Neues von der Familie Kim

Wie Rüdiger Franks „Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates“ das mediale Wissensmonopol stürzt

Von Sebastian SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nordkoreas bloße Existenz hat für den Westen etwas Groteskes. Gelegen zwischen den aufstrebenden Nationen China und Südkorea existiert noch Jahrzehnte nach dem Niedergang der großen sozialistischen Mächte eine hermetische Diktatur, aus der Informationen lediglich durch nationale und internationale Interessen gebrochen zu uns gelangen. Während in den westlichen Medien die alptraumhaftesten Vermutungen geäußert werden, was in diesem hermetisch abgeriegelten Land vor sich geht, verkündet die andere Seite der Welt stolz die Funde eines Einhornskeletts und eines Heilmittels gegen AIDS und MERS. Positive Nachrichten sind im Westen selten bis inexistent. Schockiert schaut man auf die neusten Drohungen eines sichtlich dekadenten Oberhaupts, dessen korpulente Gestalt nicht selten mit der Unterernährung seiner Bürger verglichen wird. In seiner „Militärdiktatur“ sind augenscheinlich Waffen und Rüstungen wichtiger als eine Grundversorgung von Reis und Getreide. Dass viele Menschenrechte dabei auf der Strecke bleiben, verwundert nicht weiter.

Rüdiger Frank ist Experte für den „totalen Staat“, regelmäßiger Besucher des Landes und Kind der „zweiten deutschen Diktatur“. Er fasst in seinem Buch nicht nur die Früchte einer langjährigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit Nordkorea zusammen, sondern bricht darin auch radikal mit dem Wissensmonopol der westlichen Medien. Keine Aufzählung der menschenverachtenden Untaten einer „Militärdiktatur“ findet statt, sondern eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des jungen Staats. So erfährt man von einem Land, das neben Internierungslagern und von Personenkult getragenem Nationalismus auch Skiresorts und Bemühungen internationaler Zusammenarbeit aufweisen kann. Nicht nach Schuldigkeit wird gesucht, sondern nach den komplexen Gründen, die Nordkorea im vergangenen Jahrzehnt weiter in die Isolation und die militärische Aufrüstung trieben. In den westlichen Medien ist dieser mysteriöse Staat bis heute ein Buch mit sieben Siegeln und als solches eine ideale Projektionsfläche für eine funktionierende Abgrenzung nach dem Schwarz-Weiß-Schema. Frank erinnert jedoch daran, dass eine reine Binarität aus moralisch vs. amoralisch nie funktionieren kann. Beachtlich ist, wie der Autor (auch aus persönlicher Erfahrung) die Modernisierung des Staates in den letzten zwei Jahrzehnten nachweist und gleichzeitig die verheerende Wirkung von 9/11 für eine internationale Zusammenarbeit markiert. Mit George W. Bushs Aufnahme Nordkoreas in die denunzierten Achsenmächte und dem US-amerikanischen Angriff auf den Irak ein Jahr später beendeten nicht nur westliche Organisationen ihre Zusammenarbeit, sondern die nordkoreanische Führung sah sich aus Gründen des Selbsterhalts veranlasst, international seine Zähne zu zeigen. Dass Pjöngjang bald wie Bagdad Ziel eines vernichtenden Bombenagriffs werden könnte, war plötzlich reale Möglichkeit und zwang Nordkorea nach leichten „Reförmchen“ (wie Frank sie liebevoll nennt) wieder in die absolute Isolation beziehungsweise die Abhängigkeit seines „besten“ Partners China.

Rüdiger Frank versteht es, kritisch mit den tendenziösen Materialien (Akten der Partei sind als ebenso korrumpiert anzusehen wie Daten Südkoreas und Amerikas) umzugehen und dabei fruchtbaren Gewinn aus persönlicher Erfahrung zu ziehen. Reflektiert präsentiert er in einer erfreulich unwissenschaftlichen Prosa, „wie wenig man Nordkorea in einfachen Schwarz-Weiß-Kategorien erfassen kann“. Auf Informationsmangel folgende subjektive und spekulative Überlegungen weiß er fruchtbar in Metaphern und Allegorien zu transformieren, um so kritisch über ein Regime zu sprechen, das ihm und seiner Karriere bei einer solchen Publikation in den Rücken fallen könnte. Ein Highlight dabei ist sicherlich das fast schon gefährlich neckische Narrativ über das ideologische Massenspektakel „Arirang“: „Aber warum begleiten Sie mich nicht einfach in das Mai-Stadion, und wir sehen uns die Vorstellung gemeinsam an.“

Lernt man in den westlichen Tagesmedien von den Schrecken und internationalen Krisen, die das totalitäre Regime der Familie Kim verbreitet, ermöglicht Frank einen reflektierten Blick hinter den dominanten Sensationsjournalismus und zeigt (auch mithilfe eigener Fotografien) ein Nordkorea, das trotz seiner Menschenrechtsverletzungen, ökonomischen Misserfolge und aggressiver Militarisierung noch das Potenzial eines „ostasiatischen Sonderwegs“ aufweist. Dies allerdings nur nach einer radikalen Reform des Staatssystems, welche sich als schwierig und fraglich, aber als unausweichlich offenbart.

Titelbild

Rüdiger Frank: Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014.
427 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783421046413

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