Aphoristik als Moralistik
Die Korrespondenzen von Elazar Benyoëtz in einem wunderschönem Band voller Dichtung und Weisheit
Von Klaus Hübner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer wunderbaren Buchreihe Profile, die sich im Untertitel als Magazin des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek entpuppt, können in Deutschland wohl nur einige Marbacher Kataloge das Wasser reichen. Wunderschön aufgemacht, mit zahlreichen Fotos und Faksimiles aus dem Vorlass oder dem Privatbesitz des Dichters, ist kürzlich ein stattlicher Band über Elazar Benyoëtz erschienen: Korrespondenzen. Der 1937 als Paul Koppel in Wiener Neustadt geborene und Ende 1939 mit den Eltern nach Palästina gelangte Dichter, der in hebräischer Sprache debütierte und seit 1969 meistens auf Deutsch schreibt, ist nach wie vor einer der am wenigsten bekannten Chamisso-Preisträger. Schon 1988 hat er den Preis erhalten, und seitdem ist sein Werk ungeheuer angewachsen – Gedichte und Prosa, Essays und Briefe, vor allem aber Aphorismen. Benyoëtz schreibe „Aphoristik als Moralistik“, hat Harald Weinrich einmal gesagt – Korrespondenzen enthält auch eine kluge Auswahl aus seinem Briefwechsel mit dem Dichter. Aphorismenbände jedoch, und seien sie noch so brillant, kaufen die Leute selten.
Fast fünfzig Seiten umfasst die Einleitung, die die Überschrift „Folgenichtig. Oder: Ich unterschreibe nicht“ trägt und von Elazar Benyoëtz selbst stammt. „Ich habe keine deutsche Umwelt, kein Deutsch um die Ohren, ich muss mein eigenes Herz essen“, heißt es in dieser autobiografischen Melange. Genauso fundamental: „Auschwitz und Deutsch sind unzertrennlich, Hebräisch und Auschwitz sind unvereinbar […]. Als ich ins Deutsche geriet, sah ich seinen großen Vorzug ein: in jeder anderen Sprache wäre es leichter, Jude zu sein“. Warum diese Collage aus Gedicht- und Prosazeilen, Aphorismen, Briefstellen und Zitaten? Weil man dem Poeten damit wohl am nächsten kommt, und er selbst sich vielleicht auch: „Das Hohelied der Fälscher läuft unter ‚Memoiren‘“. Ein Fälscher will Benyoëtz nicht sein – er spricht als Dichter, immer. Und als religiöser Mensch: „Wenn ich etwas über Gott und die Dichtung sagen möchte, will ich nicht gezwungen werden, mein Urteil über Arafat oder Sharon abzugeben. Mit Fragen solcher Art wird die Poesie öffentlich ausgepeitscht». Das Problem dabei: Wer hört noch zu? „Welche Blumen sind es noch, durch die man heute sprechen könnte?“
Um diesen eminenten Dichter zu entdecken oder genauer kennenzulernen, kommen diese Korrespondenzen gerade recht. Zwölf Experten, darunter der Schriftstellerkollege Robert Menasse und die profilierte Wiener Kritikerin Daniela Strigl, beleuchten und deuten sein Werk, und die von Michael Hansel zusammengestellte „Korrespondenz in Bildern und Texten“ liefert aufschlussreiche Fotos. Zum Beispiel eins von Benyoëtz und SAID (Stuttgart 1998), auf dem im Hintergrund deutlich ein Schriftzug zu erkennen ist: „Viele Kulturen – eine Sprache“.
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