Die Franken am Niederrhein

Christoph Reichmann erhellt die Entstehungsgeschichte des fränkischen Volkes bis zur Christianisierung

Von Sonja SwientyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sonja Swienty

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach Christoph Reichmann, Archäologe und Leiter des Museums Burg Linn in Krefeld, „ist die vorgestellte Darstellung der Franken“ in Römer und Franken am Niederrhein „keine Zusammenfassung des publizierten Forschungsstandes, sondern der Versuch einer in zahlreichen Punkten neuen Sicht“. In 17 Kapiteln thematisiert er sowohl die römischen Feldzüge als auch die Auflehnung der eroberten Franken im Rhein-Maas-Gebiet, wobei das alltägliche Leben der Unterdrückten und etliche archäologische Fundstücke dieser Kultur – vorwiegend aus Gelduba, römischer Garnisonsplatz und heutiges Bodendenkmal im Krefelder Stadtteil Gellep-Stratum – im Mittelpunkt stehen. In diesem Rahmen wird eine Zeitspanne beginnend mit der Unterwerfung Galliens durch Caesar über den Niedergang des römischen Reiches hin zur Christianisierung der Franken und Römer beschrieben. Viele Themenbereiche sind zur Veranschaulichung mit Bildern, Zeichnungen oder Photographien versehen.

Das Volk der Franken, welches aus germanischen Stämmen hervorging, findet erstmals im dritten Jahrhundert Erwähnung. Die Funde der ca. sechstausend Gräber, darunter sogar einem fränkischen Fürstengrab und ein Kastell in Krefeld, waren jedoch sensationell – die Region gilt als die Wiege der fränkischen Geschichte. Durch Renate Pirlings wissenschaftliche Darlegung der neueren Forschungen zu den Gräberfeldern in Krefeld-Gellep ergeben sich lt. ihrem Nachfolger Reichmann im Abgleich mit Aussagen antiker Autoren wie Plinius, Tacitus, Columella, Marcellinus, Sidonius und Gregor von Tours Ergänzungen oder Korrekturen, welche den Forschungsstand erweitern.

Das Buch beginnt mit einem Überblick über die germanischen Stämme im Rhein-Maas-Gebiet, beschreibt deren Namensgebung, Verwandtschaft und Konkurrenz untereinander und präsentiert einen Aufriss der geografischen Ausgangslage, an den sich eine Aufarbeitung der Entstehungsgeschichte des fränkischen Volkes anschließt. Die römische Historie findet dann Berücksichtigung, wenn sie einen Einfluss auf die Geschichte der Franken hat. Dies ist vor allem im Rahmen der Eroberungs- und Umsiedlungsbewegung der Fall, wie anhand von Kartenmaterial veranschaulicht wird. Von der Einrichtung der Provinz Germania inferior wird der Leser bis zur Provinz secunda geleitet. Was das Ergebnis der Widerstände der Eroberten anbelangt, vom Bataveraufstand über den Frankeneinfall von 259 n. Chr., weist Reichmann vor allem auf den Ansiedlungsvertrag Constans hin. Diese Ausführungen enden mit dem Untergang des Quintinus und dem Ende der römischen Provinz und werden mit dem Heldenzeitalter und der Christianisierung abgeschlossen. Sowohl Spuren militärischer Auseinandersetzungen, Bebauungsreste wie das römische Kastell, als auch Beigaben von Gräbern geben Hinweise auf das Leben in Gelduba. Dem Leser wird nach und nach der Zusammenhang zwischen archäologischen Fundstücken, darauf gründenden historiographischen Rückschlüssen und dem aktuellen Forschungsstand dargelegt und ihm auf diese Weise das Leben der Franken facettenreich nahe gebracht. Beginnend mit wirtschaftlichen Anlagen wie Steinbrüchen oder Ziegelbrennereien sowie römischen Anlagen und Kastellen, entfaltet der Autor im Folgenden die Unterbringung von Mensch und Vieh, anschließend die Viehzucht selbst, die Getreideproduktion, den Gemüseanbau, die Herstellung von Tongefäßen, die Rechtsvorstellung sowie die Geldwirtschaft. Reichmanns Darstellung von Brauchtum und Jagd verweist den Leser auf die beiden großen Bereiche der Handelswege und -partner sowie des fränkischen Grabbrauchs und ihres Grabkultes. Der Bogen zum christlichen Frankenreich wird durch die Schilderung des Aufstiegs des gesamtfränkischen Königs Chlodwig geschlagen. Es scheint, als gäbe es, abgesehen von sozialen Strukturen, keinen Lebensumstand, der nicht abgedeckt wird.

Der Titel „Römer und Franken am Niederrhein“ ist auf den ersten Blick irreführend, da Reichmann seinen Schwerpunkt auf die Franken legt und dabei zu Beginn seiner Ausführungen einen weitaus größeren geografischen Raum als den Niederrhein fokussiert. Für den nicht einschlägig kundigen Leser ist nicht immer eindeutig zu erkennen, wobei es sich um neue Forschungsansätze handelt, da auf einen Anmerkungsapparat komplett verzichtet wurde. Damit ist es fast unmöglich festzustellen, inwieweit der Autor seinem in der Einleitung aufgestellten Forschungsziel gerecht wird. Der Leser wird umfassend und in gut verständlicher Sprache in das Leben der Franken eingeführt. Die Ergebnisse und Abbildungen der Ausgrabungsfelder, bei denen der Autor mitgewirkt hat, dürften beim archäologisch interessierten Leser auf Begeisterung stoßen. Reichmann weckt zugleich das Interesse, die Ausstellung im beschaulichen Krefeld-Linn einmal selbst zu besuchen, welche durch die Publikation ansprechend begleitet und ergänzt wird.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Christoph Reichmann: Die Franken am Niederrhein.
Nünnerich-Asmus Verlag & Media, Mainz 2014.
120 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783943904574

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