Auswege aus dem Chaos

Adrian McKinty platziert seinen katholischen Bullen erneut im irischen Bürgerkriegsszenario in seinem Krimi „Die Sirenen von Belfast“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Krimi folgt nicht zuletzt einem Schema, das spätestens mit den Schelmenromanen des 16. Jahrhunderts in die Literatur eingeführt worden ist. Figuren aus der Unterschicht oder gescheiterte Existenzen sind seine bevorzugten Akteure, deren Sprachwitz und verschrobene Intelligenz dazu dienen, die wahren Verhältnisse in der Welt, in der wir leben, kenntlich zu machen. Der hard-boiled-Krimi hat sich dieses Muster zum Vorbild genommen (vielleicht ohne es überhaupt zu kennen), und seitdem sind Krimis voller derangierter Figuren, die als Katalysatoren oder krittelnde Beobachter die Welt vorführen, wie sie wirklich ist: dreckig, verlogen, hasenherzig und gemein.

Dieses Muster hat sich auch Adrian McKinty vorgenommen und es zudem in ein Szenario versetzt, das im Europa der 1980er-Jahren seinesgleichen sucht: der Bürgerkrieg in Nordirland. Seine Ursprünge sind derart lange vergangen, dass niemand mehr genau weiß, wie dieses Land überhaupt in eine derartige Lage geraten konnte. Protestantische Monarchisten und katholische Rebellen – in den 1980er-Jahren wäre das schon eine Schablone, die nicht einmal halbwegs erfasst, um was es in diesen Jahren noch gegangen ist. Ein Land im Chaos, am Rande des Untergangs und marodierenden Banden ausgeliefert.

Das ist eigentlich kein Setting für einen Krimi: In einer mörderischen Gesellschaft ist Mord kein wirkliches Szenario, und die Ermittlung kein Versuch, Ordnung wiederherzustellen. Es kann nur wiederhergestellt werden, was vorhanden war.

In einem Container wird eine Leiche gefunden, die an einem seltenen Gift gestorben ist. Anscheinend Mord, was spätestens dadurch plausibel wird, dass die Leiche in einem Koffer versteckt wurde und zuvor sehr lange in einem Gefrierschrank gelegen haben muss. Sean Duffy – der katholische Bulle im Dienste seiner anglikanischen Majestät – nimmt die Ermittlung auf, die ihn kaum weiter als in eine Sackgasse führt. Selbst eine Nebenspur zeitigt nicht jene Überraschungen, die in Krimis mit schwierigen Plots gerne herangezogen werden, um dann zur anvisierten Lösung zu kommen.

So ergeht sich McKinty in weitschweifigen Nordirland-Szenen, beschreibt das Privatleben seines Ermittlers, dessen Freundin sich gerade nach Schottland absetzt und der schnell auf neue Liebschaften stößt. Dabei hört er die Musik, die sich für einen aufgeklärten Hedonisten gehört, dessen morgendliches Mantra darin besteht, unter seinem BMW nach Autobomben zu suchen. Bei den Mahlzeiten gibt’s noch Luft nach oben, aber alles kann man im angelsächsischen Milieu nicht haben.

So sehr der Fall auch stagniert, so sehr füllt McKinty seinen Text also mit lebensweltlichen Elementen auf, was eben auch darauf verweist, dass nicht der Mord, sondern diese chaotische Lebenswelt mit ihren privaten Ruhezonen das Hauptthema des Romans ist.Es geht um eine korrupte und in Auflösung begriffene Gesellschaft im Krieg mit sich selbst, die dann auch noch Krieg mit Argentinien führt (Falkland, wir erinnern uns) – und in einer solchen Gesellschaft ist ein Mord, wie gesagt, nichts Ungewöhnliches.

Dass der Protagonist, Sean Duffy, aber nicht davon ablässt, nach dem Mord und seinen Tätern zu fragen, ist nicht minder aussagekräftig: Er wolle Teil der Lösung sein, sagt er an einer Stelle zu einem Kollegen, der ihm rät, sich wieder in friedlichere Areale des Königreiches versetzen zu lassen. Das aber reicht weiter, als der Umstand, dass er die Täter nicht davon kommen lassen will. Das zeigt an, dass nur, wer kompromisslos am Wahren festhält (am Schönen und Guten vielleicht auch), eine Gesellschaft verdient, die nach denselben Kriterien funktioniert.

Das hat mit Optimismus und Naivität nichts zu tun, sondern nur etwas mit der Funktion des symbolischen Raumes, den McKinty in seinen Nordirland-Romanen konstruiert. Er soll zeigen, dass es nicht auf Politik und den Staat ankommt, sondern auf den Einzelnen, der entweder verlässlich ist (so unzuverlässig er ansonsten auch sein mag, in seinem Kampf für eine bessere Gesellschaft kennt er keine Kompromisse). Oder eben korrupt.

Duffy ist konsequent, und das System gibt ihm dafür seinen Lohn. Im Vorgänger waren das noch ein Orden der Queen und ein Krankenlager, das ziemlich lange anhielt. Hier ist es etwas anderes. Wir werden sehen, wie es weiter geht.

Titelbild

Adrian McKinty: Die Sirenen von Belfast. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
388 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518465202

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