Kunst als factum brutum
Ein Sammelband konstatiert „Es gibt Kunstwerke“, fragt (einmal mehr) „Wie sind sie möglich?“ – und bleibt (wenig überraschend) die Antwort schuldig
Von Werner Jung
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDieser Band geht auf zwei Vorlesungszyklen zurück, die jeweils in den Sommersemestern 2010 und 2011 am Institut für Philosophie in Wien gehalten worden sind und für die die beiden Herausgeber verantwortlich zeichnen. Dabei haben sich die Beiträger zum einen mit dem Themenkomplex „Bildtheorie – Kreativität – Synästhesiekonzepte“, zum anderen mit der Frage nach der Bedeutung der Wiener Moderne heute beschäftigt.
Die Frage nach der Möglichkeit von Kunstwerken als Ausgangspunkt zu setzen, heißt vor allem an einen – heute leider weitgehend in Vergessenheit geratenen – Theoretiker zu erinnern, der ein Zeitgenosse der Wiener Moderne gewesen, allerdings überaus kritisch gegenüber ihren Repräsentanten geblieben ist: Georg Lukács. In seinen zu Habilitationszwecken eingereichten Texten, die freilich seinerzeit – 1918 – trotz glänzender Gutachten von der Heidelberger Fakultät nicht angenommen wurden, spricht der junge ungarische Philosoph vor einem breiten theoretischen Hintergrund, der zwischen der Lebensphilosophie und dem südwestdeutschen Neukantianismus oszilliert, davon, dass Kunstwerke ein factum brutum seien. Allerdings sei damit eben längst noch nicht bestimmt, wodurch sie allererst möglich werden. Und es scheint so – insofern ist der mehrfache Rückgriff auf den jungen Lukács, der selbst eine unentschiedene Haltung in dieser Frage eingenommen hat, plausibel –, als habe sich bis in unsere Tage daran nur wenig geändert. Denn noch immer deklinieren die verschiedenen ästhetischen Beiträge dieses Bandes (etwa Liessmann, Recki, Mersch, Zöller) historische Positionen durch – von der Aufklärung über den deutschen Idealismus mitsamt dessen Kritiker Nietzsche, die Wiener Moderne und Wittgenstein bis hin zur postmodernen Kunsttheorie eines Arthur C. Danto. Die entscheidende Frage bleibt wohl (unbeantwortet!) bestehen: Wer implementiert denn eigentlich die ästhetische Setzung? Wer legitimiert allererst den ästhetischen Diskurs? Dies geschieht hier unter Verweis auf die moderne Kunstentwicklung seit der frühen Moderne, die Liessmann zu Recht im Schweigen enden sieht. Man könnte es auch mit Adornos ästhetischer Theorie ausdrücken, wonach die Kunst der philosophischen Beredtheit und Reflexivität bedürfe. In Liessmanns bescheidener oder zurückgenommener Redeweise: „[D]as konstituierende Sprechen“ setzt einen Gegenstand allererst als einen ästhetischen, d. h. als einen entlang der kantischen Demarkationslinie Lust/Unlust wahrgenommenen und empfundenen. „Es gibt Kunstwerke“, so Liessmann: „Wie sind sie möglich? Durch Beschwörung!“
Neben Sektionen zu Fragen von „Bild und Skulptur“, „Schauspiel und Performanz“, „Konzeptionen der Synästhesie und des Gesamtkunstwerks“, zu „Wittgenstein und die Kunst“ beschäftigen sich noch vier Beiträge mit der Literatur, davon drei, die dem Umfeld der Wiener Moderne gewidmet sind und die alle auf die anhaltend aktuelle Bedeutung dieser für die frühe Moderne so einflussreichen Szene abheben: Liessmann bietet in seinem (zweiten) Beitrag einen kursorischen Überblick über einige Stichwortgeber, Feger analysiert den Essayismus Musils im Mann ohne Eigenschaften als Modell für eine moderne Lebenshaltung, und Strigl diskutiert einmal mehr Hofmannsthals Reitergeschichte.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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