Von der Assimilation zur Diversität, von der Integration zur Inklusion?

Der Aufsatzband „Die Integrationsdebatte zwischen Assimilation und Diversität“ leistet grundlegende Konzeptarbeit für die Migrationsforschung

Von Stephanie LavoranoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephanie Lavorano

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Assimilation, Integration, Inklusion und Diversität sind konzeptuelle Flaggschiffe der wissenschaftlichen ebenso wie der politisch-öffentlichen Migrationsdebatten seit den 1970er-Jahren. Dabei dienen diese Begriffe nicht nur als Beschreibungsinstrumente der bestehenden Auswirkungen von Migrations- und Globalisierungstendenzen, sondern in ihnen geht zugleich die Forderung nach einem gesellschaftlichen Wandel hin zu einem konfliktfreien Zusammenleben von Migranten und Nicht-Migranten auf. Als Scharnierwörter binden sie die individuelle und kollektive Erfahrung gegenwärtiger Migration an eine Vision von der Organisation einer Einwanderungsgesellschaft. Immer sind sie auf ein bestehendes Defizit gerichtet und verhandeln die mögliche Prekarität und Potentialität der Migration – sowohl für die Immigrierten als auch für die Mehrheitsgesellschaft.

Neben ihrer thematischen Ausrichtung sind Assimilation, Integration, Inklusion und Diversität ebenso durch die kurze Halbwertszeit gekennzeichnet, die sie als ‚hoffnungsvolle‘ Schlüsselkonzepte innerhalb der Migrationsdebatten einnahmen. Assimilation und Integration, ebenso wie die Inter- und Multikulturalität, der Dialog, aber auch die Hybridität sind in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bereits seit längerem der Kritik ausgesetzt, sie könnten Migration entweder nur im Rückgriff auf einen Kulturessentialismus denken oder würden diesen sogar implizit befördern. Damit führen sie – so die Einwände gegen diese Modelle – entgegen ihrer Intention zu einem hierarchischen Gefälle und entfalten mithin eine segregierende Wirkung. Dem gegenüber treten die jüngeren pluralistischen Identitätsmodelle wie Inklusion, Diversität und Transkulturalität, die vordergründig das Denken in starren, klar abgegrenzten Identitäten verlassen und die Vorstellung einer durch unüberblickbare Vielfalt charakterisierte Gesellschaft proklamieren. Jedoch sind mit Kien Nghi Ha und Gayatri Chakravorty Spivak auch diese Modelle in den letzten Jahren demselben Vorwurf, der Ressentialisierung von Kultur, ausgesetzt worden.

Migrationskonzepte sind so gesehen in eine „Euphemis Treadmill“ geraten, die nicht nur die nach wie vor bestehende Verquickung von Migration und sozialer Ungleichheit widerspiegelt, sondern auch auf ein Auflösen der begrifflichen Konturen der oben genannten Konzepte verweist. Unter dem Rückbezug auf den Metadualismus von Homo- und Heterogenität haben diese Konzepte ihre Spezifik sowohl als theoretische Entwürfe als auch als deskriptive Instrumente eingebüßt. Die allgemeine Kritik an der Beschreibung und Verhandlung von Migration hat die konkrete Auseinandersetzung mit den singulären, tatsächlichen Migrationsprozessen verdrängt.

Bei dieser heuristischen Problematik setzt der Band Die Integrationsdebatte zwischen Assimilation und Diversität. Grenzziehungen in Theorie, Kunst und Gesellschaft, der von Özkan Ezli, Claudia Marion Voigtmann, Valentin Rauer und Andreas Langenohl herausgegeben wurde, an. Obwohl der Band auf die bereits 2009 stattgefundene Tagung Im Banne der Assimilation? Kunst, Kultur und Theorie transnationaler Migration zurückgeht, haben die Beiträge nicht an Relevanz für die gegenwärtige Migrationsforschung verloren.

Den Herausgeber_Innen geht es nicht um eine einfache Rehabilitierung vermeintlich in die Jahre gekommener wissenschaftlicher Konzepte, sondern Integration und Assimilation werden als je nach historischem und geografischen Kontext variable, kulturelle Selbstbeschreibungen verstanden. So gesehen sind sie nicht theoretische Konzepte über Kultur, sondern als Sprachakte „inhärenter Bestandteil [Hervorhebung S.L.] der jeweiligen Kultur(en)“ und geben damit gleichsam Auskunft über diese wie über die Vorstellung von Migration selbst.

Mithin zeigt der Band den Eigenwert der oben genannten Konzepte nicht durch theoretische Ausdifferenzierungen, sondern durch empirisch orientierte Analysen, die die „semantische, relationale und historische Multivokalität der Begriffe Assimilation und Integration als Kulturkonzepte“ darlegen. Die einbindende Analyse von Assimilation und Integration in konkrete Äußerungszusammenhänge wie die Islamkonferenzen, den deutsch-türkischen Film oder die amerikanische War-on-Terror-Dekade, erweist sich als eine fruchtbare Synopse, die sowohl eine Aktualisierung dieser Begriffe leistet und dadurch deren konzeptuellen Mehrwert eindrucksvoll herausstellt als auch dezidierten Aufschluss über die Spannbreite der die Migration begleitenden Narrative gibt.

Der Band gliedert sich in drei Abschnitte: Im ersten Abschnitt „Debatten und Konzepte der Integration“ wird eine programmatische, konzeptuelle Grundlegung zum Teil ebenfalls in empirischer Referenz erarbeitet. Diese ist insofern für den Band wegweisend, als dass hier nicht nur Integration und Assimilation in ihrer theoretischen Komplexität und in Bezug auf verwandte Konzepte wie der Inklusion, Übersetzung und Diversität diskutiert werden, sondern auch eine deutliche Gewichtigung der intersektionalen Perspektive auf Migration vorgenommen wird. Die Frage nach der Entstehung von sozialer Ungleichheit, ihre Beziehung zur kulturellen Ungleichheit (Thomas Faist) und das Ausmachen von konkreten Umschlagsmomenten sind die Leitfragen dieses ersten Abschnittes. Es zeigt sich, ‚Kultur‘ und kulturelle Differenzen als Parameter von Migrationsprozessen sind niemals ein singulärer Aspekt, sondern folgern Diskriminierungen und verweigerte Partizipation auf umfassender, gesellschaftlicher Ebene.

Der zweite Abschnitt „Schauplätze und Verhandlungen von Integration und Diversität“ und der dritte Abschnitt „Im Spiegel der Zeit“ versammeln Einzelanalysen von Integration und Assimilation in unterschiedlichen Settings und Verhandlungskontexten. Während das zweite Kapitel „Schauplätze“ als thematische oder systemische ‚Räume‘ begreift, so etwa die Islamkonferenz, die Reflexion der deutsch-türkischen Migrationsgeschichte im Film oder das Rechtssystem; ist der abschließende Teil historischen Phänomenen des 18. bis 21. Jahrhundert gewidmet. Die geschichtliche Perspektivierung in den vornehmlich literaturwissenschaftlich arbeitenden Beiträgen zum Antisemitismus oder der britischen Islamfeindlichkeit zeigt dabei, dass ebenso wie Migrationsprozesse selbst auch Integration und Assimilation, als Konzepte der Verhandlung von Migration, bereits eine lange historische Präsenz besitzen.

Ohne konzeptuelle Unschärfe zu entwickeln, zeigen die einzelnen, sehr genau argumentierenden Beiträge die Variabilität und die Vielfalt der Vorstellungen von Integration, Assimilation und Inklusion in Migrationskontexten auf. Dabei wird insbesondere deutlich, dass die verhandelten Konzepte nicht statisch an eine jeweilige Debatte gebunden sind, sondern sich auch innerhalb eines konkreten Äußerungszusammenhangs wandeln und ineinander übergehen können. So beschreibt etwa Nicole Falkenhayner sehr konzise den Wandel von einer der Diversität verpflichteten Politik hin zur Proklamation einer nationalen Leitkultur in den 2000er-Jahren in Großbritannien. Deutlich wird in den Analysen, dass die öffentliche Verhandlung von Migration nie losgelöst betrachtet werden kann, sondern immer umfassend eine Gesellschaft durchzieht. Das gilt auch für die aus ihr resultierende Diskriminierung, die nicht nur eine institutionelle, alltägliche und ideologische Dimension umfasst, sondern auch Bilder funktionalisiert, die in der Verbindung zur Ethnie (Levent Teczan), Religion und Kultur aber auch Gender sowie körperlich-visuelle Merkmale (Nicole Falkenhayner) die Semantik von ‘Migranten’ weit übersteigen.

Der Band ist durch seine innovative Anlage sowie durch die Breite und Vielseitigkeit der qualitativ hochwertigen Beiträge wegweisend für die zukünftige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Migration. Dies gilt sowohl für die empirischen Ergebnisse in den Analysen der konkreten Migrationsdebatten und -prozesse als auch für die konzeptuelle Arbeit an den Schlüsselkonzepten Integration, Assmilation und Inklusion.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Özkan Ezli / Claudia Marion Voigtmann / Valentin Rauer / Andreas Langenohl (Hg.): Die Integrationsdebatte zwischen Assimilation und Diversität. Grenzziehungen in Theorie, Kunst und Gesellschaft.
Transcript Verlag, Bielefeld 2013.
372 Seiten, 32,80 EUR.
ISBN-13: 9783837618884

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