Die Verbreitung religiösen Gedankengutes in der Rhein-Maas-Region

Ein Sammelband zur Frömmigkeitsbewegung ‚Devotio Moderna‘ widmet sich dem sozialen und kulturellen Transfer (1350-1580)

Von Stefanie JugovacRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Jugovac

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ist heute von einem frommen, gottesfürchtigen, christlichen Leben die Rede, so denken die meisten Menschen vermutlich zunächst an das klösterliche Leben in Orden. Doch führen Ordensbrüder und -schwestern tatsächlich ein von Gott gewolltes Leben, oder gibt es eine Alternative moralischen christlichen Handelns, die das dogmatische Interesse von Ordensgemeinschaften zugunsten des ethischen verdrängen kann? Genau diese Frage stellte sich die Bewegung der Devotio Moderna bereits im 14. Jahrhundert. Diese gewann, ausgehend von den Niederlanden, immer mehr Zuspruch in Europa und kann als Wegbereiter der Lutherischen Reformation gesehen werden.

Der vorliegende Sammelband nimmt die Moralvorstellungen und die Wirkung ihrer Anhänger und Prediger im Hinblick auf den sozialen und kulturellen Transfer in den Blick. Er unterscheidet sich damit gerade hinsichtlich seines thematischen Fokus von vorangegangenen Arbeiten, welche sich bisher eher mit den Frömmigkeitslehrern und ihrer Religiosität beschäftigt haben. Die Herausgeber, die Mediävisten Dick E. H. De Boer und Iris Kwiatkowski, greifen dabei auf die Ergebnisse eines deutsch-niederländischen Forschungsprojektes zurück. Unterstützung erhielten sie ferner von der mediävistischen Abteilung der Universität Bochum und der Abteilung für Landesgeschichte der Universität Duisburg-Essen.

Die Früchte dieser Zusammenarbeit sind zwei Bände. Der erste Band steht im Folgenden nun im Mittelpunkt. Er setzt sich aus acht Aufsätzen in teils deutscher, teils niederländischer Sprache zusammen. Den Reigen der Beiträge eröffnet der niederländische Aufsatz von Dick E. H. De Boer, der sich mit der sozio-kulturellen Kohäsion in der Grenzregion zwischen Deutschland und den Niederlanden befasst. Besonders aufschlussreich ist sein ausführlicher Überblick über den Forschungsstand im Nachbarland zu dieser Thematik. Daran schließt sich ein Aufsatz von Nikolaus Staubach an, der anschaulich die Einheit und Vielfalt der Devotio Moderna unter dem Aspekt des Selbstverständnisses und der Selbstdarstellung ihrer Mitglieder zu beleuchten versucht. Seine Überlegungen hierzu basieren vor allem auf den Quellen von Dirc van Herxen. Im Weiteren diskutiert Rita Schlusemann, ob die Region zwischen der Ijssel und Ostwestfalen als eigenes Kulturgebiet verstanden werden kann. Um diese These zu überprüfen, zieht sie zeitgenössische Bezeichnungen und sprachgeschichtliche Charakteristika des Gebietes heran, greift exemplarisch einzelne Textkorpora der Devotio Moderna zur Erläuterung auf und präsentiert volkssprachliche Textbeispiele. Übersichtliche Tabellen und Abbildungen im Anhang stützen ihre Argumentation. Die Bezüge zwischen der Devotio und der religiösen Praxis werden von Iris Kwiatkowski erläutert, die hierzu die Bewegung der Devotio Moderna mit den Kartäusern und ihrem Vertreter Dionysius Ryckel auf der Grundlage von dessen Traktat vergleicht. Zum besseren Verständnis liefert sie einen ausführlichen Anhang, der die gesamte Übersetzung der Quelle enthält. Ebenfalls mit einem Traktat befasst sich Dieter Scheler, der jedoch Arnold Heymerick und dessen Persuasio de cappata religione non ineunda ante puberes annos auf die Frage hin analysiert, inwiefern ein „alter Frommer“ wie Arnold Regularkanoniker und Fraterherren als geistliche Ideale betrachten kann. Anschließend verdeutlicht Bertjaap van der Ploeg am Bespiel Gosewijm van Halens die Schnittstelle zwischen Humanismus und der Devotio. Abschließend stellt Victor Wanka die Frage, ob Fraterherren Marginalexistenzen sind. Dies versucht er anhand des Erfolgs der Devotio Moderna zu beleuchten.

Die ausführlichen Arbeiten der einzelnen Autoren eröffnen dem Leser neue Forschungsperspektiven auf die Devotio Moderna, die sich – mit Fokus auf den sozialen und kulturellen Transfer – dem Phänomen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln nähern. Die Ergebnisse basieren dabei allesamt auf ausführlichen und nachvollziehbaren Quellentexten, die in Fußnoten und im Anhang in Übersetzung oder im Original zitiert und erläutert werden. Die Zweisprachigkeit lässt einerseits ein Lesepublikum auch jenseits der deutschen Grenze zu; die fehlenden Übersetzungen einzelner niederländischer Beiträge erschweren andererseits dem rein deutschsprachigen Leser den Nachvollzug aller Aufsätze in ihrer Gesamtheit. 

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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Dirk E. H. De Boer / Iris Kwiatkowski (Hg.): Die Devotio Moderna: sozialer und kultureller Transfer. Bd. 1: Frömmigkeit, Unterricht und Moral: Einheit und Vielfalt der Devotio Moderna an den Schnittstellen von Kirche und Gesellschaft, vor allem in der deutsch-niederländischen Grenzregion.
Aschendorff Verlag, Münster 2013.
207 S. , 45,00 EUR.

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