Ein abenteuerlicher Tollpatsch

Olivier Rolin porträtiert einen Löwenjäger und Freund Edouard Manets

Von Christof RudekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christof Rudek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen Löwen zu erlegen ist auch mit patentierten „explosiblen Kugeln“ nicht leicht. Aber wenn nach manchen Mühen, Missgeschicken und dem Spott der Einheimischen dann wirklich ein Löwe vor der Gewehrmündung auftaucht und der Schuss auch wirklich losgeht, dann fährt der stolze Jäger, wie Pertuiset in Olivier Rolins Roman „Ein Löwenjäger“, mit einem erbeuteten Löwenfell zurück ins heimatliche Paris. Zwanzig Jahre später, 1881, wird sein Freund Manet ihn damit malen: „Pertuiset, le chasseur de lions“ heißt das Bild, „Pertuiset, der Löwenjäger“. Diesen Jäger kann man sich vielleicht besser als Wirt hinter einem Tresen vorstellen, seine Ausstattung passt eher in die böhmischen Wälder als in die Savanne Nordafrikas, der Löwe wirkt ein bisschen ausgestopft (was er ja auch tatsächlich ist), und Bäume und Gras lassen erahnen, dass man sich hier nicht in Afrika, sondern in einem Garten eines Pariser Einfamilienhauses befindet. Wollte Manet sich etwa über den Porträtierten lustig machen? Jedenfalls brachte ihm das großformatige Gemälde im Pariser Salon eine Medaille zweiter Klasse ein.

Dieses Bild, das Rolin zu Beginn seines 2008 im französischen Original unter dem nahe liegenden Titel „Un chasseur de lions“ erschienenen Romans beschreibt, gibt es wirklich, und auch Pertuiset hat wirklich gelebt und genoss für sein pittoreskes Abenteurerleben unter seinen Zeitgenossen ein gewisses, vielleicht nicht durchweg schmeichelhaftes Ansehen. Rolin folgt seinen Spuren und würzt die Fakten wohl auch hin und wieder mit Fiktionen.

Wer war also dieser Pertuiset – oder wer ist er im Roman? Die Löwenjagd bleibt Episode, denn eigentlich ist Pertuiset Waffenhändler und -erfinder und reist mit seinen Gewehren, Munitionskisten und Werkzeugkoffern zu den Mächtigen und Möchtegernmächtigen der Welt, um seine Ware an den Mann zu bringen. Zwischendurch geht er auf Abenteuer aus, und wenn er nicht unterwegs ist, erzählt er in den Pariser Kneipen und Salons von seinen Erlebnissen. Und er bewundert Manet, den „cher Maître“, wie er ihn nennt, gesellt sich gern zur Bohème, malt auch selbst ein bisschen (am liebsten Tierbilder), wenn auch etwas unbeholfen, wie seine Wege überhaupt von Fallstricken und Fettnäpfchen gepflastert zu sein scheinen.

So ein kauziger Tollpatsch ist natürlich ein dankbarer Gegenstand für einen Romancier, und es liest sich recht vergnüglich, wie Pertuisets als wissenschaftliche Expedition getarnte Schatzsuche in Feuerland ohne Schatz, doch mit Durchfall und wüsten Schlägereien endet, oder wie er bei einer Bohème-Party zum Gaudium der künstlerischen Pariser Prominenz auf alle Viere geht, den Kopf in eine Gießkanne steckt und das Brüllen eines Löwen imitiert. Hin und wieder trifft er Manet, der ihm mit leichtem Amüsement begegnet. Kein Wunder, ist Manet doch abgesehen von seiner avantgardistischen Kunst ohnehin mehr fürs Bürgerlich-Solide, wie der Roman (und die Manet-Biografik) zu berichten weiß.

Leider vertraut Rolin nicht ganz auf seine beiden Protagonisten, sondern skizziert en passant noch allerlei weitere abenteuerliche Lebensläufe – häufig geprägt durch Revolutionen und politische Gewalt –, die oft nicht mit dem eigentlichen Geschehen, sondern nur mit dessen Schauplätzen zusammenhängen. Überhaupt spielen Orte eine besondere Rolle – und mit ihnen das Thema Zeit. Das „du“ der Geschichte, wohl der Erzähler, der sich selbst mit „du“ anspricht, schildert seine Besuche der Schauplätze des Romangeschehens, beschreibt, wie diese heute aussehen, was aus den Gebäuden und Ortschaften geworden ist, und manchmal auch, was er selbst dort erlebt hat, vor allem mit Frauen. Die Zeitebenen vervielfältigen sich weiter, wenn er auf seine früheren Aufenthalte an diesen Orten eingeht. Aller verändert sich, alles verschwindet mit dem unaufhaltsamen Fortschreiten der Zeit, das ist der melancholische Ton, der durch diese Passagen klingt.

Aber was hat das mit dem Löwenjäger und seinem Malerfreund zu tun? Im Allgemeinen viel, da jedes Leben, jedes Geschehen, real oder fiktiv, zeitlich bedingt ist. Im Besonderen aber eher wenig. Was spielt es für eine Rolle, dass in Meudon nahe Paris, wo der schon sterbenskranke Manet sich einer Hydrotherapie unterziehen musste, Mitte des 20. Jahrhunderts eine Renault-Fabrik stand, die inzwischen stillgelegt wurde? Dennoch, „Der Löwenjäger“ ist ein lesenswerter Roman, besonders für alle, die sich für das Frankreich des späteren 19. Jahrhunderts oder für die Geschichte des südlichsten Südamerika interessieren. Und für Freunde der Löwenjagd sowieso.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Olivier Rolin: Ein Löwenjäger.
Aus dem Französischen übersetzt von Doris Heinemann.
Berlin Verlag, Berlin 2013.
208 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783827010513

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch