassen die leidenden Heldinnen sich zum Teil auch wieder von Männern retten. In der vielleicht stärksten Erzählung „Cowboy und Indiander“ wird die junge Ich-Erzählerin mitten im Death Valley von ihrem Mitfahrer betatscht und sitzen gelassen – nachdem sie ihr eigentliches Trauma einer frühen Vergewaltigung und des anschließenden Freispruchs ihres Peinigers endlich überwunden hatte. Doch was daraus hervorgeht, ist eine wunderbare Freundschaft, die beim Über- und Weiterleben hilft und die Sorgen doch noch ertränkt: „Vor mir steht ein Indianer. Ich bin nicht in der Einkaufsstraße einer mittelgroßen deutschen Stadt. […] Ich bin im Death Valley und sitze auf einem Stein neben einer Tankstelle.“ In vielen kleinen Rückblenden wird die Geschichte der jungen Frau entfaltet, parallel zu der sich aus einer neuen Extremsituation entwickelnden tiefen Verbundenheit zwischen der jungen Frau und dem Indianer. Der Auftritt des Indianers ist die Rettung des halb verdursteten Mädchens und gleichzeitig die Rettung der Hoffnung, die Köhler immer aufs Neue auferstehen lässt.

Während also „Cowboy und Indianer“ und auch „Name. Tier. Beruf“ von den ersten schmerzhaften und traumatisierenden sexuellen Erfahrungen eines Mädchens und der Auseinandersetzung mit dem Trauma handeln, wird in Wir haben Raketen geangelt der Tod eines Freundes verarbeitet und in „Il Comandante“ die Krebserkrankung der Protagonistin. Allesamt schwere Themen, doch die Heldinnen stehen auf, lassen sich nicht entmutigen. Diese Erzählungen machen Mut und so ist Sandra Hüllers Fazit auf dem Klappentext nur zuzustimmen: „Mit dieser Autorin würde ich überall hingehen.“ Tröstlich sind sie, die Geschichten der jungen Hamburger Autorin – und schmerzhaft zugleich. Eine wunderbare Mischung aus Wärme und Kälte, aus Gesundheit und Krankheit.

Bestimmend sind dabei die innovativen Erzählformen: Von der Du-Erzählung bis zur losen Aneinanderreihung von Postkartentexten ist hier alles zu finden. Das zeigt einerseits das schriftstellerische Talent der Autorin, mutet dem Leser andererseits aber auch viel zu. Ähnliches gilt für stilistische Besonderheiten. Während beispielsweise in der Erzählung „Familienportraits“ gelungene Bilder wie der „Erbsensuppenkanon“ für die schweigend im Takt löffelnde Familie überzeugen und die Aneinanderreihung von elliptischen Sätzen, die diesen Takt spiegeln, beeindruckt – „Dafür ist Heiligabend. Also quasi Sonntag. Deshalb die Teller. Es ist 12.15 Uhr mittags. Deshalb die Erbsensuppe“– , wirken manche Episoden überladen und aufdringlich. So sind die expliziten Hinweise – „Tick, Tick, Tick“ – auf das konsequent durchgezogene Zeitmotiv störend. Wo alles im Takt zu funktionieren hat und das Outing des homosexuellen Sohnes am Mittagstisch von diesem Ticken übertönt wird, ist es nicht nötig, explizit auf die Zeit zu verweisen.

Titelbild

Karen Köhler: Wir haben Raketen geangelt. Erzählungen.
Carl Hanser Verlag, München 2014.
240 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783446246027

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