„Wie viel Verzweiflung braucht der Mut?“
Anna Baar liest beim diesjährigen Bachmann-Preis aus ihrem Debüt „Die Farbe des Granatapfels“
Von Laura Konert
Anna Baar ist 1973 in Zagreb geboren, aufgewachsen in Wien und Kärnten, geprägt von den kindlichen Sommermonaten bei den Großeltern auf der Insel Brac. Sie studierte Slawistik, Publizistik, Theaterwissenschaft und Öffentlichkeitsarbeit und schrieb unter anderem für Zeitungen und Rundfunk. Heute lebt sie in Klagenfurt und hat die Kommunikationsagentur alphavox gegründet. Eine professionelle Texterin ist Anna Baar, doch auch eine großartige Schriftstellerin, die bereits 2012 mit dem Kärntner Lyrikpreis ausgezeichnet wurde und im August dieses Jahres ihren ersten Roman veröffentlichen wird.
Über das Schreiben konstatiert sie, es sei „ein besessenes, weltentrücktes auf Papier Bannen, ein Wühlen und Nisten über ererbten Schicksalen […].“ Und von diesen „ererbten Schicksalen“ handelt ihr im August im Wallstein Verlag erscheinender Roman Die Farbe des Granatapfels: Es ist nicht nur die Geschichte eines in Österreich heranwachsenden Mädchens, das die Sommer auf einer dalmatinischen Insel bei den Großeltern verbringt – nein, es geht um viel mehr: Es geht um die Geschichte einer jüdischen Familie in einem blutgetränkten Land, das Faschismus und Krieg in bestialischer Ausprägung erlebt hat, einen Krieg „im Jetzt und nicht mehr in Schwarz-Weiß“. Doch auch die kulturelle und geschlechtliche Identität der Protagonistin sowie ihre Suche nach familiärer Zugehörigkeit werden thematisiert, eng verflochten mit den bilingualen Konflikten zwischen (Groß)Mutter-Sprache einer- und Vatersprache andererseits.
Anna Baar wird auf Einladung von Stefan Gmünder beim Ingeborg-Bachmann-Preis aus ihrem Romandebüt lesen und dabei ihren schriftstellerischen Mut – mithin einen Ausschnitt aus ihrem über 300 Seiten starken kleinen Sprachwunder – in die Waagschale werfen. Denn die zugleich unerbittliche und metaphernreiche Sprache zeichnet Baars Werk besonders aus: „Es sind ihre Ängste, die in mir nisten. Sie: die Heldin, ich: […] eine Nachgeborene mit einer Vergangenheit am Hals, die nicht die meine ist, mit Bildern, die ich nicht will, denn ihr Krieg wirkt in mir nach, satter und schärfer, als er dem Auge je erschienen wäre, angereichert noch von Fantasie und Wahn, […] der knietiefe Schnee eines bosnischen Winters, darin Sprenkel – die Farbe des Granatapfels […].“
Und so scheint kein Roman besser geeignet für den Bachmann-Preis als dieser, der Leser*innen entsetzt schaudern lässt vor dem Hintergrund grausamer Kriegstraumata und im gleichen Atemzug in eine Welt kindlicher Empfindung und Phantasie entführt: eine Welt voller Klänge und Farben, die sich einem Erwachsenen – hat er sie einmal verlassen – kaum wieder eröffnen kann.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen