Satire, Parodie, das ewige Recht und andere Unglücksfälle

Zur Problematik juristischer Begriffsbestimmungen im Feld der Literatur

Von Albrecht Götz von OlenhusenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Albrecht Götz von Olenhusen

Die satirische Befassung mit personellen oder institutionellen Zeiterscheinungen unterschiedlichen Niveaus kann man als Einbruch in Tabu- und Wertezonen ansehen. Wer aber definiert, was Satire, Parodie, was deren Aussage oder Botschaft sind? Jonathan Meese stand jüngst vor dem Amtsgericht Kassel unter Anklage. Er hatte 2012 zu dem Thema „Größenwahn in der Kunst“ neben seiner Forderung nach Diktatur der Kunst zweimal dem Publikum den „Hitlergruß“ entboten. In einem Manifest dekretierte er, keine Ideologien, keine Realpolitik, ob links oder rechts, zu dulden. „Seit 1945 ist doch nichts auf diesem Planeten passiert, keine gute Literatur, nichts. Alles völlig verwässert, alles Weichspülprogramm.“ Besonders kritisch wurde es, als er sagte: „Ich kann sehr gut vor allen Sachen strammstehen, da habe ich kein Problem. Da mache ich gerne auch diesen hier.“ Dann folgte erstmals der „Hitlergruß“, ein zweites Mal dann mit den Worten: „Ich schreite so gerne auch mal in meinem Atelier herum. Das ist gut, das macht den Körper auf. Das ist nicht diese mickrige Bewegung nach innen.“ Ein Bild mit dem Hitlergruß veröffentlichte er auf einer Internetseite mit dem Titel „Öffentliches Propagandagespräch“ und „Größenwahn in der Kunstwelt“. Das zuständige Amtsgericht Kassel hielt in seinem Urteil vom 14.08.2013 die Veranstaltung für eine Kunstperformance, um den Hitlergruß zu enttabuisieren und eine Diskussion zu entfachen. Auch eine Fotografie des Künstlers mit einem Einhorn vor Hakenkreuzen und mit Hitlergruß sei Ausdruck des Spottes und der Satire, die Vermittlung eines „Zerrbildes der Wirklichkeit“, kein Verstoß gegen §§ 86, 86a StGB.

Kommt die Satire oder satirische Parodie auf den Richtertisch, unterliegt sie juristischer Benennungsmacht oder, wie Pierre Bourdieu in „Rede und Antwort“ geschrieben hat, der „Macht, Dinge mit Wörtern zu schaffen“. Dann wird über die Möglichkeiten rechtlicher Zensur, über Gewinn und Verlust von Ehre, und womöglich auch über massive finanzielle Entschädigung öffentlich Angegriffener entschieden. Privatsphären und Persönlichkeitsdetails lassen sich auf diese Weise in ansehnliche Bankkonten verwandeln. Wer sich als Pamphletist Größen der Gesellschaft oder mächtige, zu fatalen Taten geneigte Religionsgemeinschaften vornimmt, kann schnell die Bekanntschaft von Gerichten, vielleicht sogar von Gefängnissen machen.

Welche Probleme dieses Feld aufwirft, hat sich jüngst wieder und nun erstmals auch im europäischen Recht gezeigt. Anlass war ein Parteikalender der rechtsextremen belgischen Partei „Vlaamse Belang“. Das Titelblatt zeigte eine Karikatur, die sich sehr eng an eine Karikatur  des Comiczeichners Willy Vandersteen  aus dem Jahre 1961 anlehnte. Sie stellt den Bürgermeister von Gent dar. Dieser wirft Münzen auf einen Platz, die von verschleierten oder Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund aufgehoben werden. Das belgische Gericht gab zunächst den Erben des Comiczeichners urheberrechtlich Recht, die in dem Werk eine Verletzung des Urheberrechts sahen.. Über das Berufungsgericht gelangte der Casus an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser hatte nun über die Grenzen einer satirischen Parodie zu entscheiden, nicht nur nach Urheberrecht. Denn das neue Werk konnte als rassistisch interpretiert werden. Der EuGH definierte Parodie relativ schlicht als „Erinnerung“ an ein bestehendes Werk mit dem Ziel und dem Unterschied, Spott und Humor wiederzugeben. Parodie sei eine Form der Meinungsäußerung. Ein angemessener Interessenausgleich zwischen Rechtsinhabern und Nutzern müsse aber gefunden werden. Allerdings sei nach der Grundrechte-Charta  das Verbot der Diskriminierung wegen Rasse, Hautfarbe oder ethnischer Herkunft zu berücksichtigen. Den nationalen Gerichten wird diese Entscheidung im Kontext von Satire und Parodiefreiheit einiges Kopfzerbrechen bereiten. Eine fast unüberschaubare, zwischen Plausibilität und peniblem Puritanismus schwankende Rechtsprechung wird sich künftig noch subtiler mit derartigen Normabweichungen befassen müssen.

Es gehört zu den schwierigsten juristischen Operationen, die Aussagen von Satiren zu erfassen. Das Bundesverfassungsgericht hat, verkürzt gesagt, eine diffizile Methode entwickelt, welche im Anschluss an das ehrwürdige Reichsgericht geeignet sein soll, Deutungen „werkgerecht“ zu erfassen. Die dabei einem Modeschöpfer würdige Trennungsmethode von äußerem Textil und substantiellem Inhalt hat es in sich. Die Beseitigung des Narrengewandes oder sonstiger Verpackungen führt dann angeblich zu der gesicherten Erkenntnis, ob eine zulässige Meinungsäußerung oder erlaubte Kunst vorliegt.

Das führt uns zu der sehr unterschiedlichen Betrachtung von Satiren durch Literaturwissenschaft auf der einen, der Judikatur auf der anderen Seite. Der Kunstbegriff der Literatur ist weiter. Die satirischen Intentionen und Stilmittel sind durch Ästhetik, Aggressivität und Bezugnahme auf die Gesellschaft und ihre Protagonisten charakterisiert. Die Jurisprudenz spricht hier zumeist von Verfremdung, Verzerrung, von Über- oder Untertreibung. Satire ist keine Dokumentation oder Berichterstattung mit Wahrheitsanspruch. Sie ist nach einem bekannten Wort vielmehr bestimmt und geeignet, Personen oder Realitäten „bis zur Kenntlichkeit“ zu entstellen. Wenn also die Gerichte äußere Formgestaltungen vom Gehalt schneidermeisterlich trennen, dann begeben sie sich auf das Feld einer Aporie. Denn gerade die satirische Einkleidung vermag dem von der Rechtsprechung so gern nüchtern herausoperierten inhaltlichen Details die satirische Kraft und die eigentliche Wirkung zu vermitteln.

Ob etwas Kunst sei, ob also eine künstlerische literarische oder karikaturistische Darstellung vorliegt, soll der fiktive Rezipient entscheiden. Als solcher dient der in Kunstdingen angeblich einigermaßen bewanderte „Durchschnittsbetrachter“. Diese Persönlichkeit, selbst eine Kunstfigur, die uns außerhalb des Zauberwaldes juristischer Gelehrsamkeit nie begegnet, darf darüber befinden, ob das fragliche Objekt der Betrachtung sich noch im Kernbereich menschlicher Würde befindet oder mit einer anderen begrifflichen Zauberformel als „Schmähkritik“ zu sehen ist. Die Grenze der Norm bildet die bekannte „Gürtellinie“. Darunter fängt die sittliche Schamsphäre oder die jeweilige soziale Tabuzone an. Hier ist selbst der erfahrene Jurist in der Situation, dass die Prognose, ob ein Prozess über einen literarischen Text zu gewinnen ist, einem Würfelspiel gleicht.

Mit der bekannten „Mephisto-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts um den Roman von Klaus Mann und mit den Urteilen über Maxim Billers „Esra“ hat das Problem fiktionaler Darstellungen breite öffentliche Aufmerksamkeit gefunden. Die Faustformel, dass die Distanz des Abbildes vom Vorbild groß genug sein müsse, um als Fiktion und gegebenenfalls satirisch gefärbte, geschützte Kunstform zu gelten, ist schwer zu handhaben. Die frühere Geliebte des Autors Biller konnte als reales Vorbild der Romanfigur Esra mit Erfolg gegen den Roman vorgehen. Die Klage der Mutter, als Trägerin des alternativen Nobelpreises durchaus prominent, die im Buch als depressive herrschsüchtige Alkoholikerin figuriert, wurde abgewiesen. Nach welchen Prinzipien? Begriffliche Bestimmungen sind schwer zu ziehen und leicht überschritten. Wird ein kunstspezifischer, ästhetischer Maßstab angelegt, können der Realität entstammende Daten, die „Wirklichkeit“ verfälschen, nach Auffassung eines Verfassungsrichters gleichwohl „wirklichkeitsgetreu“ sein. Wenn Klaus Mann in der Figur des Henrik Höfgen den Typus des Karrieristen in der Nazizeit zeichnet und sich dabei einiger Persönlichkeitsdetails von Gustaf Gründgens bedient, kann dies zwar dem Urteil zufolge eine Verzerrung der Persönlichkeit und des Lebensbildes Gründgens‘ sein. Zugleich jedoch wurde in abweichenden Richtermeinungen und vielen anderen Kommentatoren darin keine Verletzung der zeithistorischen Persönlichkeit des verstorbenen Schauspielers gesehen.

Wie schwierig solche Differenzierungen und wie ökonomisch bedeutsam sie sind, mag ein Fall illustrieren, in dem sich unlängst Buchtitel gegenüberstanden. Der Verlag der Werke „Die Wanderhure“, „Die Rache der Wanderhure“, „Das Vermächtnis der Wanderhure“ und „Die Tochter der Wanderhure“, Bestseller mit Millionenauflagen, klagte gegen ein Buch mit dem Titel Julius Fischers „Die schönsten Wanderwege der Wanderhure“. Das OLG Düsseldorf hat in diesem Fall keine markenrechtliche Verwechslungsgefahr angenommen. Der inkriminierte Titel weise, werde er denn ernst genommen, nur auf einen Wanderführer hin, also auf das Genre der Ratgeberliteratur und mit dem Untertitel „Kein historischer Roman“ werde gerade kein Bezug zu der klagenden Romanreihe hergestellt. Die Ironie des Titels zeige schon, dass die Romanreihe kritisch gesehen werde. Das Gericht nahm hier für den angegriffenen Titel den Kunstschutz in Anspruch. Es sei auch zulässig, sich auf diese Weise den Aufmerksamkeitswert einer Romanreihe zunutze zu machen (OLG Düsseldorf, 5.8.14, 20 U 63/14). Eine Herabsetzung oder Verunglimpfung, ein Eingriff in fremdes geistiges Eigentum wurde verneint. Das liegt auf der Linie US-amerikanischer Rechtsprechung. Denn dort werden parodistische Werke, die an bekannte Literatur anknüpfen oder sie fortsetzen, nur dann inkriminiert, wenn sie das Vorbild ökonomisch tangieren.

Persönlichkeitsrechtstangierungen durch Satiren, Parodien, verzerrende Fiktionen et cetera sind Teil der gegenwärtigen Medienkultur. Der amerikanische Jurist Richard Posner hat sich in „Law and Literature“ sogar für eine totale Abschaffung der Haftung für „deformation by fiction“ ausgesprochen. Personen der Öffentlichkeit könnten sich wegen ihres Zugangs zu den Medien selbst problemlos gegen öffentliche Angriffe zur Wehr setzen; Privatleute sollten sich eben mit derartig gefährlichen Autoren weder befreunden noch sie heiraten. Allerdings setzt die Verfolgung dieses Ratschlags vor dem Eingehen libidinöser Verbindungen prophetische Gaben voraus, wie sie von den professionellen Juristen bei der Prognose verlangt werden, ob eine satirische Darstellung vor Gericht standhalten kann oder nicht. Ein warnendes Beispiel lieferte der schier endlos scheinende Prozess, den Dr. Ron Sommer, weiland Chef der heftig strauchelnden Telekom, gegen eine Karikatur in die „Wirtschaftswoche“ anstrengte. Der BGH erkannte in dem auf einem brüchigen riesigen T sitzenden Firmenboss eine satirische Collage. Das Bundesverfassungsgericht hingegen meinte, der Betrachter halte das um einige Prozente verzerrte hehre und nach Ansicht des Klägers viel schönere Antlitz des Herrn Sommer für authentisch. Das Recht, so könnte man vielleicht sagen, liegt im Auge des Betrachters. Wer immer der auch sein mag.