Todesfuge

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Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne
er pfeift seine Rüden herbei er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus  Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland  
 
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

Paul Celan: Mohn und Gedächtnis
© 1952, Deutsche Verlags-Anstalt, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Hinweis der Redaktion: Paul Celans Gedicht entstand vor 70 Jahren, erschien 1947 zunächst in rumänischer Übersetzung, 1948 in seiner ersten Gedichtsammlung „Der Sand aus den Urnen“ und wurde nach seiner Veröffentlichung 1952 in dem von der DVA verlegten Band „Mohn und Gedächtnis“ zu einem der berühmtesten Gedichte deutscher Sprache. Die Veröffentlichung in der Februar-Ausgabe 2015 von literaturkritik.de erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Verlags-Anstalt, in der 2012 „Mohn und Gedächtnis“ in einer der Erstausgabe nachempfundenen, bibliophilen Ausstattung erschienen ist. Mit dem Gedicht und seiner Rezeption befassen sich in dieser Ausgabe eingehend bereits ältere Beiträge von Ruth Klüger und Dieter Lamping und Walter Müller-Seidel, an die wir in Form einer erneuten Veröffentlichung erinnern. TA