Meldungen des Weltgeschehens in Bildern – mit erhobenem Stinkefinger
Sarah von der Heide zeichnet die Nachrichten des Jahres 2013
Von Christian Schluck
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSarah von der Heides Buch Draw Me the News begrüßt einen frech mit dem Mittelfinger, genau genommen: mit dem Finger, der es 2013 zu einiger Prominenz gebracht hat: mit dem Stinke-Peer. Warnung, Hinweis oder Provokation?
Der Buchdeckel deutet bereits an, was einen erwarten könnte. Doch was für Texte gilt, gilt hier für den Leser besonders. Die Bilder wollen gedeutet werden, die Geschichten hinter den Illustrationen, die jeweils eine Nachricht aus einer Kalenderwoche repräsentieren, wollen von den Rezipient*innen erinnert und auserzählt werden. Neben einzelnen Worten, die zur Illustration gehören, helfen dabei Untertitel. Und dort, wo das Buch wortkarg bleibt, ist es wirklich gut.
Eingeleitet wird der Band durch eine Rezension. Jakob Wais von der Welt rezensiert Sarah von der Heides Internetblog unter der etwas abgedroschenen Floskel „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Er lobt die Aussagekraft der Zeichnungen, die imstande seien teilweise komplexe und ungeheuerliche Nachrichten mit einer – anscheinend rasch hingeworfenen – Handzeichnung auf ihren propositionalen Kern zu reduzieren.
Trifft das Lob der Welt-Rezension auch durchaus zu, so muss man sich doch ernsthaft fragen, was das soll – zumal an so prominenter Stelle. Hat das Buch diese ‚Eigenlob durch Fremdlob’-Ouvertüre wirklich nötig? Oder ist sie vielleicht nur ein weiterer Stinkefinger, der durchschaubare Versuch, jegliche Kritik im Keim zu ersticken.
Das nachfolgende Interview mit der Illustratorin vermittelt kurze und interessante Einblicke in ihre Arbeit – bzw. in die Arbeit am Blog. Die URL-Adresse selbst wird nicht genannt, doch findet man sie sofort, sobald man nur den Buchtitel in eine Suchmaschine eingibt. Die Seite http://drawmethenews.comführt die Arbeit fort, beinhaltet – im ‚Archiv’ – aber auch alle im Buch erhältlichen Illustrationen, nach Kalenderwochen geordnet.
Was genau finden wir in Draw me the News? Jung und modern, mal wenig, mal nichts und mal vielsagend reihen sich dort – nach Kalenderwochen sortiert – Zeichnungen, Collagen und eine Fotografie, die mit Anleihen aus der Popkultur die Nachrichten aus der deutschen Medienlandschaft von 2013 ikonographisch verdichten. Dabei ist das Buch nicht als Jahresrückblick zu verstehen. Es sind nicht nur die historischen Großereignisse, die in Erinnerung gerufen werden. Prämisse scheint eher zu sein, welche Nachricht die Phantasie der Autorin am meisten anzuregen vermocht hat.
So erscheint zu Beginn der bekannte Comic-Gallier Obelix in einer Matroschka-Puppe, hier stellvertretend für Gérard Depardieu und seine Einbürgerung als „Neo-Russe“. Die Gezi-Park-Räumung mit Wasserwerfern und Tränengas wird durch eine rote Gasmaske illustriert, aus deren Augen zerbrechende, Blaue Augen Fatimas bzw. Nazar-Amulette als Tränen schießen; und der Sturz Mursis in Ägypten wird durch einen pharaonenhaft thronenden Mursi dargestellt, flankiert von kleinen Figuren von Protestanten und Militärs nach dem Vorbild altägyptischer Wandbemalung.
Was wie eine plumpe Aneinanderreihung von Stereotypen klingt, ist dennoch eine gelungene Vermittlung der Geschehnisse eines Jahres für jedermann. Sicherlich kann man die Darstellungen als kühn, vielleicht sogar als überzogen empfinden, doch schließen sie sich zu Teilen den geschriebenen Nachrichten an, die oft nichts anderes tun als durch Vereinfachung und Stereotypisierung hoch komplexe Themen an die Leserschaft zu bringen.
Die Nachrichten, die Personen in den Fokus rücken, verdichten sich in einem passenden Portrait, mal ist es realistisch, mal comichaft, doch immer leicht verfremdet. Des Todes von Margaret Thatcher wird mit einem Portrait der Iron Lady gedacht, welches in seiner Farbgebung das „Eiserne“ an ihr hervorzuheben weiß. Kim Jong-un und einige Obama-Darstellungen kommen dann wieder eher comichaft daher. Koreas Machthaber wird der Schrecken nicht genommen, wenn er in überdimensionierter Größe mit schwarzen Atomraketen ausstaffiert wird, die aussehen wie fatales Spielzeug in den Händen eines Kindes.Freundlicher ist man Obama gesinnt, der – passend zu seinen Besuch in Berlin – breit grinsend von einem amerikanisch beflaggten Berliner Bären umarmt wird.
Auch die weniger komplexen Illustrationen haben ihren Reiz. Zu Beginn des Jahres wackelt der Kölner Dom. Von der Heide stellt ihn auf dürre Strichmännchenbeine und lässt die Umrisse in bunten Farben das Wackeln nachempfinden. Frech kommentiert mit der Aufforderung „shake it like a polaroid picture“, bringt dies ordentlich Witz in eine doch ernst zu nehmende Nachricht.
Das Sommerloch, wie naheliegend es auch scheint, mit einem Foto von einem Loch im Sand zu illustrieren, kann man mögen – oder auch nicht.
Rein handwerklich ist gegen diese Arbeit auch gar nichts zu sagen. Und Arrangement und Auswahl der Nachrichten regen durchaus die Phantasie an. Ob man jedoch als kritischer Nachrichtenrezipient die angebotenen Sichtweisen teilt, ist eine andere Frage. Doch grosso modo hat der Blick von der Heiden durchaus etwas Sympathisches.
Einer der prominentesten Vertreter ihrer Werke befindet sich mittig im Buch. Die 22. Kalenderwoche präsentiert uns in schillernden Farben „Vincent und Bruno sagen Oui“. Das Bildnis des sich küssenden schwulen Paares, welches in Frankreich getraut wurde, fand Einzug in Magazine und prangt auf Stickern gegen Homophobie. Die Schattenseiten der Homosexuellen-Debatte spart von der Heiden gezielt aus. Wie sie bei einer Präsentation auf dem Kölner Illustratorenfestival Illu 2014 erklärte, lag ihr das Thema in besonderem Maße am Herzen. Doch war es ihr zuwider, wie die anderen Medien nur von den negativen Aspekten zu berichten; und so stürzte sie sich mit Begeisterung und Empathie auf das erste schwule Ehepaar in Frankreich.
Die Auswahlkriterien machen deutlich, dass sich Draw Me the News von ‚gewöhnlichen’ Jahresrückblicken unterscheidet. Die Rückübersetzung des Bildes in Text, wie sie dieses Rezensionsformat erzwingt, verliert natürlich viel von dem, was die Zeichnungen dem aufmerksamen Betrachter zu erzählen vermögen. Von daher sollte jede(r) selbst einen Blick wagen.
Doch gerade hier lauert der nächste Stinkefinger.
Alle Inhalte, ausgenommen ist das kurze Interview mit von der Heiden, sind online kostenlos abrufbar. wird doch der frei zugängliche Blog geradezu angepriesen. Doch was für Texte gilt, gilt für Bilder umso mehr: Es hat einen sinnlichen Eigenwert, die Seiten zu fühlen und zu blättern, die Farben unverfälscht wahrzunehmen – anstatt von ihrer unmittelbaren Ausdrucksqualität durch eine (sei es auch noch so flimmerfreie und unverpixelte) Bildschirmbarriere getrennt zu sein.
Da der Blog nichts kostet und der Illustratorenberuf gerade in Zeiten, in denen die Printmedien in der Krise stecken, eine brotlose Kunst zu werden droht, kann man nur an das Gewissen des Nutznießers appellieren, ist diesem doch die Entscheidung freigestellt, selbst der Illustratorin den Stinke-Peer zu zeigen und sich gegen die Investition in diesen Band – oder den bereits angekündigten Folgeband mit von der Heides Illustrationen des Weltgeschehens im Jahr 2014 – zu entscheiden. Doch der Genuss ist sicherlich nicht derselbe, zumal der freundlich grinsende Mann, der mit dem Berliner Bären schmust, überall im Internet Ohren hat. Daran erinnert auch die Illustration auf dem Buchrücken: Dort fliegt Angela Merkels Handy mit einer Textnachricht, die vom „cutie <3“ Obama schwärmt, mit seinen großen, alles hörenden Segelohren davon.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen